Wesel. Schließt der Galeria-Konzern den Kaufhof in Wesel oder nicht? Die Entscheidung darüber konnte am Montag fallen. Welche Szenarien möglich wären.

  • Seit Monaten warten die Beschäftigen des Kaufhofes in Wesel auf eine Entscheidung: Geht es für den Standort weiter oder nicht?
  • Nun könnte der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof eine Entscheidung fällen.
  • Welche Szenarien für den Kaufhof in Wesel möglich wären.

Seit Monaten wollen die Beschäftigen von Galeria in Wesel die Antwort auf die eine entscheidende Frage wissen: Wie geht es mit ihnen und dem Kaufhof hier weiter? Das lange und bange Warten könnte am Montag endlich vorbei sein – denn an diesem Tag will sich der Aufsichtsrat des Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof zu einer außerordentlichen Sitzung treffen. Einer der Tagesordnungspunkte: „Informationen über die geplanten Schließungsfilialen“.

Ob dann wirklich die so ersehnte Gewissheit für den Weseler Kaufhof und die Angestellten herrscht, ist allerdings alles andere als ausgemacht. Das dürfte nur dann der Fall sein, wenn die Filiale definitiv erhalten bleibt – und auch keine größeren Stellenkürzungen drohen. Das Unternehmen macht bisher allerdings keine Angaben darüber, welche Standorte erhalten bleiben – und welche nicht. Am endgültigen Konzept werde noch gearbeitet, hieß es in dieser Woche.

Bisher kursieren nur Gerüchte und Spekulationen darüber, wie viele der deutschlandweit 131 Filialen dem Rotstift zum Opfer fallen. Wurden anfangs noch bis zu 90 Häuser genannt, die der Kahlschlag treffen könnte, war zuletzt noch von 40 bis 60 Standorten die Rede. Anfang November, als die ersten Nachrichten zur Insolvenz des Warenhauskonzerns an die Öffentlichkeit kamen, hatte die stets gut informierte Immobilienzeitung in einer Analyse ermittelt, dass 79 Filialen gefährdet sein – dazu gehörte auch der Kaufhof in Wesel. Die Fachzeitung argumentiert vor allem damit, dass die Immobilie nicht Sigma, dem Eigentümer des Konzern gehört. Dahinter steht die Annahme, dass der Konzern beim Erhalt von Filialen eher auf Immobilien setzt, die auch der Signa-Holding selbst gehören.

Kaufhof in Wesel: Stadt und Wirtschaftsförderung sind optimistisch

Die Stadtverwaltung und die Wirtschaftsförderung sind hingegen optimistisch, was einen Erhalt des Kaufhofes angeht. Immer wieder haben Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und Wirtschaftsförderer Wendelin Knuf in den vergangenen Wochen und Monaten betont, dass Galeria in Wesel schwarze Zahlen schreibe und ein Anziehungspunkt für Kundinnen und Kunden sei. Es gebe keinen Grund, den Standort hin Frage zu stellen. Was noch für einen Erhalt sprechen könnte: Es gibt einen langfristigen Mietvertrag für das Gebäude – und die nächsten Galeria-Häuser in Kleve, Oberhausen und Duisburg sind ein gutes Stück entfernt. Der Kaufhof hat hier insofern ein Alleinstellungsmerkmal über die Stadt hinaus.

Und was passiert, wenn die Filiale in der nächsten Woche doch auf einer Streichliste auftaucht? Das heißt nicht automatisch, dass an der Hohen Straße tatsächlich die Lichter ausgehen. Denn weitere Nachverhandlungen zur Fortführung einzelner Standorte gelten als möglich. So war es bereits beim Insolvenzverfahren im Jahr 2020. Damals hatte es zum Teil monatelange Verhandlungen zwischen dem Warenhauskonzern und den Immobilieneigentümern gegeben. Auch in Wesel wurde lange verhandelt, am Ende konnten der Erhalt und der langfristige Mietvertrag als Erfolg verbucht werden.

Übernimmt ein Unternehmer den Kaufhof in Wesel?

Eine weitere Möglichkeit für einen Fortbestand wäre die Übernahme des Kaufhauses. Mitte Januar hatte der Dortmunder Unternehmer Friedrich-Wilhelm Göbel verkündet, mit „Galeria und ausgewählten Eigentümern“ über die Übernahme einer größeren Zahl von Standorten Gespräche zu führen. Wesel kennt Göbel gut, vor zwei Jahren war er noch für Sinn tätig und verantwortlich für die Übernahme der Mensing-Filiale in der Innenstadt. Die Hansestadt bezeichnete er in diesem Zusammenhang als „soliden Standort“.

Der Kaufhof in Wesel: Bei den Galeria-Beschäftigten ist die Anspannung groß. Wie entscheidet der Konzern?
Der Kaufhof in Wesel: Bei den Galeria-Beschäftigten ist die Anspannung groß. Wie entscheidet der Konzern? © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Nun hat er ein eigenes Textilhandelsunternehmen mit dem Namen Aachener gegründet und sucht neue Standorte. Ob der Kaufhof hier auf seiner Liste steht, ließ er auf NRZ-Anfrage offen. Wie realistisch seine Pläne überhaupt sind, ist ebenfalls schwer auszumachen – seit der Ankündigung im Januar war von Göbel in der Öffentlichkeit nichts mehr zu diesem Thema zu vernehmen.

