Mülheim. Durch Naturkatastrophen, Russland-Krieg und Blackout-Meldungen kam bei Mülheims Feuerwehr die Frage auf: Wie geht‘s im Notfall eigentlich weiter?
Sechs Stunden lang hat Radio Mülheim am Donnerstag aus der Feuerwache in Broich gesendet. Die ungewöhnliche Aktion, die bewusst am bundesweiten Warntag lief, hatte zwei Gründe: Zum einen sollten Hörer und Hörerinnen von einem völlig neuen Service erfahren, dem sogenannten Notfallinformationsradio, das im Krisenfall hilfreich sein kann. Zum anderen wollte das Team testen, ob die Technik reibungslos funktioniert, und Abläufe für den Notfall einstudieren. Das Interesse war riesig, Journalisten und Kamerateams kamen in die Stadt. Das Mülheimer Modell von Feuerwehr und Lokalfunk eignet sich als Vorbild für viele Kommunen.
Wie informiert man Bürgerinnen und Bürger im Falle einer Katastrophe, die zu flächendeckendem Stromausfall führt? Wie lässt sich das omnipräsente Internet als Quelle ersetzen? Was tut man, wenn alles Digitale wegfällt? Fragen wie diese stellte sich Mülheims Feuerwehr im Herbst 2022. Kurz zuvor hatten schwere Explosionen die Gas-Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 beschädigt, die Spannungen mit Russland wuchsen. In Deutschland waren plötzlich viele unschöne Szenarien denkbar. Doch nicht allein potenzielle Kriegsgefahr ließ die Feuerwehrleute nachdenken, den Anstoß gaben auch Erfahrungen mit unbeherrschbaren Naturkatastrophen wie dem Hochwasser im Sommer 2021.
Mülheims Feuerwehr-Vize: „Man kann die Ereignisse um uns herum nicht ignorieren - aber kein Grund zur Panik“
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2022 habe man erstmals Kontakt mit dem Lokalradio aufgenommen, um abzuklären, wie sich ein stromunabhängiger Weg zur Informationsverbreitung aufbauen ließe, erinnert sich Vize-Feuerwehrchef Michael Lülf. „Man kann die Ereignisse um uns herum ja nicht einfach ignorieren“, sagt er. Doch in Panik verfallen brauche niemand. Man wolle nur einfach vorbereitet sein und das Heft des Handels in der Hand behalten.
„Wir wollten uns selbstsicher machen“, so Lülf, „im Notfall handlungsfähig bleiben, die Menschen versorgen können.“ Zum Beispiel mit lokalen Auskünften über Trinkwasser, über die Lage in den Krankenhäusern, über den Nahverkehr oder allgemein mit Handlungsempfehlungen nach, sagen wir, einem heftigen Unwetter. Auch Hinweise über die Notruf- und Informationspunkte, an denen Bürger eigene Notfälle melden können, könne man so leicht verbreiten.
9300 Euro hat die Errichtung der neuen Außenstelle von Radio Mülheim gekostet
Bei dem Chefredakteur von Radio Mülheim, Olaf Sandhöfer-Daniel, fand Lülf mit seinem Anliegen sofort Gehör. Und so ging schon Anfang 2023, nur wenige Wochen nach der Ursprungsidee, auf der Hauptwache eine erste einfache, aber funktionstüchtige Einsprechstelle für Notfall-Übertragungen an den Start. Am Donnerstag nun wurde der voll ausgestattete Nachfolger mit der Sechs-Stunden-Live-Übertragung eingeweiht, eine Sondergenehmigung der Bundesnetzagentur war dafür notwendig. „Wir haben eine neue Sendestrecke aufgebaut, die uns unabhängig macht von jeglicher Stromversorgung“, so Sandhöfer-Daniel, „wir greifen auf alte Übertragungstechnik zurück, senden von Antenne zu Antenne.“
9300 Euro hat das Studio gekostet, finanziert hat es die Stadt. Andere Kommunen kalkulieren mit deutlich höheren Summen, weiß Lülf. In Mülheim aber habe man davon profitiert, dass man gebrauchte Technik des Lokalfunks übernehmen konnte.
Idealerweise haben die Bürger noch einen klassischen UKW-Empfänger und Batterien zu Hause
Das Radio könnte im Notfall senden, alles ist angerichtet. Ob die Mülheimer auch empfangen können, hängt von ihrer heimischen Ausstattung ab: Laut Sandhöfer-Daniel brauchen sie „einen klassischen UKW-Empfänger, also ein Radio, wie es früher in fast jeder Küche stand“. Und idealerweise haben sie Batterien im Vorrat oder verfügen über ein Gerät, das sich mit Kurbel betreiben lässt. DAB-Radios mit digitaler Technik nützten bei Stromausfall nichts. Bei der Frequenz 92,9 für den Empfang von Radio Mülheim bleibt es übrigens auch in einer Krise. Und alsbald sollen auch die Oberhausener aufs Notfallinformationsradio zugreifen können.
Radio-Reporterin Lena Schweickhardt nutzte die Sondersendung am Donnerstag auch, um die tägliche Arbeit der Mülheimer Feuerwehrleute bekannter zu machen: „Die meisten Menschen kennen die 112, aber haben keine Ahnung von den Abläufen vor Ort. Sie wissen nicht, was die Jungs und Mädels alles auf die Beine stellen.“ Im Außeneinsatz ließ sich Schweickhardt mit der Drehleiter in luftige 26 Meter Höhe hieven und von Feuerwehr-Sprecher Dennis Goronczy erklären, wie Höhenrettung funktioniert. Noch Minuten später hatte sie weiche Knie: „Das war echt hoch. Und wackelig, weil es so windig war.“
Weniger aufregend, aber nicht weniger interessant, ging es unterdessen bei Kollegin Insa Löll zu, die im Studio vorm Mikro saß und einen Feuerwehrmann nach dem nächsten interviewte. Von André Lotz, Leiter der Feuerwehr-Schule, erfuhr sie so zum Beispiel, wie anspruchsvoll der vorgeschriebene Leistungstest fürs Personal ist. Ihr Fazit? „Das würde ich niemals schaffen.“
Am Samstag, 14. September, lädt die Mülheimer Feuerwehr von 11 bis 18 Uhr zum Tag der offenen Tür in die Hauptfeuerwache, Zur Alten Dreherei 11, ein. An diesem Tag wird „100 Jahre Berufsfeuerwehr Mülheim“ gefeiert, unter anderem ist ein Blaulicht-Oldtimer-Treffen geplant. Besucher haben zudem die Gelegenheit, das gläserne Studio von Radio Mülheim kennenzulernen.
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