Mülheim. Erneut mussten sich etliche Mülheimer vor Gericht verantworten. Neben Mord ging es um Gefährdung des Bahnverkehrs oder Strafvereitelung im Amt.

Auch in 2023 haben Verbrechen und ihre strafrechtliche Aufarbeitung Mülheims Schlagzeilen bestimmt. Mörder und andere Kriminelle bekamen die Härte des Gesetzes zu spüren. Doch es gab auch Verfahren, die erneut kein Ende gefunden haben - sowie manch unerwarteten Freispruch.

81-Jährige Mülheimerin niedergestochen: Täter könnte schuldunfähig gewesen sein

So etwa für den Niederländer, der im August 2022 eine Mülheimerin (81) an einem Kiosk in Dümpten niedergestochen hatte. Der gestresste Mann war zuvor offenbar spontan nach Deutschland gefahren. Er hatte sein Auto irgendwo abgestellt und war zwei Tage lang in der Sommerhitze ohne Nahrung und Wasser in und um Mülheim herumgeirrt. Erst in der Haft, nachdem er versorgt worden war, erholte er sich. Dass er damals so rasch festgenommen werden konnte, war dem Paketboten Mohamad Al Hasan zu verdanken. Dieser erhielt dafür jüngst den XY-Preis für Zivilcourage.

Dem Niederländer tat später sehr leid, was er getan hatte. Laut Gutachter dürfte er zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sein: Stress, Schlafmangel, Unterzuckerung und Dehydrierung habe „eine vorübergehende schwere psychotische Episode“ verursacht. Auch eine verfaulte Banane, die er zu sich genommen hatte, könnte ursächlich gewesen sein: Ein darin enthaltener virologischer Stoff könne seinen „traumähnlichen Zustand“ verstärkt haben, hieß es. Das Landgericht Duisburg sprach ihn wegen einer „vorübergehenden krankhaften seelischen Störung“ frei. Eine Unterbringung in der Forensik kam „wegen Einmaligkeit des Vorfalls“ nicht in Betracht.

Die Ex auf offener Straße in Styrum ermordet: Gemeinsame Kinder mussten zusehen

Im Juni 2022 hatte ein 34-Jähriger auf offener Straße in Styrum immer und immer wieder auf seine Expartnerin eingestochen - vor den Augen der drei gemeinsamen und vieler anderer Kinder, die sich auf dem Spielplatz am „Blauen Haus“ aufhielten. Auch Schüler der Grundschule an der Augustastraße und der Willy-Brandt-Schule wurden Zeugen der blutigen Tat. An Unterricht war tags drauf nicht zu denken, Lehrkräfte wurden Seelsorger.

18-mal stach der 34-Jährige zu, verletzte die Mutter schwer. Die 31-Jährige starb wenige Stunden später. Das Gericht verurteilte ihn wegen Mordes. Er muss lebenslang hinter Gitter. Seine Kinder sind bei Verwandten in Frankreich untergekommen.

33 Verletzte bei Kollision zwischen Tram und Bus: Bewährungsstrafe für Fahrer

Er hatte erst seit einer Woche den Führerschein für Straßenbahnen - da passierte es: Weil er nach dem Anfahren an der Oberhausener Haltestelle Olga-Park den Haltebalken einer Lichtzeichenanlage übersehen hatte, verursachte ein Mülheimer im Juni 2022 einen schweren Unfall zwischen einer Tram und einem Bus. Wegen Gefährdung des Bahnverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 33 Fällen verurteilte das Amtsgericht Oberhausen ihn Ende März zu einer Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren.

Am schwersten verletzt wurde ein 69-Jähriger, er kann einen Arm dauerhaft nicht mehr nutzen. Prellungen, Schnittwunden, Schock und als Folge psychologische Behandlungen und Gesprächstherapien – die Liste der Tatfolgen war lang. Der 34-Jährige litt selbst stark unter dem Unfall, verlor auch den Job. Er fand nur wenige letzte Worte: „Es tut mir leid …“ Dann brach seine Stimme ab.

Auch ein schwerer Unfall in Oberhausen wurde im vergangenen Jahr vor Gericht verhandelt: Ein Straßenbahnfahrer, der erst kurz zuvor seinen Führerschein gemacht hatte, wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Auch ein schwerer Unfall in Oberhausen wurde im vergangenen Jahr vor Gericht verhandelt: Ein Straßenbahnfahrer, der erst kurz zuvor seinen Führerschein gemacht hatte, wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Geldstrafe für AZ-Mitarbeiter: Gezerre um gewaltsamen Polizeieinsatz geht weiter

Der gewaltsame Polizeieinsatz am Autonomen Zentrum (AZ) passierte am 8. Juni 2019. Mehr als vier Jahre später wurden vor dem Duisburger Landgericht in drei quälend langen Verhandlungstagen erneut etliche Zeugen vernommen und zwar im Berufungsverfahren gegen O., einen Mitarbeiter des AZ. Der 44-Jährige wehrte sich gegen eine Geldstrafe, die das Mülheimer Amtsgericht ihm Anfang Januar auferlegte.

