Moskau. Nach Assads Flucht hat das Rätselraten um Russlands militärische Präsenz in Nahost begonnen. Putin will seine Interessen verteidigen.
Kurzes Rätselraten um die Flucht von Baschar al-Assad: Syrische Quellen berichteten, er sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Inzwischen scheint klar, Assad befindet sich in Russland. Moskau habe ihm und seiner Familie aus humanitären Gründen Asyl gewährt, berichteten russische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf einen Vertreter des russischen Präsidialamts.
Das Rätselraten um die zukünftige Nahostpolitik Russlands allerdings hat gerade erst begonnen. In einer ersten Reaktion auf die sich überschlagenden Ereignisse in Syrien in den vergangene Tagen betont Andrej Kartapolow, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament: Russland werde dort seine Interessen verteidigen. Und Außenminister Sergej Lawrow sagt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Terrorgruppe die Kontrolle über das Land übernimmt.“ Notwendig sei ein „direkter Dialog zwischen der Regierung und Oppositionsgruppen“. Der Iran und Russland als Assad-Unterstützer hatten von Syrien aus Einfluss in die gesamte arabische Welt. Assads Sturz schränkt nun die Möglichkeiten des Iran ein, Waffen an Verbündete zu liefern.
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Wie rasant zuletzt die Aufständischen Stellungen der syrischen Armee überrannten und Machthaber Assad flüchtete, hat in Moskau für Erstaunen gesorgt. Nach einem halben Jahrhundert der Herrschaft des Assad-Clans kommt nun ein Wendepunkt im Nahen Osten. Mit Auswirkungen auf Russlands Außenpolitik in der Region. Auf Telegram spricht Andrej Medwedew, ein prominenter Kommentator des Staatsfernsehens, von Fehlern, aus denen Russland lernen müsse.
Nur mit Hilfe aus dem Kreml konnte sich Assad bis zuletzt an der Macht halten
Nun wird eine neue Welle der Instabilität in der Region befürchtet. International isoliert konnte Assad auf die Unterstützung Russlands zählen. Die engen Beziehungen zwischen Russland und Syrien gehen auf die Zeit des Kalten Krieges zurück. Bereits damals kooperierte die Sowjetunion politisch, wirtschaftlich und militärisch mit Syrien. Seit 1971 nutzten erst die Sowjets und später Russland eine Marinebasis im syrischen Tartus, die einzige russischen Basis im Mittelmeer. Drei Fregatten, ein U-Boot und weitere Schiffe waren dort stationiert. Jetzt wurden sie abgezogen. Angeblich zu einem Militärmanöver. Schwer vorstellbar ist, dass Russlands Präsident Wladimir Putin diese Basis aufgeben will.
Politisch nutzte Moskau nach Beginn des Bürgerkrieges sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat und stützte das Regime von Assad, dem immer wieder Menschenrechtsverletzungen und auch Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden. 2015 dann griff Russland in den Bürgerkrieg direkt ein, flog Luftangriffe von seinem in den Jahren zuvor eingerichteten Luftwaffenstützpunkt im Land. Russische Militärpolizisten halfen den syrischen Regierungstruppen, auch Söldner aus Jewgeni Prigoschins Wagner-Truppe sollen im Einsatz gewesen sein.
Schwere Luftangriffe auf Aleppo im Jahr 2016 zwangen Zehntausende Zivilisten zur Flucht. Menschenrechtsgruppen warfen der russischen Armee den Einsatz von Streubomben vor. Russland dementierte dies. Bei einem Giftgasangriff im April 2017 starben mindestens 86 Menschen. Am Tag danach tagte der UN-Sicherheitsrat. Die syrischen Streitkräfte sollten aufgefordert werden, ihre Einsätze am Tag des Angriffes offenzulegen. Russland legte sein Veto gegen die geplante Resolution ein.
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Nur mit Hilfe aus dem Kreml konnte sich Assad bis zuletzt an der Macht halten. Dann der Moment, an dem Russland – militärisch gebunden in der Ukraine – schwach erschien. Vor wenigen Tagen noch merkte die russische Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ an: „Um seinen Einfluss zu behalten und ein Abgleiten ins Chaos zu verhindern, wird es für Russland nun wichtiger denn je sein, nicht nur Assad zu unterstützen, sondern auch neue Möglichkeiten zu finden, mit den Hauptakteuren in der Region zu einer Einigung zu kommen.“
Militärblogger: Russlands militärische Präsenz in Nahost hängt am seidenen Faden
Nun ist Assad Geschichte. Und Konstantin Kossatschow, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Föderationsrates, sagt: „Wenn das syrische Volk weiterhin unsere Unterstützung benötigt, wird sie bereitgestellt. Aber das ist unwahrscheinlich – unter den Bedingungen eines umfassenden Bürgerkriegs. Die Syrer müssen selbst damit klarkommen.“ Die Situation sei „eine Tragödie für alle“. Und weiter: „Für uns Russen besteht die Hauptaufgabe darin, die Sicherheit unserer Landsleute und Zivilisten zu gewährleisten, einschließlich der Diplomaten und ihrer Familien und natürlich des Militärpersonals, das im Interesse Syriens, seiner Souveränität und territorialen Integrität dort ist.“
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Das betrifft die Marinebasis in Tartus. Unklar ist aber auch die Zukunft des russischen Luftwaffenstützpunkts in der syrischen Provinz Latakia. Von dort flogen Kampfjets in der Vergangenheit Bombenangriffe. Von Evakuierung ist die Rede. Doch der Stützpunkt scheint weiterhin in Betrieb. Angeblich flogen von dort aus noch am Sonntagnachmittag zwei Militärtransporter in Richtung Russland. Syrische Oppositionsführer hätten sich bereiterklärt, die Sicherheit russischer Militärbasen und diplomatischer Einrichtungen in Syrien zu garantieren, berichten laut der russischen Nachrichtenagentur TASS ungenannte Quellen vor Ort. Russische Militärblogger sind da weniger optimistisch. So heißt es etwa auf dem einflussreichen Telegram-Kanal von „Rybar“, Russlands militärische Präsenz in Nahost hänge am seidenen Faden.