Amsterdam/Kreis Kleve. Erstmals soll in den Niederlanden 2023 legal Cannabis fürs freie Kiffen im Coffeeshops angebaut werden. Die NRZ sprach mit einem der Investoren.

Die Revolution auf dem Cannabismarkt soll nicht mehr so lange dauern: Im Oktober möchten Paul Wilhelm und Edwin van der Knaap mit dem Anbau von Hanfpflanzen in einem zwei Hektar großen Gewächshaus in Bemmel endlich beginnen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Niederlande werden sie legales Cannabis herstellen dürfen – nicht für medizinische Zwecke, sondern fürs freie Kiffen im Coffeeshop.

Aus der Illegalität geholt

Paul Wilhelm und seine Geschäftspartner nehmen an einem landesweiten Experiment teil. Die niederländische Regierung hat im Jahr 2020 zehn Konzessionen vergeben, um vier Jahre lang legal Cannabis anbauen zu dürfen. Eine Konzession ging an das Unternehmen Cannamax. Was sich in Deutschland noch in der politischen Diskussion befindet, setzen die Niederländer gerade um: Der Cannabisanbau wird aus der Illegalität geholt.

Noch in diesem Jahr soll die Produktion von legalem Cannabis in den Niederlanden starten. Der Verkauf soll im Frühjahr 2024 beginnen – unter anderem in Nimwegen und Arnheim. Hier eine Aufnahme aus Ebersbach bei Dresden, wo Cannabis für medizinische Zwecke angebaut wird.
Noch in diesem Jahr soll die Produktion von legalem Cannabis in den Niederlanden starten. Der Verkauf soll im Frühjahr 2024 beginnen – unter anderem in Nimwegen und Arnheim. Hier eine Aufnahme aus Ebersbach bei Dresden, wo Cannabis für medizinische Zwecke angebaut wird. © AFP | Jens Schlueter

Paul Wilhelm betreibt seit 35 Jahren drei gut laufende Coffeeshops in Amsterdam und er weiß, was es heißt, immer in einer rechtlichen Verbotszone arbeiten zu müssen, in der der Verkauf von Cannabis von Justizias Gnaden nur geduldet wird. Der Anbau ist in den Niederlanden nach wie vor strafbar – und auch der Besitz über fünf Gramm. „Im Grunde lebe ich schon mein ganzes Leben in einem Experiment“, erzählt Wilhelm in seiner Amsterdamer Wohnung der NRZ. Der legale Versuchsanbau sei ein wichtiger Schritt hin zu einem freien Cannabismarkt. Die Legalisierung sei nur noch eine Frage der Zeit, meint er.

Der Anbau in Bemmel.
Der Anbau in Bemmel. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Der Coffeeshop-Betreiber verfügt über viel Erfahrung. Und man ahnt im Gespräch, dass der 59-Jährige die goldenen 70er Jahre genossen hat: Flower Power, Amsterdam als Hippie-Hauptstadt – das war seine Zeit. Doch das Geschäft hat sich gewandelt. Der Verkauf von Cannabis hat sein unschuldiges Dasein verloren, ist ein hartes Geschäft geworden: „Die Romantik der 60er bis 80er Jahre ist verschwunden“, sagt Wilhelm. Auf seinem Esszimmertisch liegen Het Financieele Dagblad und NRC Handelsblad – der Investor der Private Equity-Gesellschaft Kenzoll B.V. muss wissen, was in der Wirtschaftswelt so los ist.

Was befindet sich eigentlich im Cannabis?

Der legale Anbau von Cannabis werde weitreichende Folgen für den Markt haben, sagt Paul Wilhelm. Zum ersten Mal könne man überprüfen, was sich eigentlich im Cannabis befindet. Denn bislang wisse man das nicht 100-prozentig, weil der Anbau ja verboten ist. Die niederländische Lebensmittelbehörde (Voedsel en Warenautoriteit, NVWA) wird die Cannabisprodukte in Bemmel regelmäßig unter die Lupe nehmen. Erst dann kann man wissen, ob sich möglicherweise Pestizidrückstände von Pflanzenschutzmitteln im Cannabis befinden oder ob sich Schwermetalle angereichert haben. In dem Gewächshaus von Cannamax werden die Pflanzen sowohl auf Steinwolle als auch in der Erde wachsen. Paul Wilhelm: „Für mich ist das Wichtigste, dass wir jetzt zum ersten Mal garantiert sauberes Cannabis in den Coffeeshops verkaufen können.“

„Die Qualität des Cannabis wird sich verbessern“, ist Wilhelm überzeugt. „Denn die heutigen Produzenten arbeiten unter Stressbedingungen. Sie müssen immer Angst haben, erwischt zu werden. Da werden die Pflanzenblüten nicht zum richtigen Zeitpunkt gepflückt oder sie werden nicht anständig getrocknet – das hat Auswirkungen auf die Qualität“, erklärt er. Wie er jetzt ans Cannabis für seine Coffeeshops kommt? Darüber kann er nicht reden, weil er sich sonst strafbar macht.

