Essen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren schickt die Partei keinen Abgeordneten aus Essen in den Bundestag. Dennoch war die Stimmung gut auf der Wahlparty.

Zwei Jahrzehnte lang haben die Essener Grünen die politischen Entscheidungen im Bundestag mitbestimmen können. Doch damit ist jetzt erst einmal Schluss: Nach dem Abschied von Kai Gehring nach 20 Jahren als Abgeordneter haben die beiden örtlichen Kandidaten Elke Zeeb und Stephan Neumann erwartungsgemäß den Einzug ins Berliner Parlament verfehlt.

Zu aussichtslos waren die Plätze 43 für die 52-Jährige und 32 für den 50-Jährigen. Das war absehbar allzu weit hintan für die beiden Direktkandidat*innen des Nordost- und des Südwest-Wahlkreises, um auch nur gefühlt in die Nähe eines Mandats zu kommen. Dieser Wahlabend war deshalb eine Zäsur, das abrupte Ende einer politischen Ära für die hiesigen Grünen.

Dass sie angesichts der ersten Prognose und anschließenden Hochrechnungen hie und da dennoch applaudierten und johlten mit ihren rund 150 Gästen in der Parteigeschäftsstelle am Kopstadtplatz in der Innenstadt, ist trotz der Schrammen und Beulen im Bund einer guten, ja sogar positiven lokalen Grundstimmung geschuldet. Viel grünes Eigenlob linderte den Schmerz der Stimmenverluste an diesem Abend, während man gegen CDU/CSU und AfD ordentlich austeilte.

Viele neue Parteimitglieder und eine freundliche Stimmung

Viele neue Parteimitglieder und eine interessiert-freundliche Stimmung nach dem Ampel-Aus an ihren Infoständen sind der Trost, der den hiesigen Grünen bleibt neben der Devise: ohne Berlin-Mandat den Blick und die Kraft auszurichten auf die kommende Kommunalwahl.

„Lasst uns diesen Schwung mitnehmen, so schwer auch dieses Wahlergebnis zu bewerten sein wird, lasst und wieder rausgehen, lasst uns wieder Stände machen“, mobilisierte Grünen-Kreissprecher Mehrdad Mostofizadeh die grüne Mannschaft schon mal, um gleichzeitig Kritik vor allem an der AfD zu üben, deren Ton gegenüber „Menschen, die nicht in ihr Schema passen“, nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene merklich schärfer geworden sei. Man wolle als Grüne „sehr viel investieren“, um zu verhindern, dass weiter „die Axt an die Demokratie und an den Parlamentarismus gelegt wird“, sagte der Landtagsabgeordnete.

Eine „klare Trendwende“ auf wichtigen Politikfeldern

Aber auch in Richtung der Christdemokraten machte Mostofizadeh eine Ansage: Es sei schon „ein starkes Stück“ und „schwer zu verdauen“, dass Friedrich Merz zuletzt „rechtsnationale Angreifer der Demokratie“ gleich gesetzt habe mit jenen Hunderttausenden, die auf der Straße gegen rechte Tendenzen und für Toleranz demonstrierten. Das seien keine guten Voraussetzungen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen, die mit Kompromissbereitschaft „geführt werden müssen“, um die Demokratie zu verteidigen - „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“. Zudem müsse es jetzt eine „klare Trendwende“ zu der „Realitätsverweigerung der vergangenen Jahre“ auf den wichtigsten Politikfeldern geben.

  • Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!

„Nach dem Ampel-Aus erleben wir, dass die Menschen versöhnlicher sind“, sagte Christine Müller-Hechfellner stellvertretend für den Parteivorstand: „Es ist fantastisch, dass wir so viele neue Mitglieder bekommen haben in Essen und im Bund“. Und es seien besonders viele Frauen dazugekommen, die bemerkt haben: „Mit den Grünen gibt es eine echte Frauenpolitik“ - mit Merz nicht.

Den Koalitionspartnern den Stuhl vor die Tür gestellt

Auch Stephan Neumann setzt darauf, dass der derzeitige Schwung der Essener Grünen trotz des Dämpfers auf Bundesebene mit in den Kommunalwahlkampf getragen wird. Richtung Merz und dessen Forderung nach schnellen Koalitionsverhandlungen sagte der grüne Kandidat: „Das hätte er sich vor ein paar Wochen überlegen sollen, als er versucht hat, mit der AfD zusammen für nationalistische Gesetze zu stimmen“. Selbst am Vorabend der Wahl noch habe Merz in München „jede Menge Porzellan zerschlagen“, indem er allen Koalitionspartnern verbal „den Stuhl vor die Tür gestellt“ habe. Doch „trotz aller Verletzungen“ sei es jetzt höchste Zeit für konstruktive Gespräche.

Kandidatin Elke Zeeb sagte, „dieser Wahlkampf war so hart wie schon lange keiner mehr“ - und mit Blick auf die vielen neuen Mitglieder und deren Unterstützung: „Es war wahnsinnig, zu den Ständen zu kommen, und die Leute kannte man noch nicht einmal.“ Für Zeeb war im Vorfeld auf der Straße zu spüren, dass viele Menschen mit der Absicht wählen gingen, ihre Stimme zu splitten: ein Kreuz bei den Grünen, eins bei den Linken. Das spiegele sich nun in dem Wahlergebnis wider, das Rüttenscheid als die lokale Hochburg der Grünen zementiert hat. 23,17 Prozent der Stimmen bekamen sie dort - etwa doppelt so viel wie auf Stadt- und Bundesebene

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]