Mülheim. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht stuft die Gefährdung der Demokratie „höher als je zuvor“ ein. Wie die Polizei die Lage in Mülheim wertet.

Als Innenminister Herbert Reul am 18. April den Verfassungsschutzbericht NRW für 2023 vorstellte, zeichnet er ein düsteres Bild vom extremistischen Geschehen in unserem Bundesland. „75 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes ist (…) die Bedrohung durch Extremismus für unsere Demokratie höher als je zuvor“, erklärte der Minister in einer Pressekonferenz. Auch in Mülheim ist diese Bedrohung existent.

Der Verfassungsschutz, der in dem aktuellen Bericht als „Frühwarnsystem des demokratischen Rechtsstaats“ bezeichnet wird, sieht zunehmende Bedrohungen sowohl von Rechtsradikalen als auch von Islamisten. In weiten Bereichen der politisch motivierten Kriminalität ist ein Anwachsen der Fallzahlen zu beobachten. Mit knapp 7600 Straftaten versuchten 2023 Rechtsextreme, Reichsbürger, Islamisten, Linke und Ausländer, die Konflikte aus fernen Ländern nach NRW trugen, gleichermaßen, Unruhe und Spaltung in die Gesellschaft zu bringen.

Rechtsextremisten bringen fremdenfeindliche Argumente in Umlauf

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Eine große Gefahr wird unter anderem darin gesehen, dass Rechtsextremisten versuchen, fremdenfeindliche und autoritäre Argumente als „Normalität“ in die öffentliche Diskussion einzubringen und dazu die sozialen Medien mit ihren Ideen und Unwahrheiten zu überschwemmen. Bemerkenswert ist auch, dass selbst der abstruseste Nonsens wie die „Schlachtung von kleinen Kindern in unterirdischen Gewölben der Regierung, um Serum aus ihrem Blut zu gewinnen“ in Teilen der Bevölkerung mittlerweile geglaubt wird und das Vertrauen in den Staat erschüttert.

Auch ist die Gesellschaft einer „abstrakt hohen Gefahr“ durch islamistische Gefährder ausgesetzt. Der frühere Geheimdienst-Experte Gerhard Conrad sieht den deutschen Nachrichtendiensten in der Erkennung und Bekämpfung des Extremismus starke Fesseln angelegt. Die geltenden Regeln der Verfassungsschutzarbeit könnten nicht mehr mit der wachsenden Bedrohung Schritt halten. Nicht ohne Grund, so die Feststellung, kämen sehr viele Erkenntnisse über geplante Anschläge und extremistische Gruppen nicht von deutschen Geheimdiensten, sondern aus dem Ausland.

Polizei Essen-Mülheim: Steigende Zahl links-, rechts- und religiös motivierter Straftaten

Soweit die Lage im Land. Aber was sieht man, wenn man nun die Lupe beim Thema Extremismus auf Mülheim richtet? Nach Auskunft der Essener Polizei, die für Mülheim zuständig ist, ist die Lage in Bezug auf politisch motivierte Kriminalität hier noch relativ niedrigschwellig. Sorgen macht allerdings die steigende Tendenz links-, rechts- und religiös motivierter Straftaten. So haben sich die Fallzahlen von 2019 bis 2023 mit 101 Straftaten verdreifacht.

Die Taten haben sich dabei fast durchweg unterhalb der Schwelle körperliche Gewalt bewegt. Den größten Anteil an extremistischer Kriminalität hatten die Taten von Rechtsradikalen mit knapp 50 Prozent. Zehn Prozent der kriminellen Handlungen waren dem linken Lager zuzurechnen und lediglich vier von 101 Fällen waren religiös motiviert oder hatten mit ausländischen Ideologien zu tun. Die restlichen Straftaten ließen sich keiner der Kategorien sicher zuordnen.

Sachbeschädigungen, verfassungswidrige Zeichen oder Hitlergruß in Mülheim

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Immerhin jeder zweite Fall konnte von der Essen-Mülheimer Polizei aufgeklärt werden. Nach Auskunft von Pressesprecher Matthias Werk liegen in erster Linie Einzeltaten vor. Eine strukturierte extremistische Szene habe sich in der Stadt bisher nicht etabliert.

Die Erscheinungsformen extremistischer Kriminalität waren 2023 vielfältig. Die meisten der Taten waren in Mülheim Sachbeschädigungen, gefolgt von der Verwendung verfassungswidriger Zeichen wie Hakenkreuz-Schmierereien oder das Zeigen des Hitlergrußes. An dritter Stelle, gleichauf mit Beleidigungen, kamen nach Feststellung der Essener Polizei Fälle von Volksverhetzung. Von der jüdischen Gemeinde in Mülheim war zu erfahren, dass jüdische Kinder und Jugendliche seit Ausbruch des Kriegs zwischen Israel und Palästina, also seit Oktober vergangenen Jahres, verstärkt Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen seien, sodass sie sich teilweise nicht mehr trauten, den Religionsunterricht in ihren Gemeinden zu besuchen.

Mann zielte 2023 in Mülheim-Speldorf mit Waffe auf eine syrische Familie

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Zwei Beispiele, was 2023 in Sachen extremistischer Kriminalität passiert ist: An der Hofackerstraße in Speldorf beleidigte im Juni ein 59-jähriger Deutscher eine syrische Familie von seinem Balkon aus und zielte anschließend mit einer Waffe auf sie. Bei der Durchsuchung wurde nicht nur eine Vielzahl von Stich- und Schreckschusswaffen gefunden, die Kriegswaffen täuschend ähnlich sahen, sondern auch Schriften, die auf eine rechtsextreme Haltung des Mannes schließen ließen.

In Mülheim bekam erst vor Kurzem ein 33-Jähriger vor dem Amtsgericht zu spüren, was jedem blühen kann, der sich für den Nationalsozialismus begeistert. Er war der Meinung, auf offener Straße und vor den Ohren von etlichen Passanten und Polizeibeamten mehrfach „Sieg Heil!“ brüllen zu müssen. Die Quittung: 8400 Euro Geldstrafe.

Mülheims dunkle Vergangenheit: Der Tod von Mustafa Demirel

Dass extremistisches Handeln gar tödliche Folgen haben kann, zeigt ein Fall, der sich 1993 in Mülheim ereignet hat. Damals hatten zwei Angehörige der rechtsradikalen Partei „Republikaner“ an einer Haltestelle am Rhein-Ruhr-Zentrum einen türkischen Bürger, den 56-jährigen Familienvater Mustafa Demirel, mit den Worten „Scheiß Türke“ und „Kanake“ angepöbelt. Dann zog einer der beiden 21-jährigen Aggressoren eine Schusswaffe, zielte aus nächster Nähe auf sein Opfer und drückte zweimal ab. Zwar handelte es sich bei der Pistole um eine Schreckschusswaffe. Die Todesangst des Angegriffenen löste bei der Scheinhinrichtung aber einen Herzinfarkt aus: Tod durch Herzstillstand.

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