Großes Gewächshaus wird für den Anbau errichtet

Der Boden ist bereitet. Die Gewächshäuser in Bemmel können bald errichtet werden. 
Der Boden ist bereitet. Die Gewächshäuser in Bemmel können bald errichtet werden.  © NRZ | Andreas Gebbink

In dem großen Gewächshaus in Bemmel soll das alles professioneller ablaufen. Auf 7000 Quadratmetern können optimale Bedingungen geschaffen werden. „Cannabis ist eine schwierige Pflanze“, sagt Wilhelm. Sie ist schnell zickig und nimmt es übel, wenn sie zu wenig Licht oder Wärme bekommt, wenn die Nährstoffversorgung nicht optimal ist oder die Luftfeuchtigkeit zu hoch. „Sie ist eben eine echte Frau“, lacht Wilhelm. Im Cannabisanbau sind nur die weiblichen Pflanzen für den Rausch nutzbar.

Zehn Anbauer für zehn Städte

Das Cannabisprojekt

An dem Cannabisprojekt nehmen elf Städte in den Niederlanden teil. Es gibt zehn Konzessionen für den legalen Anbau. Über 100 Coffeeshops werden beliefert. Insgesamt gibt es in den Niederlanden 560 Coffeeshops. Vom Anbau bis zum Verkauf soll die Kette geschlossen sein und überwacht werden.

Der genaue Projektstart wurde noch nicht festgelegt. Vermutlich Anfang 2024 soll der Verkauf von legalem Cannabis starten. Der Anbau in Bemmel soll im vierten Quartal 2023 den Betrieb aufnehmen.

Neben dem Anbau möchte Cannamax auch eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Bemmel aufbauen. Die besten Entwickler des Landes sollen hier arbeiten.

Aktuell dürfen Coffeeshops maximal 500 Gramm Cannabis bevorraten, danach müssen sie neu beliefert werden. Dies entspricht allerdings nicht der gängigen Praxis, da einzelne Coffeeshops mehrere Kilo pro Woche umsetzen können.

Im Rahmen des landesweiten Cannabis-Experiments dürfen die zehn Produzenten 79 Coffeeshops in zehn ausgesuchten Städten beliefern. Dazu zählen Arnheim, Almere, Breda, Groningen, Heerlen, Voorne aan Zee, Maastricht, Nimwegen, Tilburg und Zaanstad.

Seit kurzem hat sich auch die Stadt Amsterdam beworben, hier darf ein Stadtteil mit gut 20 Coffeeshops teilnehmen. Nur in diesen Städten darf das legale Cannabis verkauft werden. Und: In diesen Städten dürfen die Coffeeshop-Betreiber keine illegalen Cannabisprodukte außerhalb des Experiments mehr verkaufen. Dies wird vom Justiz- und Gesundheitsministerium kontrolliert. Jedes Cannabis-Produkt erhält eine Track-and-Trace-Nummer, so kann man immer sehen, wo es sich befindet. Seine eigenen Coffeeshops in Amsterdam kann Wilhelm nicht beliefern.

Illegale Strukturen werden jetzt genutzt

Um den Weg in den illegalen Anbau zu vollziehen, sind die zehn ausgesuchten Cannabis-Produzenten zu Beginn auf das Wissen und die Pflanzen der illegalen Anbauer angewiesen: Denn: Die Cannabispflanzen, die in den Gewächshäusern eingebracht werden sollen, fallen ja nicht vom Himmel. Paul Wilhelms erklärt: „Wir erhalten vom Staat Ende des Jahres zwei Wochen lang die Gelegenheit, die Gewächshäuser mit 1000 Jungpflanzen zu füllen. Danach schließt sich das Zeitfenster und es dürfen keine Cannabispflanzen von außen mehr zugeführt werden.“ Innerhalb dieser zwei Wochen lässt die niederländische Justiz zu, dass der legale Anbau mit Produkten aus der illegalen Welt starten kann.

Ob der legale Cannabis im Markt ankommt, wird sich zeigen. Die Produzenten sind vom Erfolg überzeugt.
Ob der legale Cannabis im Markt ankommt, wird sich zeigen. Die Produzenten sind vom Erfolg überzeugt. © AFP | Jens Schlueter

Paul Wilhelm hofft darauf, dass das vierjährige Experiment wirklich ein Erfolg wird. Dies hänge letztlich vom Markt ab. Denn auch die Produkte aus dem legalen Anbau müssen über Qualität, Auswahl und Preis konkurrieren. Was den Preis angeht, sieht Wilhelm gute Chancen marktfähig zu sein. Denn schließlich könne man in einem großen Maßstab anbauen. 20 bis 30 unterschiedliche Cannabispflanzen wolle man züchten. In der illegalen Welt verfügen die Cannabis-Anbauer meist nur über 200 und 400 Quadratmeter. Wilhelm: „Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr gutes Cannabis mit einer bis dato unerreichten Qualität produzieren werden. Dies wird die Coffeeshop-Branche, wie wir sie bislang kennen, völlig verändern.“

Internationale Rechtsnormen müssen verändert werden

Der Investor sieht, dass sich weltweit das Denken über Cannabis verändert. In Kanada, Israel oder in einzelnen Staaten der USA wurde der Anbau und der Konsum bereits legalisiert. Und dies werde sich auch in Europa durchsetzen, ist sich Wilhelm sicher. Laut internationaler Verträge (EU-Verordnungen oder die Single-Convention Genf von 1961) bleibt der Anbau von Cannabis illegal. Auch diese Rechtsnormen müssen auf internationaler Ebene verändert werden.