Kleve/Nimwegen. Ab sofort darf man in Deutschland und in den Niederlanden Cannabis mit sich führen. Was das für die Coffeeshops an der Grenze bedeutet.

Am 1. April tritt das deutsche Cannabisgesetz in Kraft. Zur Überraschung vieler hat der Bundesrat dem Gesetzesentwurf zugestimmt. Ab dem 1. April dürfen Deutsche 25 Gramm Cannabis mit sich führen. Doch was bedeutet das Gesetz für die Grenzregion? Werden die Deutschen nun in Scharen die niederländischen Coffeeshops aufsuchen, weil es in Deutschland noch keine Infrastruktur gibt? Die NRZ sprach mit Nimwegens Bürgermeister Hubert Bruls über die möglichen Folgen.

NRZ: Ab dem 1. April dürfen die Deutschen auf offener Straße kiffen.

Hubert Bruls: Na, Herzlichen Glückwunsch! (lacht)

NRZ: Wir dürfen dann 25 Gramm Cannabis mit uns führen. Was glauben Sie, werden die Deutschen jetzt Ihre Coffeeshops stürmen, weil der Besitz jetzt legal wird? Man darf Cannabis zwar nicht importieren, aber was man darf und was gemacht wird, sind immer noch zwei verschiedene Paar Schuhe.

Hubert Bruls: Es hängt von der deutschen Polizei ab, wie gut kontrolliert wird. Ich habe volles Vertrauen in die deutschen Behörden, dass sie an der Grenze kontrollieren.

Hubert Bruls, Bürgermeister von Nimwegen, kennt die neuen Cannabis-Regelungen in Deutschland ziemlich gut.
Hubert Bruls, Bürgermeister von Nimwegen, kennt die neuen Cannabis-Regelungen in Deutschland ziemlich gut. © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Der Glaube an die deutsche Polizei ehrt sie. Aber Innenminister Herbert Reul hat bereits gesagt: „Ich sage Ihnen, ich habe keine Lust, meine Polizisten mit so einem Scheiß zu beschäftigen.“

Hubert Bruls: Okay, das ist motivierend für die Polizisten. (lacht)

NRZ: Ernsthaft: Haben Sie Sorge, dass es jetzt mehr Drogentourismus geben wird?

Hubert Bruls: Das glaube ich nicht. Es gibt schon Drogentourismus, aber der ist in Nimwegen nicht sehr groß. Andere Grenzstädte haben damit mehr Probleme. Und ich gehe auch nicht davon aus, dass nach dem 1. April plötzlich viele Deutsche anfangen zu kiffen. Es wird nicht auf einmal einen starken Drogentourismus geben. Denn diejenigen, die bisher nicht zu Cannabis gegriffen haben, werden es auch nach dem 1. April nicht tun. Wer bisher heimlich gekifft hat, wird es jetzt offener tun.

Der Bürgermeister von Nimwegen Hubert Bruls im Gespräch mit Andreas Gebbink, Leiter der NRZ Kreisredaktion Kleve.
Der Bürgermeister von Nimwegen Hubert Bruls im Gespräch mit Andreas Gebbink, Leiter der NRZ Kreisredaktion Kleve. © NRZ | Marten Düppers

NRZ: Aber genau das ist das Problem: Bisher musste man es heimlich tun, jetzt darf man in Deutschland 25 Gramm mit sich führen und in den Niederlanden fünf Gramm im Coffeeshop kaufen.

Hubert Bruls: Solange es sich um kleine Mengen handelt, ist das in der Tat kein Problem. Bei größeren Mengen kann man davon ausgehen, dass es nicht für den Eigenbedarf, sondern für den Handel bestimmt ist. Und Handel ist verboten. Das ist aber sehr schwer nachzuweisen. Aber noch einmal: Die Drogentouristen an sich sind nicht das Problem, die Probleme sind eher der Verkehr und das Parken. Ich erwarte nicht, dass die Nachfrage in den Coffeeshops deutlich steigen wird. Denn eines ist auch klar: Das Risiko, an der Grenze erwischt zu werden, bleibt. Denn importieren darf man Cannabis nicht.

Deutsche, passt auf euer System auf!
Hubert Bruls, - Bürgermeister in Nimwegen

NRZ: Aber wenn ich fünf Gramm in einem niederländischen Coffeeshop kaufe, kann ich damit legal bis zur Grenze fahren. Dann muss ich kurz illegal über die Grenze treten, und in Deutschland habe ich wieder 25 Gramm legal dabei. Wer will das kontrollieren?

Hubert Bruls: Das ist in der Tat schwierig. Denn man muss an der Grenze erwischt werden, weil man das Cannabis nicht selbst transportieren darf. Aber das Gesetz sagt nicht, dass das Cannabis nicht aus den Niederlanden kommen darf.

Viel problematischer finde ich übrigens die Cannabis-Anbauvereine. Wenn man sich mit 500 Leuten zusammenschließen darf, frage ich mich: Wie will man das kontrollieren? Bei 1500 Pflanzen reden wir über große Mengen, und wie kann man sicherstellen, dass diese Cannabis-Clubs nicht in die Fänge von Kriminellen geraten, vielleicht sogar von niederländischen Kriminellen? Denn die holländischen Drogenkriminellen kennen die logistischen Abläufe sehr gut. Ich würde sagen: Deutsche, passt auf euer System auf!

Die Cannabis-Clubs sind sicher eine interessante Idee, aber ob sie wirklich den illegalen Markt unterbinden? Das muss kritisch hinterfragt werden.

Für einen Joint benötigt man 0,3 Gramm Marihuana.
Für einen Joint benötigt man 0,3 Gramm Marihuana. © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Vielleicht werden auch Niederländer einen Cannabis-Club gründen?

