Athen. Mit dem Ende des Assad-Regimes in Syrien wächst der Einfluss der Türkei im Nahen Osten. Erdogan verfolgt seine eigenen Interessen.

Nach dem Sieg der syrischen Rebellen über die Assad-Dynastie, die Syrien über 50 Jahre beherrschte, ist die Türkei unversehens zur einflussreichsten ausländischen Macht in Syrien geworden. Aber ob es Staatschef Recep Tayyip Erdogan gelingen wird, die weitere Entwicklung in dem von einem 13-jährigen Bürgerkrieg zerrissenen Land zu steuern und zu stabilisieren, ist ungewiss.

Elf Jahre war der Schlagbaum geschlossen, jetzt hebt er sich: Der türkisch-syrische Grenzübergang Yayladagi ist wieder geöffnet. Tausende syrische Flüchtlinge strömten am Dienstag über die Grenze aus der Türkei zurück in ihre Heimat. Auch am Übergang Öncüpinar herrschte Hochbetrieb. Familien schleppten ihre Habseligkeiten mit sich. Bevor sie syrischen Boden betraten, gaben sie den türkischen Grenzpolizisten ihre Aufenthaltsgenehmigungen zurück.

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Mit dem Exodus beginnt sich bereits eine große Hoffnung Erdogans zu erfüllen. Die Türkei beherbergt 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Sie sind zunehmen unbeliebt. Viele Türken sehen in ihnen unliebsame Konkurrenten im Wettbewerb um Jobs, Wohnraum und Sozialleistungen. Das führt zu immer größeren sozialen Spannungen. Sie waren eine der Ursachen für die massiven Stimmenverluste der Erdogan-Partei AKP bei den Kommunalwahlen in diesem Frühjahr. Kehren jetzt die Flüchtlinge wirklich zu Hunderttausenden oder gar Millionen zurück, wäre das nicht nur ein großer innenpolitischer Erfolg für Erdogan. Auch der Migrationsdruck an den EU-Außengrenzen würde zurückgehen.

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#4 Cem Özdemir über die Bedrohung durch Erdogans Anhänger

Meine schwerste Entscheidung

Bislang waren Russland und Iran die einflussreichsten ausländischen Mächte in Syrien

Erdogan spielte beim Sturz des Machthabers in Damaskus eine Schlüsselrolle. Die syrischen Rebellen hatten die türkische Regierung schon vor sechs Monaten über die Pläne zu einer Großoffensive informiert und aus Ankara grünes Licht bekommen, berichten türkische Medien. Jetzt wird es darauf ankommen, ob das Land nach dem Zusammenbruch des Regimes stabilisiert werden kann oder noch tiefer ins Chaos versinkt.

Konflikt in Syrien - Türkei
Syrische Familien warten am Cilvegozu-Grenzübergang in der Nähe der südtürkischen Stadt Antakya darauf, von der Türkei nach Syrien zu gelangen. © DPA Images | Metin Yoksu

Bis zur vergangenen Woche waren Russland und der Iran die einflussreichsten ausländischen Mächte in Syrien. Das ist vorbei. Russland, seit Jahrzehnten mächtigster Schutzherr des Assad-Regimes, konnte oder wollte den syrischen Machthaber nicht retten. Assads andere Verbündete, der Iran und die Hisbollah, sind durch den Krieg mit Israel geschwächt.

Umso mehr kommt es nun auf die Türkei an. Erdogan hat eigene Interessen in Syrien: Seit 2016 geht die Türkei im Norden Syriens militärisch gegen Milizen der kurdischen YPG vor, des syrischen Ablegers der kurdischen Terrororganisation PKK. Das türkische Militär hält große Teile der Region besetzt und zu verhindern, dass die syrischen Kurden an der Grenze zur Türkei eine Autonomiezone schaffen.

Erdogan unterstreicht seit Tagen immer wieder, die Türkei habe es nicht auf syrisches Territorium abgesehen. Es gehe ihr nur darum, „unsere Heimat vor Terrorangriffen zu schützen“. Er wünsche sich ein „vereintes Syrien“ mit einer „inklusiven“ Regierung. Damit verbindet er auch die Hoffnung auf gute Geschäfte. Die Türkei könnte künftig zum wichtigsten Wirtschaftspartner Syriens werden. Bisher waren das Russland, der Iran und China. An der Istanbuler Börse sind jetzt die Aktien der großen Bauunternehmen im Höhenflug. Die Anleger spekulieren auf Großaufträge beim Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg verwüsteten Nachbarlandes. Das käme auch Erdogan gelegen. Die großen türkischen Bauunternehmer sind eng mit der Regierung verbandelt und wichtige Finanziers für Erdogans Wahlkämpfe.

Trotz aller Ungewissheiten: Erdogan steht außenpolitisch stärker da als je zuvor

Die Türkei ist also an Stabilität interessiert. Nur dann kann Erdogan seine neue Macht voll ausspielen. Er ist aber weit davon entfernt, die Entwicklungen zu kontrollieren. Nur wenn es jetzt kein Machtvakuum gibt, die wichtigsten Institutionen funktionieren und die Rebellen die Macht in die Hände einer Regierung legen, kann der Bürgerkrieg beendet werden. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, welchen Einfluss Erdogan wirklich auf die teils rivalisierenden Oppositionsgruppen hat. Eine weitere offene Frage ist, ob der Islamische Staat (IS), der in Syrien immer noch einige Landesteile kontrolliert, nun wieder erstarkt.

Trotz aller Ungewissheiten steht Erdogan jetzt außenpolitisch stärker da als je zuvor. An der Türkei kommt in Syrien keiner vorbei. Der türkische Staatschef, der ohnehin noch nie durch falsche Bescheidenheit aufgefallen ist, strotzt jetzt nur so vor Selbstbewusstsein. Bei einer Veranstaltung unter dem Titel „Treffen mit der Jugend“ erklärte er am Sonntag im südostanatolischen Gaziantep, es gebe jetzt „nur noch zwei Führer in der Welt, mich und Wladimir Putin“. Alle anderen seien „eliminiert“ worden.