Voerde. . Bürgermeister Dirk Haarmann aus Voerde lässt im Gespräch mit der NRZ Ereignisse im Jahr 2018 Revue passieren und blickt auf die neuen Aufgaben.
2018 ist zu Ende, das neue Jahr hat begonnen. Zeit, einen Blick zurück und nach vorne zu werfen. Die NRZ hat Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann zu zurückliegenden Ereignissen und anstehenden Entwicklungen befragt.
Herr Haarmann, beim Blick auf das abgelaufene Jahr 2018 – welches war für die Stadt die am meisten Kräfte zehrende Aufgabe und warum?
Ich kann keine einzelne Aufgabe herausheben, denn für die Stadt und damit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung war es eine immense Herausforderung, den vielschichtigen und immer noch wachsenden Aufgaben im Sinne möglichst aller Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Auch in 2018 haben wir dies – so finde ich – ganz gut gemeistert.
Welche Nachricht war aus Voerder Sicht die beste in 2018?
Auch da gibt es mehrere, die ich nennen müsste. Natürlich ist es immer schön, mit der Unterstützung durch Fördermittel wichtige Projekte umsetzten zu können. So war sicher die Nachricht über die Förderung des Kunstrasenplatzes des TV Voerde eine gute Nachricht. Eine zukunftsweisende und für die Stadtentwicklung wichtige einstimmige Ratsentscheidung ist die zum zukünftigen Standort des Kombibades auf dem Freibadgelände. Besonders stolz bin ich auf den glänzenden Start unserer Stadtwerke Voerde im Vertrieb von Strom und Gas.
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Und welches war die schlechteste Nachricht?
Da würde ich spontan die Notwendigkeit zur vorübergehenden Schließung des Hallenbades nennen. Glücklicherweise ist ja für 2019 eine Lösung anvisiert.
In Sachen städtischer Etat zeichnet sich ein Ende der Durststrecke ab. 2020 könnte die Kommune nach den jetzigen Prognosen den Haushaltsausgleich schaffen – also ein Jahr früher als gesetzlich vorgeschrieben. Was bedeutet dies für die Handlungsfähigkeit der Stadt?
Zunächst einmal entfällt die Verpflichtung zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes, mit dessen Hilfe wir eine strukturelle Haushaltsentlastung von immerhin rund 7 Millionen Euro pro Jahr geschafft haben. Damit erlangt die Stadt eine größere formale Handlungsfähigkeit, womit sie grundsätzlich wieder freiwillige Aufgaben leisten kann. Die Spielräume bleiben aber sehr eng, so lange sich die allgemeinen Strukturen in der Finanzierung der Kommunen durch Bund und Land nicht grundsätzlich ändern.
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Voerde fordert wie andere Kommunen als Teil des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ von Bund und Land eine Gegenfinanzierung der durch sie übertragenen Aufgaben vor allem im Sozialbereich. Was wurde hier bereits erreicht und was ist noch zu tun?
Es ist ein Erfolg des Aktionsbündnisses, das bundesweit und über die Parteigrenzen hinweg in großer Solidarität für eine gerechtere und nachhaltigere Finanzierung der Kommunen kämpft, dass der Bund nun endlich die lange zugesagte Kommission eingerichtet hat. Wir dürfen gespannt sein, welche Vorschläge dort erarbeitet werden.
Und auch die Landesregierung hat erkannt, dass sie in ihrer Verantwortung für die Menschen im Lande ihren Beitrag für eine solide Kommunalfinanzierung leisten muss, und hat Maßnahmen angekündigt. Auch hier warten wir auf konstruktive Vorschläge. Im Kern geht es um zwei Themenbereiche: die langfristig gesicherte und vollständige Finanzierung der Bundes- und Landesaufgaben bei den Kommunen und die Schaffung eines Altschuldenfonds zur Übernahme der Kassenkredite, die durch die Unterfinanzierung der letzten Jahre entstanden sind. Unsere 54 Millionen Euro Kassenkredite sind nachweislich nicht durch schlechtes kommunales Wirtschaften, sondern durch eben diese Unterfinanzierung entstanden.
CDU und WGV haben auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine Senkung der Grundsteuer B in den Blick zu nehmen. Wann könnte Ihrer Ansicht nach ein solcher Schritt, der Voerder entlasten würde, erfolgen?