Doch auch das Landgericht konnte den Vorfall nicht komplett aufklären, verurteilte den AZ-Mitarbeiter wegen Widerstandes, ließ den weiteren Vorwurf tätlicher Angriffe fallen. Die Geldstrafe fiel deutlich milder aus, doch O. wollte sie nicht akzeptieren, in Revision gehen. Spannend bleibt auch die Frage, was mit den Anzeigen gegen drei beteiligte Polizisten passiert und gegen den Arzt, der dem stark alkoholisierten O. im St. Marien-Hospital ohne richterlichen Beschluss eine Blutprobe entnahm. Der AZ-Mitarbeiter und sein Verteidiger haben sie erstattet, wegen mutmaßlicher gefährlicher Körperverletzung. Verjährung droht fünf Jahre nach dem Vorfall. „Das haben wir im Blick“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Bekanntschaft aus dem Internet vergewaltigt? Vorwurf kann nicht erhärtet werden

Im Internet sollen sie sich kennengelernt haben: ein Mülheimer, Mitte 30, und ein Mädchen (14). Durch Drohungen wie „Komm zu mir, sonst lasse ich dich und deine Familie töten“ soll der Mann die Jugendliche im Juli 2022 dazu gebracht haben, ihn zu besuchen. In seiner Wohnung in Styrum soll er sie festgehalten und jeden Tag mindestens einmal vergewaltigt haben: ein elftägiges Martyrium. Außerdem soll der Mülheimer das Mädchen, das unter einer Intelligenzminderung leidet, gezwungen haben, ihm 450 Euro von ihren Eltern zu beschaffen.

Der Angeklagte bestritt all dies. Somit kam es auf die junge Zeugin an. Doch die Aussage der 14-Jährigen - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - trug nicht zur Aufklärung bei. Eine Sachverständige, welche sie zuvor für aussagetüchtig erachtet hatte, änderte ihre Meinung schlagartig. Das Verfahren endete mit Freispruch.

Ehefrau totgeschlagen: Richter weisen Schuldunfähigen in die Forensik ein

In Panik flüchtete Anfang März eine Styrumerin (50) vor ihrem Ehemann in die Gästetoilette. Doch der 56-Jährige schlug mit einem Baseballschläger ein Loch in die Tür, kletterte hindurch. Die Gewalt explodierte: Er schlug dem Opfer so lang auf den Kopf, bis der Schläger zerbrach, griff dann zu einem Kantholz, drückte dieses auf Hals und Kehlkopf. Die Frau sank bewusstlos zu Boden. Nach wenigen Tagen erlag sie ihren Verletzungen, vor allem als Folge der Sauerstoffunterversorgung ihres Gehirns.

Zwei Sanitäter, die den 56-Jährigen an jenem Tag in ein psychiatrisches Krankenhaus bringen sollten, standen hilflos vor der Tür. Erst der Polizei gelang es, sich Zugang zu verschaffen. Zu spät: Der Angeklagte saß neben seiner blutüberströmten Frau, redete wirr. Im Prozess kam eine Sachverständige zu dem Schluss, dass er unter akuter paranoider Schizophrenie leidet und schuldunfähig war. Ohne eine Therapie bestehe ein erhöhtes Risiko, dass er weitere für die Allgemeinheit gefährliche Taten begehe. Die Kammer ordnete die Unterbringung in der Forensik an.

Strafvereitelung im Amt: Zwei Dienstgruppenleiter der Mülheimer Polizei verurteilt

Sieben Monate auf Bewährung: So lautete Ende November das Urteil im Berufungsverfahren vor dem Landgericht gegen zwei ehemalige Dienstgruppenleiter (49, 55) der Mülheimer Polizei. Vom Amtsgericht Mülheim waren sie wegen Strafvereitelung im Amt zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Wegen Strafvereitelung im Amt sind zwei Dienstgruppenleiter der Mülheimer Polizei - hier mit ihren Verteidigern - im November in zweiter Instanz zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden.
Wegen Strafvereitelung im Amt sind zwei Dienstgruppenleiter der Mülheimer Polizei - hier mit ihren Verteidigern - im November in zweiter Instanz zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Was man zur Vorgeschichte wissen muss, ist dies: Am 11. Januar 2019 hatte ein Polizist (32) der Mülheimer Wache einen Mann in dessen Wohnung am Hans-Böckler-Platz grundlos mehrfach ins Gesicht geschlagen. Folge war eine Verurteilung wegen Körperverletzung im Amt sowie eine Bewährungsstrafe von neun Monaten. Besagter Polizist war schon früher aufgefallen, mit einem Video, das er an Verwandte geschickt hatte: Sie erhielten einen Clip, der einen kleinen Jungen zeigt, der an seinem Geschlechtsteil manipuliert. Im September 2023, nachdem mehrere Gerichte mit dem Fall beschäftigt waren und ihn als Kinderpornografie angesehen hatten, erhöhte das Landgericht Duisburg die vorgenannte Bewährungsstrafe auf zehn Monate. Der Polizist soll auch Teil der ab 2020 aufgeflogenen rechten Chatgruppen der Mülheimer Polizei gewesen sein.

