Düsseldorf. Nun hat es nach Essen auch in Düsseldorf einen Angriff auf einen Grünen-Wahlkampfhelfer gegeben. Wie die Partei reagiert - und was andere sagen.

Erst jüngst war SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke in Dresden brutal zusammengeschlagen worden. In Düsseldorf wurde einem Wahlkampfhelfer der Grünen ins Gesicht geschlagen, zuletzt waren in Essen der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und der dritte Bürgermeister der Stadt Essen, Rolf Fliß (beide Grüne), nach einer Parteiveranstaltung attackiert worden. Die Übergriffe auf Politikerinnen und Politiker scheinen sich zu häufen.

Christian Fritsch, Sprecher der Grünen in der Landeshauptstadt, lässt sich davon nicht entmutigen. Doch er gibt zu: „Die Unbefangenheit leidet darunter.“ Für die Grünen steht aber auch fest: „Jetzt erst recht. Wir werden nicht weichen und alles zur Anzeige bringen.“ Es müsse dem kompletten demokratischen Spektrum nun klar sein, in was für einer Situation man sich befinde: „Es darf nicht weiter Hass geschürt werden.“

Laut einem Sprecher der Düsseldorfer Polizei sind Fälle wie der Angriff auf den Wahlkampfhelfer der Grünen ein Novum in der Landeshauptstadt. Bundesweit wird damit ein Trend bestätigt.

Nach Zahlen des Bundestages, die aus einer Anfrage der AfD hervorgehen, haben die tätlichen Angriffe auf Politiker deutlich zugenommen. Demnach waren es 2019 noch 206 Fälle, 2023 waren es 234 Fälle.

Am häufigsten werden dieser Statistik nach Politiker der AfD selbst Opfer von Gewalt. 2023 waren es 86 Fälle. Direkt danach folgen die Grünen mit 62 Fällen. Während die Angriffe auf AfD-Politiker nachgelassen haben, steigen die Angriffe auf Politiker der Grünen.

Doch woher kommt der Hass und warum entlädt er sich so oft auf die Grünen, deren Bundespolitiker und Lokalpolitiker immer wieder bedrängt und bedroht werden? Fritsch: „Wir stehen der AfD inhaltlich am stärksten gegenüber und sind in Regierungsverantwortung – das ist der Grund, warum sich der Hass so oft auf uns richtet.“ Zusätzlich stünden die Grünen „in besonderer Weise für Veränderungen in der Gesellschaft“.

„Wir erleben häufiger, dass Situationen kippen können“

Zu den Veränderungen in der Gesellschaft gehört aber auch eine niedrigere Hemmschwelle für Gewalt. Dass Menschen an Infoständen aufgebracht sind, gehört in gewissem Rahmen natürlich dazu, meint Fritsch: „Wir gehen ja auch in hitzige Diskussionen. Es ist aber immer öfter so, dass die Situation einfach kippen kann. Die Stimmung ist eine andere in den letzten Wochen. Wir erleben auch in Düsseldorf eine Entwicklung nicht zum Guten.“ Eine Konsequenz: Niemand soll mehr alleine plakatieren gehen: „Und das ist schon ziemlich traurig.“

Die Linke kennt das Problem politischer Gewalt – auch in NRW

Özlem Alev Demirel, Spitzenkandidatin der Düsseldorfer Linken für die Europawahl, sagt: „Wir als Linke kennen das seit Jahren. Gerade in Ostdeutschland, vermehrt aber auch im Westen.“ Genossen berichten schon seit den 1990er Jahren davon, dass sie angegriffen werden. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war der Sprengstoffanschlag auf das Büro der Linkspartei in Oberhausen 2022. Doch auch in den letzten Wochen gab es Angriffe gegen Wahlkampfhelfer der Linken.

Die Gewalt werde taktisch eingesetzt: „Die Strategie dahinter ist klar: Menschen sollen sich nicht mehr hinaustrauen.“ Und das wirke: „Viele schreckt das ab. Die extreme Rechte nutzt Gewalt als taktisches Mittel. Gewalt gehört zu ihrer DNA.“ Wichtig sei deswegen zweierlei: „Wir müssen aufhören, die Politik der AfD umzusetzen.“ Denn so komme es erst zum Rechtsruck. Andererseits aber komme es darauf an, „die Menschen zu hören.“ Der tief sitzende Frust artikuliere sich bei einigen in Form von Gewalt, die Gewalt sei Ausdruck von Ohnmacht.