Diese Notwendigkeit sehen alle Fraktionen und Parteien in unserer Stadt ebenso wie ich. An diesem Beispiel zeigt sich doch die ganze Misere in der Kommunalfinanzierung. Am Ende waren die Kommunen, die bei den Bundes- und Landesaufgaben – insbesondere im Sozialbereich – nicht ausfinanziert sind, gezwungen, ihre lokalen Steuern zu erhöhen. Es wäre aber ein Irrglaube anzunehmen, dass wir allein durch unsere vernünftige Haushaltspolitik wieder das frühere Niveau erreichen können. Dies wird nur im Paket mit kommunaler Finanzreform und Altschuldenfonds gelingen. Darüber hinaus kommt es jetzt erst einmal darauf an, wie die Struktur der Grundsteuer B zukünftig aussehen wird, nachdem das Bundesverfassungsgericht ja die bestehende Regelung „kassiert“ hat und bis Ende 2019 ein neues Modell beschlossen werden muss.
Angesichts der weiter angespannten Finanzlage stellt sich die Frage, wie die Stadt das Projekt Kombibad finanzieren will. Welche Modelle sind da aus Ihrer Sicht denkbar? Welchen Vorteil böte es, wenn die Stadtwerke Voerde das Bad bauen und betreiben würden?
Grundsätzlich könnten wir das Bad bei entsprechender Priorisierung über den städtischen Haushalt realisieren. Das geht dann natürlich zu Lasten anderer Vorhaben und verbunden mit einer anteiligen, größeren Kreditfinanzierung. Hier wird jeder Euro an Fördermitteln die Realisierungszeiten verkürzen. Ich blicke daher hoffnungsvoll auf das neue Förderprogramm des Landes, das auch für neue Bäder bereitsteht. Sofern wir eine Förderung erhalten sollten, wäre aus jetziger Sicht die Finanzierung über den städtischen Haushalt auch zwingend. Andernfalls könnten auch die Stadtwerke Voerde das neue Bad errichten. Unabhängig von der Errichtung besteht aber immer die Möglichkeit, dass die Stadtwerke den laufenden Betrieb übernehmen. Es wird eine Aufgabe der kommenden Monate sein, unter der Berücksichtigung möglicher dauerhafter Steuervorteile die wirtschaftlichste Struktur zu ermitteln.
Haarmann etwa zur Entwicklung des Kraftwerksgelände und dem Betuwe-Ausbau
Wenden wir den Blick auf das Kraftwerksgelände: Nicht mehr lange und die Stilllegung jährt sich zum zweiten Mal. Wie beurteilen Sie die Fortschritte bei der Weiterentwicklung der Fläche?
Es ist gut, dass wir, das heißt die Eigentümer Steag und RWE, gemeinsam mit der Stadt nun mit der Machbarkeitsstudie begonnen haben und die Grundlagen für die weiteren Entwicklungsschritte schaffen. Ich wünsche mir, dass die gesamte Entwicklung gestützt durch eine hohe Nachfrage nach diesen Flächen deutlich an Fahrt aufnimmt. Parallel zu diesem Prozess hat die Stadt die gesamte Fläche in der Regionalplanentwicklung als sogenannten Kooperationsstandort angemeldet. Die Tatsache, dass der aktuelle Regionalplanentwurf diese Fläche auch aufgenommen hat, zeigt das Landesinteresse an der Entwicklung dieses Standortes.
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Wie sieht der weitere Zeitplan aus?
Wir erwarten bis zum Sommer die Ergebnisse aus der ersten Phase der Machbarkeitsstudie. Parallel dazu sind wir in ersten Gesprächen mit den notwendigen Akteuren in Möllen, um anlässlich der wechselseitigen Beziehungen zwischen Stadtteil und Kraftwerksgelände eine integrierte Stadtteilentwicklung zu initiieren. Diese soll neben den bereits erfolgreich umgesetzten Infrastrukturmaßnahmen in Möllen den Stadtteil ganzheitlich in den Blick nehmen und neue, geeignete Handlungskonzepte erarbeiten.
In Voerde soll eine von zwei zusätzlichen Rettungswachen im Kreis Wesel angesiedelt werden. Eine gute Nachricht für die Stadt. Welcher Standort ist dafür vorgesehen?
In der Tat eine sehr gute Nachricht, da mit einer eigenen Rettungswache die Versorgung der Voerder Bürgerinnen und Bürger nicht nur langfristig gesichert, sondern auch verbessert wird. Der Gutachter des Kreises empfiehlt einen Standort im Bereich des Gewerbegebietes Grenzstraße, um von dort aus auch Teile von Hünxe besser versorgen zu können. Wir bereiten uns derzeit durch die Analyse der möglichen geeigneten Standorte auf die konkreten Gespräche mit dem Kreis vor. Diesen Gesprächen kann ich nicht vorgreifen.