Doch zurück zu den Dienstvorgesetzten, die wegen Strafvereitelung verurteilt wurden: Den beiden Suspendierten hielt das Gericht vor allem ihr Nichthandeln vor. Eine Kollegin (26) hatte klargemacht, sie habe ihrem Vorgesetzten bereits am Abend des 11. Januar 2019 vom Fehlverhalten des Kollegen berichtet. Von da ab habe sie als Kollegenschwein gegolten, erzählte sie vor Gericht unter Tränen. Die Angeklagten aber bestreiten weiter vehement, von dem Vorfall gewusst zu haben. Sie wollen Revision einlegen.

Auf dem Kahlenberg geschnappt und vom Landgericht Frankfurt verurteilt

Im August 2021 hat die Polizei an der Sportanlage Kahlenberg mehrere Kriminelle erwischt. Als die sechs kiffenden Männer die Polizisten bemerkten, rannten sie davon, wurden jedoch eingeholt. 2023 verurteilte das Landgericht Frankfurt einen von ihnen, einen Mülheimer, zu fünfeinhalb Jahren Haft.

Wie sich herausstellte, war der 28-Jährige gemeinsam mit zwei 24-Jährigen im Juli 2021 von Mülheim mit gestohlenen Kennzeichen nach Frankfurt gefahren, wo er in eine Polizeikontrolle geriet. Weil er ohne Führerschein unterwegs war, versuchte er zu flüchten. Mit hoher Geschwindigkeit überfuhr er an einer Kreuzung eine rote Ampel, rammte ein anderes Auto, dessen Fahrer schwer verletzt wurde. Anschließend flüchtete das Trio. Einer der Mitangeklagten erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, der andere wegen massiver Vorstrafen eine Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Alle Angeklagten haben Revision eingelegt.

Mit dem Auto auf den Gatten und die Geliebte zugehalten: Bewährungsstrafe

Als eine Mülheimerin 2021 erfuhr, dass ihr Mann sie seit Jahren hinterging und mit seiner Geliebten sogar ein Kind hatte, geriet sie außer sich. Als sie das Paar am 23. August 2021 in Styrum zufällig vom Auto aus sah, gab die 33-Jährige Gas, steuerte darauf zu. Der Ex und seine Geliebte sprangen zur Seite, blieben unverletzt. Die Angeklagte rammte nur das Auto. Das reichte ihr nicht, sie stieg sie aus und versetzte der Geliebten Schläge.

Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Körperverletzung hatte das Amtsgericht Mülheim sie zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Anfang 2023, in zweiter Instanz, reduzierte das Landgericht Duisburg auf 15 Monate zur Bewährung - nachdem die Angeklagte erstmals gestanden hatte. Mit traurigem Blick gelang es ihr, etwas Entschuldigendes zu murmeln. Die Worte „Schmerz“, „Enttäuschung“, „Wut“ waren zu hören.

„Ich bringe dich um“: Mit diesen Worten stürzte sich ein Mann auf den neuen Freund seiner Ex

Über den Balkon war ein 36-Jähriger in der Nacht zum 27. Januar 2023 in die Wohnung seiner Ex-Freundin in Styrum eingedrungen. Dort attackierte er ihren neuen Freund mit einem Messer. Im November verurteilte das Landgericht ihn wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Gefängnis.

Für fünf Jahre ins Gefängnis schickte das Landgericht Duisburg den Mülheimer, der sich mit einem Messer auf den neuen Freund seiner Ex gestürzt hatte.
Für fünf Jahre ins Gefängnis schickte das Landgericht Duisburg den Mülheimer, der sich mit einem Messer auf den neuen Freund seiner Ex gestürzt hatte. © Bodo Malsch | Bodo Malsch

Mit dem Ruf „Ich bringe Dich um“ hatte er sich auf den Geschädigten gestürzt. Dieser konnte mehrere Stiche Richtung Brust abwehren, Verletzungen an Armen und einem Bein aber nicht verhindern. Ebenso wenig eine Platzwunde am Kopf. Das einstige Paar hat gemeinsame Kinder. Ob die Tat aus Eifersucht geschah oder aus Angst, die Kinder zu verlieren, blieb unklar. Zu Prozessbeginn hatte der Angeklagte ein pauschales Geständnis abgelegt. Konkrete Erinnerung habe er nicht mehr, wegen erheblicher Mengen Alkohol und Drogen im Blut. Die Richter gingen von eingeschränkter Schuldfähigkeit aus.

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