Goch. Die Ukrainerin Olexandra Kandieieva lebt mit ihren Töchtern seit Mai in Goch. 2022 war ein schreckliches Jahr. Doch sie hat Hoffnung für 2023

Das Leben kann sich so schnell ändern: Als die Ukrainerin Olexandra Kandieieva Ende Februar mit ihren Töchtern Lolita und Taisiia aus Chernomorsk (bei Odessa) vor den Bomben flüchtete, da hatte sie noch nicht gedacht, dass sich dieser Krieg so lange hinziehen würde: „Die meisten sind davon ausgegangen, dass wir nach einigen Wochen wieder zurückkehren können“, erzählt sie. Doch die Wochen vergingen und mittlerweile lebt Olexandra mit ihren Kindern seit sieben Monaten in Goch-Asperden und sie muss davon ausgehen, dass sie auch das nächste Jahr am Niederrhein verbringen wird. Aber sie hofft und sie ist zuversichtlich, dass sich 2023 vieles zum Besseren wendet: „Auch wenn es dauern wird, die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen“, sagt sie.

Ukrainer im Kreis Kleve

Im Kreis Kleve sind mittlerweile viele Ukrainer angekommen, die in zentralen Unterkünften oder bei Privatpersonen leben. Wer die deutsche Sprache beherrscht, der kann sich schnell integrieren und einer Arbeit nachgehen. Leider gebe es nur wenige Unternehmen, die englischsprechende Personen annehmen. Bei ihrer Suche ist Olexandra Kandieieva nicht fündig geworden.

Mit vier Personen leben sie jetzt auf 50 Quadratmeter. Und daher suchen sie jetzt in Goch eine größere Wohnung. Das Sozialamt würde ihnen 80 Quadratmeter zugestehen.

Wer der Familie helfen möchte, der meldet sich gerne bei Nicole Peters in Goch-Asperden. Einen Kontakt gibt es über die NRZ. E-Mail an die Adresse: lok.kleve@nrz.de

Olexandra Kandieieva hat gerade das Mittagessen zubereitet. Es ist ein Tag vor Silvester und es ist das erste Mal, dass sie mit ihren Kindern den ukrainischen Feiertag in der Fremde verbringen muss. Sie möchte mit Nicole Peters und Waldemar Kowalewski – die beiden Gocher, die sie herzlich aufgenommen haben – gemeinsam etwas Leckeres kochen und einen schönen Abend haben. Unbeschwert wird er vielleicht nicht, aber sie fühlt sich sicher in Asperden. „Ich weiß nicht was wird, ich habe mein altes Leben verloren“, sagt Olexandra.

Die lange Flucht nach Goch

Seit Mitte Mai wohnt sie bei Nicole Peters, nachdem sie eine dreimonatige Odyssee hinter sich gebracht hat. Als sie nachts die Bomben in ihrer Heimat hörte und die Sirenen des Luftalarms, da brach völlige Panik aus: „Wir wollten alle nur noch weg. Wir waren so ängstlich. Es war eine ganz schwierige Situation“, erinnert sie sich. Am zweiten Kriegstag stieg sie mit ihren Töchtern ins Auto und machte sich auf den Weg nach Moldau. Hier blieben sie einige Zeit bei einer Freundin, ehe das Geld zu Ende ging. Die Flucht führte sie letztlich nach Deutschland. Eine weitere Freundin weilte bereits in Kleve, im Franziskus-Haus. Aber hier konnte die 43-jährige Mutter nicht unterkommen - es war schon alles belegt.

Die drei Frauen wurden in der Klever Braustraße untergebracht, was alles andere als angenehm war. Hier dominieren die Männer und auch die sanitären Anlagen werden in Gemeinschaft genutzt. „Ich bin so froh, dass wir den Kontakt zu Nicole gefunden haben“, erzählt sie. Über die Internetseite „Ukraine-unterkunft.de“ kam die Beziehung zustande. „Wir wollten sie ursprünglich drei Wochen aufnehmen“, erzählt Nicole Peters. Aber mittlerweile habe sich eine Freundschaft entwickelt.

Deutsch-Kenntnisse sind extrem wichtig

Olexandra hat zuletzt als Kosmetikerin gearbeitet, aber auch Wirtschaftswissenschaften studiert und im Bereich Marketing gearbeitet. Sie hofft darauf, dass sie auch in Deutschland eine Arbeit finden kann. Aber ohne Deutsch-Kenntnisse ist dies schwierig. Sie spricht Englisch und lernt gerade mit ihrer älteren Tochter Deutsch. Das alles dauert.

Im November reiste Olexandra noch einmal in die Ukraine, um ihre 80-jährige Mutter Lyudmila abzuholen. Denn die Situation im Raum Odessa ist nicht besser geworden: „Es gibt keinen Strom, keine Heizung, nur phasenweise Telefon und im Winter ist es echt kalt“, sagt sie. 2000 Kilometer sei sie innerhalb von drei Tagen mit ihrem kleinen Auto gefahren: „Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. Aber ich hatte auf einmal einen so starken Willen. Und auch heute bin ich davon überzeugt, dass sich alles zum Guten wenden wird“, sagt sie. „Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich meine Kinder sicher hätte unterbringen sollen.“

Dankbar für die Hilfe

Von ihrem Mann lebt sie seit vielen Jahren getrennt. Er befindet sich noch in der Ukraine. Auch ihre Schwester lebt mit Kindern und Ehemann in der Nähe von Odessa. Da die beiden verheiratet sind, wollte ihre Schwester ihn nicht verlassen. Nur Männer mit drei Kindern und ab einem gewissen Alter dürfen das Land verlassen, berichtet Olexandra. Sie telefoniert mit ihrer Schwester, wenn es möglich ist.

Für die Unterkunft in Asperden ist Olexandra sehr dankbar. Ohne die Hilfe von Nicole Peters und Waldemar Kowalewski hätte sie es ungleich schwerer gehabt. Als sie das erzählt, verdrückt sie Tränchen. Man spürt ihre tiefe Dankbarkeit.

Die Behördengänge sind ohne Deutschkenntnisse kaum zu bewältigen. Alle behördlichen Schreiben sind auf Deutsch und „es ist alles extrem kompliziert“, findet Nicole Peters. „Ich weiß gar nicht, wie die anderen das alles machen“, fragt sich auch Waldemar Kowalewski. Selbst so wichtige Regelung wie eine Krankenversicherung läuft nicht ohne Weiteres. „Es dauert alles sehr lange. In Sachen Digitalisierung sind uns die Ukrainer wirklich viele Schritte voraus. Die haben alle ihren Personalausweis und die Krankenversicherungskarte im Handy. Da macht keiner mehr etwas auf Papier“, schildert Nicole Peters.

Lolita studiert online in Odessa

Die Digitalisierung hilft auch dabei, dass Tochter Lolita ihr Wirtschaftsstudium in Odessa weiter verfolgen kann. Ihre jüngere Schwester Taisiia besucht in Goch das Gymnasium in einer Integrationsklasse. Ihre Fortschritte in Deutsch seien beachtlich, findet Nicole Peters.

Nach gut einer Stunde Gespräch bleibt nur alles Gute zu wünschen und die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende auszusprechen.