Mülheim/Duisburg. Ein Mitarbeiter des Mülheimer AZ wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Ob die Polizeigewalt eine Überreaktion war, lässt das Landgericht offen.

Mehr als vier Jahre nach dem gewaltsamen Polizeieinsatz am Autonomen Zentrum (AZ) in Mülheim hat das Duisburger Landgericht jetzt ein Urteil gesprochen. Der mittlerweile 44-jährige AZ-Mitarbeiter O. wird schuldig gesprochen wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Der Vorwurf tätlicher Angriffe gegen einen Polizeibeamten wird fallen gelassen - er war auch nach drei Verhandlungstagen und ellenlangen Zeugenvernehmungen nicht zu beweisen.

Die 12. Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Ulrich Metzler hebt in diesem Punkt das Urteil des Amtsgerichtes Mülheim vom 2. Januar 2023 auf und spricht O. teilweise frei. Der Mülheimer, der am 8. Juni 2019 durch einen Polizeibeamten erheblich verletzt wurde, muss eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 Euro zahlen und trägt die Kosten des Verfahrens. O. ist seit mehr als zwei Jahrzehnten beim AZ angestellt.

Mülheimer AZ-Prozess: Staatsanwältin hält Polizeizeugen für glaubhaft

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Die Staatsanwältin hatte eine doppelt so hohe Geldstrafe gefordert: 60 Tagessätze à 25 Euro. Sie hält den Angeklagten für überführt und die Aussagen der am Einsatz beteiligten Polizeizeugen für glaubhaft. Dass - bis auf den Polizisten W., der zuschlug - niemand sonst einen angeblichen Kopfstoß des mit Handschellen gefesselten O. gesehen hatte, schreibt die Staatsanwältin der „tumultartigen Situation“ zu, die gegen 6 Uhr morgens am Eingang des AZ an der Auerstraße herrschte. Sie sieht den Tatbestand versuchter gefährlicher Körperverletzung erfüllt, zugleich aber einen Zustand verminderter Schuldfähigkeit. O. hatte zum Tatzeitpunkt deutlich über zwei Promille Alkohol im Blut.

Sein Strafverteidiger Daniel Werner hatte im Laufe des letzten Verhandlungstages noch einmal ärztliche Atteste verlesen, die vielfältige Verletzungen seines Mandanten dokumentieren, Fotos von Wunden und blau geschwollenen Händen nach Abnahme der Handschellen vorgelegt. „Wenn das der Täter einer Körperverletzung sein soll, möchte ich sehen, wie die Opfer aussehen.“ Die einzige Verletzung, die der Polizeibeamte W. nach eigener Schilderung erlitten hatte, war eine leicht lädierte Hand - nach dem Faustschlag in das Gesicht des AZ-Mitarbeiters.

Verteidigung plädierte auf Freispruch für den Mülheimer

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In seinem Plädoyer, mit dem Ziel eines Freispruchs für O., hatte der Verteidiger einen Schwerpunkt auf die Zeugenaussage des damals hinausgeworfenen AZ-Gastes gelegt. Dieser hatte angegeben, der bereits gefesselte, am Boden liegende O. sei von einem Polizisten mit der Faust geschlagen worden. Dieser Zeuge sei neutral, argumentierte Daniel Werner, weder der Nähe zur Polizei noch zu den AZ-Mitarbeitern verdächtig. Das Aussageverhalten der Polizeibeamten sei dagegen sprunghaft und widersprüchlich. Sie hätten eine Sondermotivation für belastende Aussagen, da gegen sie Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt laufen.

Letztlich, so der Anwalt, stehe Aussage gegen Aussage. Und es sei nachweislich rechtswidrig gewesen, die Identität seines Mandanten mit Zwang festzustellen, da er keinesfalls Verdächtiger einer Straftat, sondern allenfalls Zeuge gewesen sei - de facto nicht einmal das.

Angeklagter: Eskalation nur dem Ego des Polizeibeamten geschuldet

Der Angeklagte beschrieb sich in abschließenden Worten als „politischen Menschen“ seit Jugendzeiten. Die Eskalation des Einsatzes sei allein dem Ego des Polizeibeamten W. geschuldet. „Wenn ich meine Identität hätte verschleiern wollen, wäre ich einfach an der Theke sitzen geblieben.“ Statt dessen ging O. hinaus ans Tor, mit den bekannten Folgen.

Der Verteidiger des Mülheimer AZ-Mitarbeiters zeigte vor dem Landgericht mehrere Fotos, die unmittelbar nach dem Polizeieinsatz am 8. Juni 2019 entstanden sind. Aufgrund zu eng angelegter Handschellen habe er noch Monate später Taubheitsgefühle in den Händen verspürt, sagte O., der zu einer Geldstrafe wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde.
Der Verteidiger des Mülheimer AZ-Mitarbeiters zeigte vor dem Landgericht mehrere Fotos, die unmittelbar nach dem Polizeieinsatz am 8. Juni 2019 entstanden sind. Aufgrund zu eng angelegter Handschellen habe er noch Monate später Taubheitsgefühle in den Händen verspürt, sagte O., der zu einer Geldstrafe wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde. © N.O.

In der Urteilsbegründung zeigte sich die Kammer überzeugt, dass der Polizeieinsatz, auch die Personenkontrolle, rechtmäßig war. Dass der Angeklagte erheblich alkoholisiert war, wurde einerseits schuldmindernd gewertet, andererseits als Ursache für „ein gewisses Aggressionspotenzial“. Dafür spreche auch dessen „unflätiges“ Benehmen gegenüber dem Krankenhauspersonal.

Richter: Es konnte der Eindruck entstehen, dass man mauern will

Statt Zeugen vorzuschicken, die den gewaltsamen Rausschmiss des AZ-Gastes hätten aufklären können, seien drei Personen ans Tor getreten, die müde waren, die ganze Nacht gearbeitet und getrunken hätten. „Da konnte der Eindruck entstehen, dass man mauern will.“ Fakt sei, dass die Polizeibeamten vor Ort Anlass hatten, nachzufragen, und abgewimmelt wurden. „Alles, was später geschehen ist, macht diese rechtmäßige Handlung nicht unrechtmäßig“, so der Vorsitzende Richter.

Möglicherweise habe die Polizei später das Maß der Verhältnismäßigkeit überschritten, doch das sei nicht erwiesen. Falls O. zum Kopfstoß angesetzt habe, um W. zu verletzen, „dann war es berechtigte Polizeigewalt“, so der Richter. „Wenn nicht, kann es sein, dass es eine Überreaktion war.“ Dies habe man trotz aller Versuche nicht aufklären können. Daher gibt es auch keine Verurteilung des AZ-Mitarbeiters wegen Tätlichkeit. Gegen das Urteil ist Revision möglich, die O. und sein Verteidiger auch einlegen wollen, wie der Mülheimer gegenüber der Redaktion erklärte.

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