Essen. Rot-Weiss Essen hofft auf eine ruhige Drittliga-Saison. Unsere Analyse zum Start: Wie die Vorbereitung lief und was sich bei RWE verändert hat.
Wenn 16.000 Menschen schweigen, klingt das ganz schön beeindruckend. Niemand, wirklich niemand hatte damit gerechnet, was an diesem 23. Juli passieren sollte, nicht mal die größten Pessimisten, und von denen gibt es an der Hafenstraße einige. Nun, die SV Elversberg ließ die ganze Stadt an diesem 23. Juli verstummen und riss sie aus einem Sommertraum, in dem alles glänzte – 5:1 gewannen die Saarländer am ersten Spieltag, autsch.
Dieser Auftakt in die erste Drittliga-Saison war ein echter Schock für Rot-Weiss Essen und der Neuling brauchte Wochen, um sich von ihm zu erholen.
Abstiegskampf von Beginn an, im Spätsommer rüstete RWE nach: Felix Götze und Andreas Wiegel kamen und bedankten sich mit starken Auftritten. Im Herbst wurde es besser: Mit einer Serie von sieben ungeschlagenen Spielen und einem behaglichen Polster auf die Abstiegsplätze verabschiedete sich Christoph Dabrowskis Mannschaft in die Winterpause.
Rot-Weiss Essen: Schlechte Rückrunde war ein Dämpfer
Die Entwicklung stagnierte in der Rückrunde, die Offensive machte Sorgen, die Spiele waren trocken wie drei Tage altes Brot. Der Abstand nach unten schmolz, auf der West kauten sie sich die Fingernägel ab und die Pessimisten haben es schon immer gewusst – das wird eng mit dem Klassenerhalt. Dazu die Entlassung von Sportdirektor Jörn Nowak, Unruhe im Umfeld des Teams und auf den Tribünen. Der Trainer: stark in der Kritik. Nein, es waren keine einfachen Monate. Kurz vor Schluss war der Verbleib gesichert, der Niederrheinpokal gewonnen.
„Wir hätten die Stimmung mit besseren Ergebnissen beruhigen können“, analysiert Christoph Dabrowski die Rückrunde. „Aber wir haben es als Mannschaft geschafft, die Liga zu halten – unter maximalem Druck.“ Ziel erreicht, egal wie. Alle waren froh, dass es noch mal gut ausgegangen ist. Abhaken, kurz schütteln und gemeinsam angreifen. Es kann ja nur besser werden.
In diesem Sommer hat Trainer Dabrowski eine neue Mannschaft bekommen. Es war klar, dass ein Umbruch anstand, er fiel groß aus. Aufstiegshelden wie Simon Engelmann und Felix Herzenbruch sind weg, junge, robuste, entwicklungsfähige Spieler da. Die Verantwortlichen um das Sportdirektoren-Duo Christian Flüthmann und Marcus Steegmann bastelten einen Kader, der besser zur Dritten Liga passen soll.
Jünger, robuster: RWE vollzieht einen Umbruch
RWE hat den Kader verjüngt und ein großes Defizit ausgeräumt: den Mangel an Körperlichkeit. Aaron Manu (23), Innenverteidiger aus Erfurt, ist 1,94 Meter groß. Mittelfeldregisseur Vinko Sapina (28/aus Verl) misst 1,94 Meter. Wandstürmer Moussa Doumbouya (25/aus Ingolstadt) bringt es auf 1,88 Meter. Und auch andere neue Offensivspieler sind wuchtig: Leonardo Vonic (20/1,85 Meter/aus Nürnberg) und Lucas Brumme (23/1,87 Meter/aus Wiesbaden).
Flügelstürmer Marvin Obuz (21/Leihe vom 1. FC Köln), die beiden Außenverteidiger Ekin Celebi (23/aus Hannover) und Eric Voufack (21/von Lok Leipzig) sowie Ole Springer (31/aus Bremen), dritter Torwart, runden die kreativen Transferaktivitäten ab. Viele Zugänge wollen in Essen den nächsten Schritt gehen und haben noch Entwicklungspotenzial – das ist schon mal ein klarer Fortschritt im Vergleich zur Vorsaison.
Lesen Sie hier: So lief das Trainingslager von Rot-Weiss Essen.
In der Vorbereitung testete RWE gegen einige unterklassige Gegner und zeigte schönen Fußball; beim 6:0 gegen Adler Union Frintrop sah das wirklich gut aus. Auch im Trainingslager hinterließ das neue Team einen harmonischen Eindruck. Die Mannschaft scheint auf einem guten Weg zu sein, sich schnell zu finden und eine Einheit zu werden, was wichtig wäre: Als echtes Team kannst du in der Dritten Liga schon eine Menge erreichen.
