Kleve/Emmerich. Leiharbeiter im Grenzgebiet: Kooperation deutscher und belgischer Gewerkschaften zur gegenseitigen Rechtsvertretung in Kleve unterzeichnet.

Die prekären Wohnverhältnisse osteuropäischer Leiharbeiter im Kreis Kleve, die häufig in der niederländischen Fleischindustrie tätig sind, sind ein Thema, das immer größere Aufmerksamkeit bekommen hat. Am Donnerstag fand bei der Euregio Rhein-Waal eine Hybridtagung zum Thema „Faire Mobilität im Grenzraum DE-BE-NL“ statt.

Im Rahmen dieser Tagung wurde das altehrwürdige Haus Schmithausen nebenan der Ort, an dem eine Kooperationsvereinbarung zur gegenseitigen Rechtsvertretung zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem belgischen Pendant (ABVV-FGTB) feierlich unterzeichnet wurde. Durch den Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann und seinem belgischen Funktionärskollegen Thierry Bodson.

Harmonisierung der Besteuerung gefordert

Rund 40 Gäste bei der Euregio Rhein-Waal und weitere online per Zoom verfolgten die Hybridtagung „Faire Mobilität im Grenzraum DE-BE-NL“.
Rund 40 Gäste bei der Euregio Rhein-Waal und weitere online per Zoom verfolgten die Hybridtagung „Faire Mobilität im Grenzraum DE-BE-NL“. © DGB NRW | Frank Opriel

Man wolle „die Grenzarbeiter in der Gewerkschaftskooperation besser vertreten“, hob Bodson hervor. Das sei eine große Herausforderung, denn die Gesetze seien nicht auf beiden Seiten der Grenze gleich. Europa müsse über eine „Harmonisierung der Besteuerung und Mindestlöhne“ sprechen, um unlauteren Wettbewerb zu verhindern.

Dem pflichtete Hoffmann bei: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das ist der gewerkschaftliche Anspruch über Grenzen hinweg.“ Es gebe viele Herausforderungen zu meistern. Der gewerkschaftliche Rechtsanspruch auf beiden Seiten der Grenze sei ganz praktisch nutzbar.

Hybridtagung vor Ort und online

Die Kreis Klever Landrätin Silke Gorißen begrüßt das neue Wohnraumstärkungsgesetz, mit dem die Kommunen eine bessere Handhabe haben, um Missstände in der Unterbringung von Leiharbeitern zum Beispiel zu beheben.
Die Kreis Klever Landrätin Silke Gorißen begrüßt das neue Wohnraumstärkungsgesetz, mit dem die Kommunen eine bessere Handhabe haben, um Missstände in der Unterbringung von Leiharbeitern zum Beispiel zu beheben. © DGB NRW | Frank Opriel

Ansonsten stand bei der technisch gelungenen Hybridtagung, bei der rund 40 Gäste vor Ort lauschten und weitere online per Zoom die Vorträge verfolgten, die Entwicklung der Leiharbeit im Kreis Kleve und den niederländischen Grenzkommunen im Fokus. Landrätin Silke Gorißen erinnerte an die Großrazzien am 12. und 13. Februar in Geldern und Emmerich: „Das war eine ganz tolle, grenzüberschreitende und erfolgreiche Zusammenarbeit, die genau so weiterlaufen muss.“ Oft seien den Kommunen die Hände gebunden gewesen, aber das neue Wohnraumstärkungsgesetz schließe da einige Lücken.

Dieses Gesetz stellte Anna Zavelberg detailliert vor. Es liege als Referatsleiterin im NRW-Bauministerium in ihrem Verantwortungsbereich. Das seit dem 1. Juli 2021 in Kraft getretene Gesetz umfasst nun neben Wohnraum auch Unterkünfte, die erstmal kein Wohngebäude sind, also alte Hotels oder Container.

Mindestwohnstandards sind im Gesetz jetzt verankert

Für Wohnraum ist im Gesetz ein Mindeststandard aufgenommen worden: Es muss trocken, hell, warm sein, eine Kochmöglichkeit, funktionierende sanitäre Anlagen, Strom, Wasser samt Entwässrung müssen zur Verfügung stehen. Der Vermieter kann sich nicht mehr darauf berufen, dass die Mieter es sehenden Auges angenommen hätten. Der Standard ist zu erfüllen.

„Bei Problemimmobilien haben die Kommunen die Möglichkeit, die Mindestanforderungen zu überprüfen“, so Zavelberg. Sie können Instandsetzungen anordnen, bis hin zu einer Unbewohnbarkeitserklärung. Bei einer Überbelegung kann eine Teilräumung erfolgen, bis zehn Quadratmeter pro Person zur Verfügung stehen. Es können Bußgelder ausgesprochen werden. Der Rahmen ist von bisher 50.000 auf 500.000 Euro angehoben worden: „Das eröffnet Spielraum“, so Zavelberg.