Rolf Tups: Auf die Plakate folgen die Infostände

Rolf Tups, der CDU-Fraktionsvorsitzende in Düsseldorf, betont den Konsens, der innerhalb des demokratischen Spektrums herrsche: „Egal, wen es trifft, solche Angriffe sind ein absolutes No-Go.“ Dass es dabei zunehmend Menschen trifft, die sich in ihrer Freizeit politisch engagieren, sorgt beim CDU-Mann für „Erschütterung“. Er sagt: „Wenn das Schule macht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich bald keine Leute mehr finden lassen. Das ist demokratiegefährdend.“

Die CDU in Düsseldorf sei von Angriffen auf Personen bisher verschont geblieben, doch Tups registriert eine Zunahme an Beschädigungen von Wahlplakaten. „Grob geschätzt sind 10 bis 15 Prozent der Plakate im Linksrheinischen zerstört worden.“ Und an den Infoständen nähmen Pöbeleien zu: „Insgesamt ist die Gewaltbereitschaft gewachsen. Man kann das auch als Linie betrachten: Erst werden die Plakate zerstört, dann werden Infostände angegriffen. Wo das hinführt, kann sich jeder ausrechnen.“ In den Dreißigern habe es auch so angefangen. Es brauche ein entschiedenes Vorgehen des Rechtsstaates. Die Einschüchterungstaktik dürfe nicht verfangen: „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“

Thomas Geisel sieht „unerträgliche Verwahrlosung der Sitten“

Thomas Geisel vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) konstatiert eine „unerträgliche Verwahrlosung der politischen Sitten“. So ganz überraschend sei die Entwicklung nicht, ein neuer Ton sei in die Debatten eingezogen, „ehrenrührige Behauptungen“ seien zunehmend normal. „Wenn die politische Klasse so miteinander umgeht, dann übeträgt sich das. Wenn ich als Politiker verbal enthemmt bin, dann wird auch meine Mitgliederschaft enthemmt.“ Geisel bezeichnet sich als „leidenschaftlichen Befürworter der politischen Auseinandersetzung.“ Der Fokus liege auf dem zwanglosen Zwang des besseren Argumentes. „Doch beim scharfen Diskurs muss es respektvoll zugehen.“ Eine Frage der politischen Kultur.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP bekundet: „Egal, wer angegriffen wird, es ist nicht tolerabel und wir sollten uns als Demokraten gegenseitig schützen.“ Und ihr Parteifreund Manfred Neuenhaus pflichtet ihr bei: „Das ist ein Angriff gegen uns alle.“ Tatsächlich habe die Düsseldorfer FDP bei ihrer Fraktionssitzung genau diese Situation adressiert, was Neuenhaus „in 40 Jahren noch nicht erlebt“ habe. „Solche Taten dürfen gar nicht erst einreißen. Wir brauchen eine rote Linie.“ Für die Infostände gilt ab jetzt: „Wenn etwas ist, sofort die Polizei rufen.“ Es komme darauf an, schnell und konsequent zu handeln.

Und was sagt die SPD?

Die Spitzenkadidatin der Düsseldorfer SPD, Sabrina Proschmann, ist merklich betroffen: „Der Angriff auf Matthias Ecke, jetzt der Angriff auf einen Wahlkamphelfer der Grünen – das hat uns alle getroffen.“ Die Genossen hatten sich im Vorfeld des Wahlkampfes schon über Gewalt ausgetauscht, auch bei den Sozialdemokraten steht niemand mehr alleine an den Info-Ständen. Doch auch wenn sich die Entwicklung schon abgezeichnet habe – „es nimmt zur Zeit einfach nochmal zu.“

Lesen Sie auch diese Nachrichten aus Düsseldorf

Die Gründe dafür seien vielfältig: „Klar gibt es eine Enthemmung in den sozialen Medien. Und wir müssen auch schauen, wie wir kommunizieren, wie mir miteinander umgehen.“ Grundsätzlich aber müsse man „die Demokratie“ fördern. „Demokratie ist tägliche Handarbeit“, so Proschmann weiter. „Sie muss aber auch eingeübt werden.“ Mit Strafen allein sei da wenig getan. Es müsse darum gehen, auch Menschen jenseits der Schulpflicht zu erreichen, demokratische Bildung anzubieten. Das alles sei nicht einfach und vor allem nicht von jetzt auf gleich zu erreichen: „Aber wir müssen uns die Frage stellen, ob wir eine Demokratie haben wollen oder nicht.“

„Wenn wir eine Gesellschaft haben, in der Menschen, die sich ehrenamtlich betätigen, dafür körperlich angegriffen werden, funktioniert das System bald nicht mehr“, so Proschmann weiter. „Es ist traurig. Aber es gibt Menschen in meinem privaten Umfeld, die Angst haben, wenn ich auf Wahlkampfveranstaltungen gehe – und das kann ja wohl nicht sein.“