An Rhein und Ruhr. Der Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer NRW übt Kritik an der langsamen Sanierung der Deiche. Die könnten in Zukunft „sprechen“ lernen.

Langwierige Planungsverfahren, bürokratische Hindernisse, realitätsferne Varianten für Sanierungen, Personalmangel in den Behörden – das sind die wesentliche Gründe, warum Fachleute das Tempo beim Deichbau in NRW deutlich kritisieren.

Seit den durchaus bedrohlichen Hochwasserlagen Mitte der 90er-Jahre arbeitet man am Rhein an der Sanierung der Deiche. Ein Thema, das seit 25 Jahren auch den Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer NRW (kurz AK HuG) beschäftigt. Bei der Jubiläumstagung der Institution im Bürgerhaus in Rees kritisierte der Sprecher des Arbeitskreises, Holger Friedrich, die nur langsam voranschreitende Sanierung der Deiche.

Zehn Jahre Verzug beim Deichbau

„Die Umsetzung ist viel zu langsam“, sagte er. Immer mehr bürokratische Hindernisse gelte es beim Thema Deichbau zu überwinden, die Verfahren dauerten zu lange und teilweise würden Varianten für die Deichsanierungen diskutiert, die in der Realität nicht umsetzbar wären. „Wir gehen an der Bürokratie zugrunde“, kritisierte Friedrich. Er forderte mehr Personal an den zuständigen Stellen in den Behörden, um die Verfahren zu beschleunigen.

Holger Friedrich vom Deichverband Bislich-Landesgrenze ist Sprecher des Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer. Er kritisiert die Bürokratie rund um den Deichbau, die für langwierige Verfahren bei Sanierungsvorhaben sorgt.
Holger Friedrich vom Deichverband Bislich-Landesgrenze ist Sprecher des Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer. Er kritisiert die Bürokratie rund um den Deichbau, die für langwierige Verfahren bei Sanierungsvorhaben sorgt. © Funke Foto Services | Christian Creon

Seiner Kritik schloss sich der Reeser Bürgermeister Christoph Gerwers an. Er erinnere sich noch an Versprechen, dass die Sanierung der Deiche 2025 abgeschlossen sein sollte. Mittlerweile sei dieses Ziel auf das Jahr 2035 verschoben worden. „Und ich weiß nicht, ob bis dahin die Deiche saniert sind“, kommentierte Gerwers.

Mehr Personal für die Behörden

Die Kritik sei „durchaus nicht unberechtigt“ antwortete Ministerialdirigent Hans-Jörg Lieberoth-Leden, Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft und Bodenschutz im Umweltministerium des Landes NRW, auf die Worte des Arbeitskreissprechers. Man wolle den Verantwortlichen Deichgräfen mehr Unterstützung anbieten und zudem das Personal bei den zuständigen Stellen aufstocken. In Zukunft sollen damit die Verfahren für die Deichbaumaßnahmen beschleunigt werden. „Der Hochwasserschutz ist und bleibt ein Kernanliegen der neuen Landesregierung“, betonte Lieberoth-Leden.

Veränderungen beim Deichbau

Zumal sich, angesichts der Veränderungen durch den Klimawandel, auch die Frage stellt, ob überhaupt noch die richtige Art von Deichen gebaut werde. Diesem Thema widmete sich Prof. Holger Schüttrumpf, Inhaber des Lehrstuhls für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen. „Es ist nicht damit getan, einen Deich höher und breiter zu bauen“, erklärte er.

Zuerst einmal müsse man sich überlegen, ob das Bemessungshochwasser (BHQ) aus dem Jahr 2004 noch die passende Grundlage sei. „Das ist schon fast ein Bemessungswert aus Tradition“, kommentierte er. In Schleswig-Holstein blicke man beim Hochwasserschutz schon auf das Jahr 2100 – und damit in die Zukunft statt in die Vergangenheit. Zudem bräuchte es auch beim Deichbau Innovationen jenseits der Erhöhung der Bauwerke.

Die Deiche zum Sprechen bringen

Wenn es nach Prof. Holger Schüttrumpf geht, dann könnte das Thema Digitalisierung auch beim Deichbau Einzug halten – und zwar direkt an den Bauwerken für den Hochwasserschutz. Statt Deichläufer loszuschicken, die den Deich auf Schwachstellen überprüfen, sollte man Sensoren in die Deiche einbauen, die dann in Echtzeit Daten über den Zustand des Deiches liefern könnten. „Dann wüssten wir, wo wir hingehen müssen, um einen Deich zu verteidigen“, erklärte der Professor der RWTH Aachen bei der Jubiläumstagung des Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer NRW . „Wir bringen den Deichen das Sprechen bei.“ Das Problem bestünde darin, die langen Strecken der Deiche mit entsprechenden Sensoren auszustatten. Und auch die Technik selbst sei noch etwas von einem Praxiseinsatz entfernt.

Prof. Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen erklärte, wie man den Deichbau innovativer gestalten und damit sicherere Deiche schaffen könnte.
Prof. Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen erklärte, wie man den Deichbau innovativer gestalten und damit sicherere Deiche schaffen könnte. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Aber es gäbe auch andere Möglichkeiten, um einen Deich widerstandsfähiger gegen das Hochwasser zu machen. So gibt es etwa Kunststoffspundwände, die man in den Deich einbringen kann, um zu verhindern, dass Wasser durch den Deichkörper fließt. Oder man könnte Deiche mit geotextilen Schläuchen bauen: flächige, dreidimensionale Bauelemente aus Stoff, die mit Erdboden gefüllt werden. Die so entstehenden Bauwerke seien so widerstandsfähig, dass sie auch ohne Überbau halten würden.

Wasser über den Deich lassen

Eine weitere Idee ist es, überströmbare Deiche zu bauen. „Das wurde in der Vergangenheit immer ausgeschlossen“, berichtete Schüttrumpf. Schließlich vermittelt ein Deich, über den Wasser fließt, nicht unbedingt ein Gefühl von Sicherheit. Wenn das Wasser allerdings kontrolliert an einigen Stellen über das Bauwerk fließen kann, könnte das für mehr Stabilität sorgen, weil der Deich entlastet wird. „Es ist besser, wenn ein Deich überströmt wird und hält, als wenn er überströmt wird und versagt“, kommentierte der Experte.

Alles in allem, so die beruhigende Erkenntnis des Experten, baue man am Niederrhein aber sichere Deiche. „Aber die sollte man auch überall bauen“, sagte er mit Blick auf Kritik des Arbeitskreises zu den zu langsam voranschreitenden Deichsanierungen.