Mülheim. Wer auf seinen Erbschein wartet, braucht in Mülheim derzeit sehr viel Geduld. Was die Ursache für die monatelangen Verzögerung der Behörde ist.
Ohne Erbschein geht in vielen Fällen nichts. Das erlebt gerade Dagmar Kunst, die im Mai ihren Vater Günter Herbert Richter verloren hat. Der Maschinenbauingenieur ist im Alter von 94 Jahren in einem Mülheimer Krankenhaus verstorben. Er hinterlässt seinen drei Kindern neben Geld vor allem eine Eigentumswohnung in Saarn.
Alleinige Erben sind nach dem Tod der Mutter vor zehn Jahren die beiden Töchter und der Sohn. So steht es im handschriftlichen Testament, das die Eltern zu Lebzeiten verfasst haben. Damit ist alles klar. Probleme sind nicht zu erwarten. Eigentlich nicht.
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Also bereitet Dagmar Kunst am 1. Juni einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins vor. Den brauchen die Kinder, um im Grundbuch als neue Eigentümer der Wohnung eingetragen zu werden. Ohne diesen formalen Akt können die Erben die Wohnung der verstorbenen Eltern nämlich nicht verkaufen. Was sie aber wollen.
Mülheimer Gericht schickte Empfangsbestätigung - und dann?
Für Dagmar Kunst, die älteste der drei Kinder, ist der Prozess Routine. Die 63-Jährige ist Juristin und arbeitet in einer Rechtsanwaltskanzlei in Düsseldorf. Früher hat sie als Assessorin in einer Kanzlei am Niederrhein Erbschein-Anträge auf den Weg gebracht – vornehmlich an den Amtsgerichten in Mönchengladbach, Düsseldorf und Viersen. „Die Bearbeitung bei den Gerichten ging immer sehr schnell. Es gab nie Beschwerden“, so die Juristin.
Am 2. Juni leitet ein Mülheimer Notar den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins für Dagmar Kunst und ihre Geschwister an das zuständige Amtsgericht in Mülheim weiter. Das elektronische Notarpostfach „beN“ schickt eine Eingangsbestätigung.
Dann passiert nichts. Wochen später ruft eine Notarmitarbeiterin beim Gericht an. Keiner geht ran. Also hakt der Notar am 6. September nach. „Der Erbschein wird von den Erben dringend benötigt“, schreibt er ans Amtsgericht. Es folgt eine Eingangsbestätigung aus dem elektronischen Postfach. Am 18. September dann die zweite Nachfrage des Notars: „Die Sache ist eilbedürftig.“ Keine Reaktion, außer der Eingangsbestätigung. Am 17. Oktober die dritte Anfrage. Gleiche Antwort – nämlich keine.
Mülheimer Amtsgericht überlastet: „Was da los ist, versteht niemand“
„Was da los ist, versteht niemand.“ Juristin Kunst schüttelt den Kopf. Normalerweise werden Erbscheine in unstrittigen Fällen binnen ein bis zwei Monaten erteilt. Aber nicht so in Mülheim, wie auch ein Notar aus Duisburg bestätigt. Schwacher Trost: „Eine Mitarbeiterin der Sparkasse Mülheim hat uns berichtet, dass wir kein Einzelfall sind“, sagt Kunst.
„Offiziell können wir das nicht bestätigen“, sagt dazu allerdings Sparkassen-Sprecher Frank Hötzel auf eine entsprechende Anfrage dieser Redaktion.
Das Amtsgericht Mülheim bestätigt den Bearbeitungstau. „Ich bedauere sehr, dass es bei uns im Moment so lange dauert“, sagt Susanne Galonska-Bracun, Direktorin des Gerichts mit rund 100 Mitarbeitenden. Das liege zum einen an länger dauernden Krankheiten bei Mitarbeitenden, die Erbscheine bearbeiten – wie Rechtspflegende und Servicekräfte.
Mülheimer Gericht hat mit Krankenstand und Umstellungen zu kämpfen
„Zudem haben wir im September im Nachlassverfahren die elektronische Akte eingeführt“, sagt Galonska-Bracun. Dies sei im vergangenen Jahr bereits in Familien- und Betreuungssachen, bei Bußgeldverfahren und Zwangsvollstreckungen geschehen. „Dafür müssen die Mitarbeitenden zuerst geschult und dann eingearbeitet werden.“ Diese Umstellung parallel zu hohen Krankenständen seien Ursache für die aktuelle Lage.
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Gibt es eine Lösung? „Unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten mit Hochdruck daran, die Rückstände abzuarbeiten“, so die Richterin. Im Februar komme eine neue Mitarbeiterin, die sich schon jetzt mit ihren künftigen Aufgaben vertraut mache. Zudem sei eine neue Stelle ausgeschrieben. Das alles soll Druck aus dem Kessel nehmen.
Mülheimer Erbe kann über Umweg doch verwaltet werden
Dagmar Kunst und ihre Geschwister haben zu ihrem Glück an anderer Stelle vorgesorgt. Sie besitzen eine notarielle Vorsorgevollmacht. „Damit kann man fast alles machen, auch über den Tod hinaus. Allerdings wollen Banken trotzdem meist, dass ihre eigenen Vordrucke für Vollmachten genutzt werden. Ist das nicht der Fall, dreht man eine Ehrenrunde über die Rechtsabteilung. Und das kann Wochen dauern“, so Kunst.
Die Juristin besitzt aber eine Kontovollmacht der Sparkasse und konnte so auf das Geld des verstorbenen Vaters zugreifen. Das war auch notwendig, um die bisher angefallenen Kosten in Höhe von rund 20.000 Euro nach dem Tod des Vaters zu zahlen: für die Beerdigung, den Notar und die Hauskosten der ungenutzten Wohnung von monatlich 660 Euro. Diese Kosten fallen auch weiter an, bis die Wohnung verkauft ist. Aber das geht eben nicht ohne Erbschein.