Unbewohnbarkeitserklärung: Ein scharfes Schwert, dass für Vermieter teuer werden kann

Die Tagung wurde simultan auf deutsch, französisch oder niederländisch übersetzt. Jeder Sprecher sprach in seiner Sprache.
Die Tagung wurde simultan auf deutsch, französisch oder niederländisch übersetzt. Jeder Sprecher sprach in seiner Sprache. © DGB NRW | Frank Opriel

Die Unbewohnbarkeitserklärung sei als das „letzte, schärfste Schwert“ zu sehen, erklärte Zavelberg. Es greift, wenn die Standards nicht erfüllt sind, eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung vorliegt und deshalb gesundheitliche Schäden zu erwarten sind. Wenn wie in Emmerich schon Ungeziefer und Ratten sich breitgemacht haben, dann seien das „gravierende Mängel“, schildert Zavelberg.

Die Vermieter werden sich hier zweimal überlegen, fahrlässig zu handeln. Denn müssen Bewohner wegen so einer Situation woanders untergebracht werden, dann zahlt der Vermieter (gilt nicht für Teilräumung bei Überbelegung). Auch leerstehender Wohnraum kann quasi präventiv für unbewohnbar erklärt werden.

Ab wann die Bau- und nicht mehr die Wohnaufsicht zuständig ist

Interessant auch: Es wird nicht mehr von einer Wohnnutzung gesprochen, wenn eine auf Dauer angelegte Unterbringung ohne Eigengestaltung und Rückzugsmöglichkeit errichtet wird. Letzteres komme bei Leiharbeiterunterkünften häufiger vor. In dem Fall übernehme die Bau- von der Wohnaufsicht. Denn dafür gilt die Sondernutzung, für die der Brandschutz und Fluchtwege sicherzustellen seien.

Wird hier eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen, dann muss der Vermieter nicht für die Kosten einer anderen Unterbringung aufkommen. Für die Kommunen wird die Unbewohnbarkeitserklärung also attraktiver sein. Neu ist auch, dass die Betreiber von Unterkünften diese den Kommunen anzeigen müssen.

Peter Hinze beobachtet eine Verlagerung des Problems

Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze war auch als Vorstandsmitglied der Euregio in Kellen dabei. Moderator Frank Wöbbeking stellte ihm Interviewfragen. Neben Emmerich kämpfen auch Grenzkommunen wie Kleve und Goch mit der Leiharbeiter-Problematik. Die Großrazzia war ein erstes Beispiel, wie das neue Gesetz in der Praxis genutzt werden konnte. Man habe den Firmen gezeigt, dass es so nicht weiter gehe. Ein Erfolg. „Ich hoffe, dass wir für die Menschen etwas erreicht haben.“

Dennoch räumte der Bürgermeister ein, dass es eine Verlagerung der Probleme zu beobachten sei: Firmen wie die Horizon Group, die Hinze als Schwarzes Schaf durchaus ausgeguckt hat, verdienten so viel Geld mit den Leiharbeitern, dass man sich einmal schüttele: „Horizon ist in der Lage gut auszuweichen. Sie äußern Betroffenheit, geloben Besserung, dann machen sie weiter wie bisher.“ Leiharbeitsfirmen nutzten alle Schlupflöcher und kein Gesetz sei wasserdicht.

Wenn man für nicht marktfähige Immobilien plötzlich ein Angebot bekommt

Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze stellte sich den Interviewfragen von Moderator Frank Wöbbing bei der Euregio Rhein-Waal.
Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze stellte sich den Interviewfragen von Moderator Frank Wöbbing bei der Euregio Rhein-Waal. © DGB NRW | Frank Opriel

Aber Hinze gibt sich auch selbstkritisch: „Wir sind Teil des Problems. Es gibt Immobilien, die sind nicht marktfähig. Die Leiharbeitsfirmen bieten einen guten Preis. Wenn wir dann verkaufen, dann sind uns die Nachbarn auch egal.“ Oder: Wenn das Fleisch günstig werden muss, dann werde beim Personal gespart. „Sollten wir dann nicht lieber 4,99 statt 1,99 Euro für die Hähnchenfilets bezahlen?“

Gerne hätte Hinze zehn Mitarbeiter mehr. Nicht, dass es morgen wieder Überbelegungen gibt: „Die Nachkontrollen sind oft personell schwierig. Deshalb sind wir dankbar um jeden Nachbarn, der Hinweise gibt.“

Datenaustausch wäre wünschenswert

Bei der Euregio Rhein-Waal wurde ein Projekt gestartet, bei dem man versucht, direkt die Betriebe der Fleisch-Industrie zu sensibilisieren: „Zum Glück haben wir mit Compaxo in ‘s-Heerenberg eine Firma gefunden, die mitmacht und das nicht will“, dass ihre Mitarbeiter unwürdig hausen müssen.

Als nächsten Schritt wünsche sich Hinze einen vernünftigen Datenaustausch über die Grenze hinweg: „Sonst wird es immer Möglichkeiten geben, die Leute von der einen Stadt in die nächste zu schieben.“