Kreis Wesel. Weseler Kreisdirektor warnt im Ausschuss für Kinder- und Jugendhilfe: Auch Sexualdelikte nehmen zu. Die Forderung: „Wir brauchen mehr Personal.“
Manchmal reicht ein Adjektiv, um eine Lage zu verdeutlichen. Exorbitant, zum Beispiel. Der Duden beschreibt die Wortbedeutung mit „außerordentlich, gewaltig, enorm, ungeheuer“. Und wenn Kreisdirektor Ralf Berensmeier im Ausschuss für Kinder- und Jugendhilfe sagt, „wir haben einen exorbitanten Anstieg“, dann horcht die Politik auf. So geschehen am Dienstag. Dort stellte der Allgemeine Soziale Dienst des Kreises (ASD) seine Arbeit vor, vor allem im Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
Das Kreisjugendamt ist für sieben Städte und Gemeinden zuständig: Alpen, Neukirchen-Vluyn, Xanten, Sonsbeck, Hünxe, Schermbeck und Hamminkeln. Dort behandelte der ASD im Jahr 2021 insgesamt 371 Fälle von Kindeswohlgefährdung, darunter rund 30 Sexualdelikte. Und laut Ralf Berensmeier werden diese Zahlen im laufenden Jahr deutlich steigen. Allein bis Ende Juli dieses Jahres habe das Kreisjugendamt 294 Fälle von Kindeswohlgefährdung aufgenommen, so der Kreisdirektor im Gespräch mit der Redaktion. Die Zahl der Sexualdelikte habe sich in diesem Zeitraum auf dem Niveau des gesamten vergangenen Jahres bewegt. Allerdings gehe man davon aus, dass die Zahl der Kindeswohlgefährdungen im Zuständigkeitsbereich des Kreisjugendamtes bis Ende dieses Jahres auf rund 450 ansteigt, und damit auch die Zahl der Sexualdelikte im Vergleich zum Vorjahr.
Handlungsfeld sexualisierte Gewalt: Kreis Wesel richtet neue Schnittstelle ein
In diesem Spannungsfeld hat der Kreis eine neue Schnittstelle eingerichtet. Vier Mitarbeiterinnen des ASD wurden zu Fachkräften im Handlungsfeld sexualisierte Gewalt weitergebildet und sollen die Kolleginnen und Kollegen unterstützen, sobald der erste Verdacht aufkommt. Sie helfen in der Fallberatung, bei Gesprächen mit den betroffenen Kindern und Familien sowie den beteiligten Fachgremien und bei der Suche nach geeigneten Hilfsangeboten.
Es geht um Vernetzung und Unterstützung, um Entlastung, Aufklärung und Einfühlungsvermögen, besonders bei den Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Materialien zur Unterstützung der Gesprächsführung werden derzeit erstellt und sollen auch in das Handbuch der Sozialen Dienste übertragen werden.
Allgemeine Soziale Dienst des Kreises (ASD): Belastung ist hoch
Vor allem aber geht es um Schnelligkeit – um schnelle Hilfen und eine schnelle Sicherung der Aussagen, um sie gerichtssicher zu machen und den Betroffenen eine erneute Aussage vor Gericht zu ersparen. Kooperationsgespräche mit den zuständigen Gerichten seien bereits in Planung, sagten die Fachkräfte in der Sitzung am Dienstag.
Dort bekräftigten sie, dass auch die ASD-Kolleginnen und -Kollegen nicht allein gelassen werden. Fälle sexuellen Missbrauchs seien schließlich auch für sie eine große Belastung. Hinzu kommen die in sämtlichen ASD-Bereichen gestiegenen Fallzahlen, die Kreisdirektor Ralf Berensmeier deutlich werden ließ. Die Arbeitsbelastung sei seit geraumer Zeit sehr hoch, so Berensmeier: „Der ASD pfeift aus dem letzten Loch.“
Weseler Kreisdirektor: „Wir brauchen mehr Personal“
Das Personalkontingent im ASD liegt derzeit bei 15,25 Stellen, verteilt auf 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ohne zusätzliche Mitarbeiter werde diese Arbeit in Zukunft nicht zu schaffen sein, kündigte der Kreisdirektor an. „Wir brauchen mehr Personal.“ Diesen Mehrbedarf werde man auch geltend machen müssen. „Darauf muss sich die Politik einstellen.“ Die Ausschussmitglieder signalisierten breite Unterstützung. Die Arbeit sei so wichtig, dass „Ihnen jede personelle Unterstützung von unserer Seite sicher sein muss“, sagte Richard Stanczyk von der SPD.
Probleme, geeignete Bewerberinnen und Bewerber für den Bereich zu bekommen, hat der Kreis Wesel offenbar nicht. Bislang sei es immer so gewesen, dass es mehr Bewerbungen als ausgeschriebene Stellen gegeben habe, so Ralf Berensmeier, darunter auch qualitativ hochwertige Bewerbungen. „Das zeigt, dass der Kreis immer noch ein attraktiver Arbeitgeber ist.“
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