Klar ist: Sollte der Kaufhof dicht machen, wäre das für Wesels Einzelhandel und die Attraktivität der Innenstadt ein gewaltiger Tiefschlag. Das Gebäude ist der zentrale Anlaufpunkt in der City, ein großer Frequenzbringer – ein solcher Leerstand wäre kaum auf die Schnelle zu füllen. Das sehen auch Handelsexperten so.

„Es wird in den meisten Fällen Jahre dauern, bis die von Galeria aufgegebenen Immobilien eine neue langfristige Nutzung gefunden haben“, prognostiziert etwa der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH), Boris Hedde. Das zeigte sich demnach schon nach der Schließung von rund 40 Warenhausfilialen im Zuge des ersten Insolvenzverfahrens bei Galeria im Jahr 2020. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC, die das weitere Schicksal von 32 der Filialen verfolgte, ergab zwar, dass bereits ein Jahr nach Bekanntwerden der Warenhausschließungen für mehr als 70 Prozent der Schließungsstandorte ein Plan für die zukünftige Nutzung vorlag.

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In rund drei Viertel der Fälle waren jedoch umfangreiche bauliche Veränderungen erforderlich, um langfristige Nachnutzungen zu gewährleisten. Jedes dritte Gebäude, für das es bereits Planungen gab, sollte demnach abgerissen werden. Bei weniger als einem Fünftel der Objekte kam es zu einer Nachvermietung ohne bauliche Änderungen.

„Die Warenhäuser verlieren seit Jahrzehnten an Bedeutung. Und die Corona-Pandemie hat die Entwicklung noch einmal drastisch beschleunigt“, meint Hedde. Früher hätten die Kaufhäuser durch die angebotene Warenvielfalt beeindruckt. Aber das sei vorbei. „Wer ein breites Sortiment sucht, geht heute ins Internet.“ Wer in die Innenstadt komme, wolle Beratung und eine gelungene Vorauswahl aus der Warenflut - kurz ein Einkaufserlebnis. „Aber das bietet kaum ein Warenhaus“, so der IFH-Geschäftsführer. Ein Versuch, in den alten Galeria-Immobilien einfach mit dem gleichen Geschäftsmodell weiterzumachen, wäre nach seiner Einschätzung deshalb zum Scheitern verurteilt.

Viele Weselerinnen und Weseler stehen hinter dem Kaufhof

Stattdessen werde man häufig Mischnutzungen sehen: etwa Lebensmittel- und Modegeschäfte im Erdgeschoss, darüber vielleicht eine öffentliche Einrichtung wie die Stadtbibliothek und in den oberen Etagen Büro- oder Wohnnutzung. Diese Entwicklung hatte sich einer anderen PwC-Studie über die weitere Nachnutzung von 52 schon in den Jahren 2009 bis 2020 geschlossenen Warenhäusern zufolge bereits abgezeichnet. Hedde sieht besonders auf Kommunen wie Wesel Probleme zu kommen, wenn der Kaufhof schließt. „Für die großen Metropolen wird die Schließung von Galeria-Filialen kein harter Schlag sein. Denn die Warenhäuser sind dort keine großen Frequenzbringer mehr“, betont Hedde. In kleineren Städten sei der Druck hingegen viel größer, eine Lösung zu finden.

Viele Menschen in Wesel setzten sich in dieser Woche mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Kaufhofes ein.
Viele Menschen in Wesel setzten sich in dieser Woche mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Kaufhofes ein. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Zudem braucht es eine geraume Zeit, bis eine neue Nutzung für einen Warenhausstandort umgesetzt ist. Wenn man das Gebäude richtig umbaue, Lichthöfe hineinschneide und die Voraussetzungen für neuartige Nutzungen schaffe, dauere es schon zwei bis drei Jahre. Bei einem komplett neuen Projekt könnten es aber auch fünf bis zehn Jahre werden. Diese Zeit müsse mit Angeboten vom Pop-up-Store bis hin zu Kulturangeboten überbrückt werden, so Hedde. Hier seien auch die Kommunen als Möglichmacher gefragt. Beispiele, wie so etwas aussehen könne, gibt es nach seinen Worten schon etliche.

Lübeck etwa habe das alte Karstadt-Haus gekauft und plane Flächen mit Bildungsangeboten zu bespielen. In Homburg an der Saar werde ein Leerstand in der Innenstadt für Modenschauen genutzt. Hanau habe ein Kunstkaufhaus geschaffen, wo Künstler aus der Region ausstellen und verkaufen könnten. In Bremen sei ein nachhaltigkeitsorientiertes Kaufhaus etabliert worden. „Von diesen Beispielen muss es mehr geben“, meint Hedde und gewinnt der Schließungswelle dann sogar etwas Positives ab. „Diese Leerstände sind eher eine Chance als eine Gefahr für die Innenstädte“, meint er.

Die 50 Angestellten des Kaufhofes in Wesel hoffen natürlich darauf, dass solche Überlegungen erst gar nicht nötig werden. Wie sehr die Bevölkerung hinter ihnen steht, zeigte sich in dieser Woche jedenfalls eindrücklich: Bei der Protestaktion am Dienstag vor dem Eingang gaben mehr als 1700 Menschen ihre Unterschrift her, um ein Zeichen für den Erhalt des Standortes hier zu setzen. „Darüber haben wir uns sehr gefreut“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Yvonne Weisenhaus. Für die Belegschaft ist es jetzt vor allem wichtig, dass endlich feststeht, wie es weitergeht. „Diese Angespanntheit über Monate ist nur schwer auszuhalten. Wir hoffen bis zum Schluss.“ (mit dpa, rme, ulf)