Kreis Wesel. Mehr Schutz für Gewaltopfer, Ausbau der Wasserstoffstrategie und Reduzierung des Investitionsstaus. Das ist die Agenda von Ingo Brohl für 2023.
Der Jahreswechsel ist immer auch die Zeit der guten Vorsätze. Viele werden nicht durchgehalten beziehungsweise überhaupt umgesetzt. Das zeigt die Erfahrung. Auf Anfrage der Redaktion hat der Kreis Weseler Landrat Ingo Brohl die verwaltungspolitischen Ziele formuliert, die er 2023 umsetzen möchte.
Ein Ziel für das kommende Jahr: die Erweiterung des Schutzes für Opfer von Gewalt. Zwei Frauenhäuser gibt es bislang im Kreis Wesel. „Mich beschäftigt als Landrat und als Behördenleiter der Kreispolizei Wesel Gewalt in unserer Gesellschaft sehr“, sagt der Landrat. „Daher wäre mir sehr lieb, wenn wir die Einrichtung eines weiteren Schutzhauses für von Gewalt betroffe Menschen und ihre Kinder neben den beiden bestehenden Frauenhäusern umsetzen könnten.“ Brohl fordert bei der Umsetzung Tempo: „Auch wenn hier eigentlich Bund und Land mindestens bei der Finanzierung schnell ihren Worten Taten folgen lassen sollten, bin ich der Meinung, dass der Kreis hier im Sinne der Betroffenen in Vorleistung gehen sollte.“
Landrat Ingo Brohl ist offen für einen Sozialgipfel
Auch den Bereich Kinder- und Jugendhilfe möchte der Landrat mehr in den Fokus rücken. Wie dramatisch die Zahl der Inobhutnahmen in den vergangenen Monaten gestiegen ist, hatte Kreisdirektor Ralf Berensmeier bereits im September deutlich gemacht und gleichzeitig einen größeren Personalbedarf angekündigt. Ingo Brohl signalisiert in dem Zusammenhang auch, eine Lösung für den steigenden Bedarf an Inobhutnahmestellen für Kinder und Jugendliche zu entwickeln.
Die existenziellen Sorgen durch die hohe Inflation nehmen auch im Kreis Wesel zu. Eine grundsätzliche Strategie, auch zur weiteren Unterstützung, gibt es dazu noch nicht. Ingo Brohl kündigt immerhin an, „die Idee eines Sozialgipfels mit einer positiven Grundeinstellung“ zu prüfen. Den Vorschlag hatte die SPD-Kreistagsfraktion vor rund drei Wochen in einem offenen Brief gemacht und von Ingo Brohl mehr Initiative gefordert. Allerdings müsse vorher durch die Politik geklärt sein, welcher Verantwortungslücke aus Bund und Land man sich im Kreis Wesel in welcher Größenordnung auch mit Haushaltsmitteln stellen wolle, „zumal es sich ja auch immer um Geld unserer Städte und Gemeinden handelt“. Die 13 Kreiskommunen zahlen übrigens im kommenden Jahr insgesamt rund 275,5 Millionen Euro an Kreisumlage. Die Rücklagen des Kreises sollen momentan bei mehr als 46 Millionen Euro liegen.
Basis für den sozialen Zusammenhalt ist laut Landrat auch die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Wesel. „Der Standort Kreis Wesel hat sich trotz vieler Krisen und Pandemie im zurückliegenden Jahr positiv weiterentwickelt“, sagt der Landrat. Dass die Entwicklung im nächsten Jahr weiter positiv ist, bezweifeln Handelskammern, Wirtschaftsverbände und Kreishandwerkerschaften allerdings stark.
Kreis Wesel will weiter auf den Ausbau von Wasserstoff setzen
Bei der strategischen Ausrichtung indes setzt Brohl weiter auf den „Ausbau unserer guten Position beim Thema Wasserstoff gemeinsam mit unseren Beteiligungen, dem Wasserstoffnetzwerk und unserer Fachstelle für Europa und Nachhaltige Kreisentwicklung“. Der Grundstein ist gelegt, allerdings steckt die Umsetzung in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen. Beim Hafenverbund Deltaport etwa, der zum Wasserstoff-Drehkreuz ausgebaut werden soll, geht man nicht vor 2024 oder 2025 von einer Realisierung aus. Jedoch: Um grundsätzlich weiterhin attraktiv für Unternehmen und Investoren zu sein, setzt der Kreis auf eine „Nachschärfung des Profils und Portfolios“ der Wirtschaftsförderung, der Entwicklungsagentur Wirtschaft (EAW). Den Strategieprozess will demnach der neue Leiter Lukas Hähnel durchführen.
Dass das Thema Kiesabbau ebenfalls auf der Liste steht, ist kaum überraschend. In dem Zusammenhang spricht der Landrat vom Erhalt der niederrheinischen, bäuerlichen Kulturlandschaft, die „für die Struktur des Kreises Wesel wesentlich“ bleibe. Dies betreffe „auch die Stärkung und Unterstützung unserer landwirtschaftlichen Betriebe zur Sicherung einer guten, regionalen Lebensmittelerzeugung“, so Brohl. Ein Standbein dazu soll die Ökomodellregion Niederrhein gemeinsam mit dem Kreis Kleve sein.
Eines der spannendsten Felder wird im kommenden Jahr sicherlich der Umgang mit dem Investitionsstau sein, den der Landrat im vergangenen Monat auf rund 91 Millionen Euro beziffert hat. In dem Zusammenhang überraschte er mit der Ausweitung des Vorstandsbereichs auf eine sechste Dezernentenstelle, die bekanntlich Svenja Reinert übernimmt. Eine Herausforderung, sagt der Landrat selbst. „Daneben“, so Brohl weiter, „müssen wir die sukzessive Entwicklung der Grafschaft Moers als verwaltungsnaher Partner für die Umsetzung von Bausteinen aus dem Pfad aufs Gleis setzen.“
Auch beim Thema Mobilität kündigt Brohl weitere Schritte an, zum Beispiel einen Mobilitätsgipfel, der im ersten Halbjahr 2023 steigen soll und die schrittweise Umsetzung des CO2-neutralen ÖPNV bis 2030. Generell habe man eine gute Basis gelegt, unter anderem mit der Stelle eines Mobilitätsmanagers oder der Einrichtung dreier X-Bus-Linien.