JHV als Stimmungskiller in der Sommerpause
Aber es lief bei weitem nicht alles rund, die XXL-Standortbestimmungen gegen Eintracht Braunschweig und den SC Verl verlor RWE jeweils mit 0:1. Die Mannschaft blieb also 240 Minuten ohne eigenes Tor. Da war sie wieder, die bekannte Schwäche im letzten Drittel, die große Baustelle aus der Vorsaison. RWE muss kreativer werden und effektiver, um nicht noch einmal bis zum Schluss zu zittern, das ist klar. Ausreden gibt es diesmal keine: Die Mannschaft und das Abschneiden werden besser sein. So lautete das große Versprechen auf der Jahreshauptversammlung im Juni.
Das Versprechen ging auf der JHV unter, denn Vorstand Marcus Uhlig verkündete eine schockierende Nachricht: Das Geschäftsjahr 2022 hat RWE mit einem Minus von rund 3,6 Millionen Euro abgeschlossen, die Verbindlichkeiten sind auf knapp 6,2 Millionen Euro gestiegen. Nein, nein: Existenzbedrohend ist die Lage keinesfalls, der Verein liegt nicht auf der Intensivstation.
Dass dieses Bilanz-Ergebnis nichts anderes als eine „Katastrophe“ ist, das wusste Marcus Uhlig jedoch selbst. Er gelobte Besserung: Rot-Weiss Essen habe Prozesse optimiert und einige Hebel umgelegt, damit das nicht noch einmal passiert, betonte der Funktionär auf der JHV, die nur Verlierer kannte: Verein, Vorstand, aktive Fanszene, eigentlich gab niemand ein gutes Bild ab bei dieser chaotischen Versammlung.
Die Zahlen trugen zudem nicht gerade dazu bei, den Mief der Drittliga-Premierensaison abzuschütteln und vor dem wichtigen zweiten Jahr das Gefühl eines Aufbruchs herzustellen. Die Geschlossenheit im Umfeld scheint fragil. Schlechte Ergebnisse zum Auftakt, dann könnte es wieder unruhig werden.
Rot-Weiss Essens Dabrowski will sich auf die Arbeit auf dem Platz fokussieren
Christoph Dabrowski hat sich mit dem Team und dem Staff darauf verständigt, sich nur auf die Arbeit auf dem Platz zu konzentrieren und hier liegt vielleicht der Schlüssel zu einer befriedigenden Runde 2023/24: stoisch Punkte einfahren, frühestmöglich den Klassenerhalt sichern.
Brennpunkte bei Rot-Weiss Essen:
- Rot-Weiss Essen: Vonic heizt den Konkurrenzkampf an.
- Rot-Weiss Essen zeigt bei der Generalprobe eine bekannte Schwäche.
- Das erhofft sich RWE von Brumme.
- Dritte Liga: Was sich bei den RWE-Konkurrenten getan hat.
- Dritte Liga: Neulinge und Nachbarn – das erwartet RWE.
Los geht es an diesem Freitag beim Halleschen FC (19 Uhr, Leuna-Chemie-Stadion). Ein Gegner, der ebenfalls nicht zu den Mega-Favoriten der Liga gehört, sondern nach unten schauen muss. Eine gute Standortbestimmung für Rot-Weiss.
Trainer Dabrowski beschäftige sich nicht mit einem Fehlstart. „RWE ist lebendig, hier wirst du nie komplette Ruhe haben“, meint der 45-Jährige pragmatisch Er hat sich in seinem ersten Hafenstraßen-Jahr einen dicken Panzer angelegt. Wer ihn dieser Tage beobachtet, bekommt den Eindruck, dass Dabrowski die harte Saison 2022/23 gestählt hat – wer all das überstanden hat, den haut so schnell nichts mehr um.
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„Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, den Koffer zu packen und nach Hause zu gehen. Ich liebe Herausforderungen“, sagt er über Unmut und maue Spiele, und weiter: „Die Fankritik hat mir nicht die Lust geraubt, hier Trainer zu sein.“ Was seine Widerstandskraft Wert ist, wird sich freilich auf dem Platz zeigen.
„Zuversicht“ bei Dabrowski
Dabrowski ist „zuversichtlich, dass wir alle gemeinsam die Dinge in die richtige Richtung drehen werden“, und ist damit offensichtlich nicht der einzige. Wieder wurden weit über 10.000 Dauerkarten verkauft, und als der Verein gemeinsam mit der Fan- und Förderabteilung zur Saisoneröffnung eingeladen hatte, fuhren etwa 1500 Fans zum Trainingsgelände.
Ein bedeckter Freitagnachmittag war das, die Anhänger machten sich auf die Jagd nach Autogrammen und stießen mit Freunden auf die anstehende Drittliga-Saison an, die wieder schöne Nachbarschaftsduelle parat hat, Traditionsschlager und weite Fahrten nach Nord, Ost und Süd. Es kann ja nur besser werden.