Mülheim. In der Schweiz wurde er noch zurück zur Grenze gebracht, in Mülheim sprach Abu Alia dann vor Hunderten Anhängern. Was zum Auftritt bekannt ist.
Dort, wo normalerweise Abibälle, Hochzeiten und andere große Feste gefeiert werden, sind am Ostersonntag zwei Salafisten vor mehreren Hunderten Menschen aufgetreten: In der Heißener Eventhalle „The Address“ richteten die beiden Prediger ihr Wort an die Menge. Sowohl Abdelhamid (bürgerlich Dehran A.) als auch Abu Alia (bürgerlich Efstathios T.) sind in der „Szene“ bekannt, Verfassungsschutz und Experten stufen sie als Salafisten ein.
Nur einen Tag vor dem Auftritt in Mülheim sollte Abu Alia in Bern als geladener Gast in einer Moschee sprechen – wurde dort aber von der Schweizer Bundespolizei wieder zurück zur deutschen Grenze gebracht. Das geht aus übereinstimmenden Medienberichten hervor, zuerst hatte der Focus berichtet. Dass der behördlich bekannte Prediger nur einen Tag später ungehindert in Mülheim auftreten kann, wirft einige Fragen auf.
Abu Alia ist bereits seit mehreren Jahrzehnten in der „Szene“ aktiv
Der Deutsch-Grieche ist den Behörden als Multiplikator in der salafistischen Szene bekannt. „Abu Alia ist schon seit den 00er-Jahren aktiv“, bestätigt Sigrid Herrmann. Sie ist Islamismus-Expertin und forscht seit 2006 in dem Feld. „Damals stand er noch in der zweiten Reihe hinter Pierre Vogel und Sven Lau. Mittlerweile ist er selbst sehr präsent.“ In den sozialen Medien – dort hat Efstathios T. mehrere Tausend Follower – und bei öffentlichen Auftritten verbreitet der ehemals in Mönchengladbach als Kampfsportlehrer tätige Konvertit laut Sigrid Herrmann eine rückwärtsgewandte Auffassung des Islam.
„Das lässt sich eindeutig dem Salafismus zuordnen“, so die Expertin. „Diese Auslegung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass man sich in der Religionspraxis und in dem Werteverständnis auf die ersten drei Generationen nach dem Propheten Mohammed beruft.“ Die Werte seien entsprechend fundamentalistisch und entsprechen nicht mehr der heutigen Zeit. „Neuerungen in der Religion werden komplett abgelehnt, das beeinflusst die Lebensweise sehr stark.“
Demnach sei es etwa nicht gestattet, Musik zu hören, und der Kleidungsstil der damaligen Zeit werde nachgeahmt. „Das lässt sich zum Beispiel an der Barttracht und den kurzen Hosenbeinen erkennen, deren Saum die Schuhe nicht berühren darf.“ Ein weiteres Merkmal sei die Geschlechtertrennung, die laut Herrmann teils rigide durchgesetzt wird.
Wer hat die Prediger nach Mülheim eingeladen?
So auch am Ostersonntag in der Mülheimer Eventhalle. Bilder und Videos aus den sozialen Medien zeigen, dass Hunderte von Männern vor der Bühne auf dem Boden knien, während eine Gruppe Frauen von einer Empore aus dem Vortrag lauscht. Die Bilder und Videos, die in den sozialen Medien geteilt worden sind, legen offen, dass es sich um die Location am Förderturm handelt.
Auf die Frage hin, wer die beiden Prediger eingeladen hat, erklärt der Betreiber von „The Address“, dass weder eine Moschee noch ein Verein Veranstalter waren. „Das waren wir.“ Weitere Fragen möchte er indes nicht beantworten und auch seinen Namen nicht nennen. Dass Unternehmer salafistische Prediger einladen, komme laut Sigrid Herrmann durchaus vor. „Und da es seit einiger Zeit auch die Verquickung von ‚Islam und Business‘ gibt, wird sich das noch weiter verbreiten nach meiner Prognose.“ Gerade Absolventen der deutschsprachigen Universität von Medina machten Werbung dafür, Islam und Geschäft zu verbinden.
In der kommenden Landtagssitzung könnte der Auftritt der Salafisten zum Thema werden. Die SPD-Landtagsabgeordneten Rodion Bakum, Elisabeth Müller-Witt und Christina Kampmann haben eine Kleine Anfrage gestellt. Darin geht es unter anderem um die Frage, welche rechtliche Handhabe „der Landesregierung zur Verfügung (stehen), um Auftritte von sogenannten ‚Hasspredigern‘ zu unterbinden?“
Innenministerium wusste bereits vorher vom Auftritt in Mülheim
Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, bereits im Vorfeld von der Veranstaltung gewusst zu haben, die Veranstaltung sei in den sozialen Medien beworben worden. Auf die Frage hin, ob und wenn ja, welche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden sind, erklärt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums, dass Einzelheiten „grundsätzlich nicht öffentlich gemacht (werden), um den Erfolg sicherheitsbehördlicher Maßnahmen nicht zu gefährden.“
Abu Ablia sei „seit Jahren im extremistisch-salafistischen Spektrum in Nordrhein-Westfalen und auch bundesweit aktiv“. So sei der Deutsch-Grieche laut Innenministerium im salafistischen Missionierungsnetzwerk „Einladung zum Paradies“ maßgeblich beteiligt, später auch im Verein „Ansaar International“. Der Verein ist mittlerweile verboten worden, weil die Verantwortlichen islamistische Terrororganisationen in Syrien, Somalia und im Gaza-Streifen unterstützt haben sollen. „Er gilt gegenwärtig weiterhin als einflussreicher Akteur im extremistischen Salafismus in Nordrhein-Westfalen und pflegt Kontakte zu anderen reichweitenstarken, extremistisch-salafistischen Predigern in Nordrhein-Westfalen“, so die Sprecherin.
Prediger erreichen bei Auftritten in NRW vierstellige Hörerzahlen
Häufig trete Efstathios T. gemeinsam mit Dehran A. auf, so eben auch in Mülheim. Die Veranstaltungen der Prediger konnten zuletzt eine vierstellige Zuhörerzahl erreichen. „In Nordrhein-Westfalen waren die beiden unter anderem auch bei Veranstaltungen in Düsseldorf, Aachen, Herne, Bergheim, Bonn, Marl und Münster zu sehen“, heißt es aus dem Ministerium. Ob die beiden als Gefährder einzustufen sind, unterliege der Geheimhaltung. So oder so, die Veranstaltung hätte gemäß dem Versammlungsgesetz erst unterbunden werden können, „wenn eine unmittelbare Gefahr eines unfriedlichen Verlaufs der Versammlung oder für Leben oder Gesundheit von Personen besteht“.
Im Schweizer Fall habe der Auftritt verhindert und der Prediger des Landes verwiesen werden können, weil er kein dortiger Staatsbürger ist. Eine Handhabe im Umgang mit Predigern wie Abu Alia und Abdelhamid ergibt sich erst bei strafrechtlicher Relevanz, erklärt die Ministeriumssprecherin auf Nachfrage. „Da der genannte Prediger in seinen (bekannten) Reden bisher keine strafrechtlich relevanten Äußerungen getätigt hat, wäre ein Verbot der Veranstaltung rechtlich nicht haltbar bzw. umsetzbar gewesen. Im Nachgang der Veranstaltung werden öffentlich zugängliche Videos der Veranstaltung durch die zuständige Kriminalinspektion Staatsschutz unter Zuhilfenahme islamwissenschaftlicher Expertise ausgewertet.“
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