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Sehr ruhig geworden ist es um ein anderes Großprojekt: den Betuwe-Ausbau. Wie ist da der Stand der Dinge mit Blick auf die beiden Voerde betreffenden Planungsabschnitte?
Wir erwarten in 2019 die Planfeststellungsbeschlüsse für die beiden Abschnitte 1.4 Voerde und 2.1 Friedrichsfeld. Nachdem wir in den Fragen der Streckensicherheit gemeinsam mit den anderen Betuwe-Kommunen unsere berechtigten Forderungen durchgesetzt haben, blicke ich zu den Themen Lärmschutz, Aufzug am Haltepunkt Friedrichsfeld und Kreuzung Schwanenstraße sehr gespannt auf die Inhalte dieser Beschlüsse.
In Ihrem Hause stehen ab dem nächsten Jahr tiefgreifende personelle Wechsel an: Der Erste Beigeordnete Wilfried Limke geht Ende August in den Ruhestand. Seine designierte Nachfolgerin muss eingearbeitet werden. Mitte 2020 scheidet Dezernent Lothar Mertens in den Ruhestand aus. Der von ihm mitverantwortete Fachbereich Soziales und Jugend ist bis dato weder in Leitung noch Vertretung wieder besetzt. Noch vakant sind auch die Vertretungsposten der Fachbereiche Stadtentwicklung und Baurecht sowie Bauen und Technische Infrastruktur. Auch steht die Stadt Voerde als Arbeitgeber in Konkurrenz zu anderen Kommunen (Stichwort Wechsel). Wie kann die Verwaltung zukunftsfähig aufgestellt werden?
Die Verwaltung ist bereits zukunftsfähig aufgestellt. Die Fachbereichsleitung Soziales und Jugend ist bereits ausgewählt und wird spätestens zum 1. März 2019 den Dienst antreten. Auch in den Bereichen des technischen Dezernates sind die Leitungspositionen vollständig besetzt. Ich bin sehr froh, dass bezogen auf die Besetzung des Verwaltungsvorstands in den Fragen sowohl des generellen Vorgehens als auch in der aktuellen Entscheidung zur Auswahl der Technischen Beigeordneten weitgehendes politisches Einvernehmen bestand und besteht. Bezogen auf den Wettstreit um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stelle ich fest, dass unsere Verwaltung bereits über sehr attraktive Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, verfügt. Wir haben in diesem Jahr einen zukunftsweisenden Gleichstellungsplan verabschiedet und im 1. Halbjahr 2019 steht die Neufassung eines ganzheitlichen Personalentwicklungskonzeptes auf der Agenda. Auch unser betriebliches Gesundheitsmanagement ist schon sehr weit ausgeprägt und wird von den Beschäftigten gut angenommen.
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Wenn Sie auf 2019 schauen – vor welchen großen Herausforderungen steht Voerde?
Neben den bereits angerissenen Punkten gilt es, in einem breiten Dialog mit allen Nutzergruppen und Vereinen die Planung für unser neues Bad zu beginnen und dessen Finanzierung sicherzustellen. Die Bildungs- und Digitalisierungsoffensive unserer Schulen wird ebenso ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein, wie ein bedarfsgerechtes Angebot an Kita-Betreuungsplätzen. Darüber hinaus wird die gesamte Stadtentwicklung zunehmend am Bedarf an barrierefreiem beziehungsweise barrierearmem Wohnraum auszurichten sein.
Was wünschen Sie der Stadt und ihren Bürgern für das neue Jahr?
Ich wünsche uns allen, dass wir die positive Entwicklung unserer Stadt gemeinsam weiter vorantreiben können. Voerde hat das Glück, dass sich stark engagierte Bürgerinnen und Bürger aktiv für das Gemeinwohl einsetzen – sei es in den Vereinen und Kirchengemeinden, sei es im privaten Umfeld. Das ist ein unschätzbares Gut für unsere Zukunft. Den Bürgerinnen und Bürgern wünsche ich für das Jahr 2019 viel Glück und Gesundheit sowie die Neugier und Ausdauer, den Problemen dieser Welt auf den Grund zu gehen, um vermeintlich beste Lösungen von den echten Lösungen zu unterscheiden. Und ich wünsche allen das Vertrauen in die Vorteile unserer stabilen Demokratie als Garant für unseren Frieden.
Die Fragen stellte Petra Keßler.