Hubert Bruls: Das wird sicherlich der Fall sein. Es gibt eine Menge Niederländer, die in Deutschland wohnen. Ich bin gespannt, wie das funktionieren wird.

NRZ: Ein Argument für die Legalisierung von Cannabis ist die Unterbindung des illegalen Handels. Das hat in den Niederlanden nicht funktioniert.

Hubert Bruls: Nein, das hat bei uns überhaupt nicht funktioniert. In den 70er Jahren wollten wir mit den Coffeeshops den Konsum von Cannabis kanalisieren, aber wir haben den Anbau von Cannabis nicht legalisiert. Über die Handelsnetzwerke haben sich nicht nur Cannabisproduzenten vernetzt, sondern zum Beispiel auch Produzenten von synthetischen Drogen. Das ist völlig aus dem Ruder gelaufen.

NRZ: Hat die Legalisierung von Cannabis in den Niederlanden dazu beigetragen, dass die Drogenproblematik stark zugenommen hat?

Hubert Bruls: Auf jeden Fall sind Netzwerke entstanden und eine Logistik, die den Drogenhändlern geholfen hat. Denn irgendwann haben die Händler auch mit härteren Drogen gedealt. Wir haben also eine Infrastruktur geschaffen, die auch den Handel mit harten Drogen (Heroin, Kokain) begünstigt hat. In den 70er Jahren waren die Niederlande kein Drogenexporteur, heute sind wir eines der wichtigsten Exportländer für chemische Drogen. Dafür muss man sich hier schämen.

Auf diese Blüten kommt es an. 
Auf diese Blüten kommt es an.  © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Ist Deutschland mit diesem Cannabisgesetz auf dem Weg, wie die Niederlande zu enden?

Hubert Bruls: Man muss sehr wachsam sein, und Deutschland kann viel vom niederländischen Beispiel lernen. Man darf nicht naiv sein: Die Kriminellen, die ihre Netzwerke haben, die wissen, wie man mit Drogen viel Geld verdient, die werden versuchen, von diesem neuen System zu profitieren. Wer jetzt zum Beispiel synthetische Drogen herstellt, wird vielleicht bald einen Cannabis-Club gründen, sich brav an die Regeln halten und dann sein neu gewonnenes Netzwerk von 500 Leuten nutzen, um zum Beispiel XTC zu verkaufen.

NRZ: Auch in den Niederlanden gibt es neue Regelungen zum Cannabiskonsum.

Hubert Bruls: Ja, wir starten ein Cannabis-Experiment, bei dem zum ersten Mal unter staatlicher Aufsicht angebaut wird. Das Cannabis darf dann in zehn niederländischen Städten verkauft werden, unter anderem in Nimwegen. Wir starten am 17. Juni. Was mich an der deutschen Lösung wundert, ist, dass man nicht mit einem Experiment angefangen hat. Dann hätte man sehen können, ob so ein System unter staatlicher Aufsicht funktioniert. Man hätte Erfahrungen sammeln können, wie man Kriminelle aus dem System heraushält, man hätte sehen können, wie man illegale Strukturen austrocknet und ob das Ganze auch Vorteile für die Gesundheit der Konsumenten hat, weil kontrolliert angebautes Cannabis nicht gestreckt wird.

Was die Deutschen jetzt machen, ist schon ein starker Eingriff in das System. Und ich kann Ihnen jetzt schon versichern, dass es unerwartete Effekte geben wird, die man vorher nicht bedacht hat. Das ist ziemlich - na ja, wie soll ich das jetzt freundlich formulieren -: mutig. Ich wundere mich auch, dass es meines Wissens keinen Austausch zwischen Deutschland und den Niederlanden zu diesen Fragen gegeben hat.

NRZ: Die Gewächshäuser, in denen das Cannabis für Nimwegen angebaut werden soll, sind zum Teil noch im Bau. Ist der 17. Juni als Starttermin realistisch?

Hubert Bruls: Ob das Projekt ein Erfolg wird, wird sich zeigen. Wir haben die Änderungen im Oktober 2017 angekündigt und nach sechseinhalb Jahren zu starten, finde ich nicht schnell. Besonders schwierig war es, genügend Cannabiszüchter zu finden. Derzeit gibt es nur drei Züchter, die Cannabis liefern können. Zum Start Mitte Juni werden es voraussichtlich fünf sein. Aber diese fünf Cannabis-Züchter müssen alle zehn Gemeinden beliefern.

Es gibt daher die Sorge, ob die Lieferanten in der Lage sind, ausreichende Mengen in guter Qualität zu liefern. Auch das Angebot an Cannabisprodukten muss entsprechend vielfältig sein. Das bleibt eine Herausforderung. Bis Mitte September dürfen die Coffeeshops in Nimwegen sowohl legal als auch illegal angebautes Cannabis verkaufen. Es ist nicht so einfach, den Anbau zu sichern, denn es gibt nicht viele Gärtner, die von Paprika oder Gurken auf Cannabis umstellen. Die Hanfpflanze ist empfindlich, man muss viel investieren und geht ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko ein.

NRZ: Wenn sie den Anbau verstaatlichen, dann wird das in der kriminellen Unterwelt auch für Unruhe sorgen.

Hubert Bruls: Die zehn Städte, die an diesem Projekt teilnehmen, repräsentieren einen begrenzten Markt. Die Großstädte Amsterdam, Den Haag und Rotterdam sind zum Beispiel nicht dabei. Sicher, wenn das Projekt in vier Jahren vielleicht landesweit eingeführt wird, wird sich die Situation im Inland natürlich ändern. Aber ich glaube nicht, dass wir damit den illegalen Markt austrocknen, denn ein Großteil der niederländischen Drogenproduktion geht ins Ausland.

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