Essen/Gladbeck. Kaum noch Ware, dubiose Anweisungen aus der Zentrale: Mitarbeiterinnen aus Essen und Gladbeck berichten über ihre letzten Monate bei „Wurst König“.

„Hallo an alle“ – formlos-fröhlich beginnt ein Schreiben, das am 4. November 2024 per Fax an die Filialen von „Wurst König“ ging. Doch so harmlos bleibt es nicht. Vielmehr folgt eine irritierende Anweisung der Zentrale: Seit 31. Oktober komme eine Security-Firma, um die Einnahmen abzuholen, steht dort. „Bitte ab sofort keine Zahlungen mehr tätigen“, acht Ausrufezeichen. „Briefumschlag, Geldbetrag und Filiale darauf schreiben und mitgeben.“

Das Fax liegt dieser Redaktion vor. Unterzeichnet hat es Giuseppe Luimini, der zu dem Zeitpunkt gerade erst die Geschäftsführung der Essener Firma übernommen hatte. Wo er aktuell ist, nach der abrupten Schließung aller Filialen um die Jahreswende, fragen sich viele. Auf Sizilien: eine Möglichkeit. Jedenfalls derzeit nicht erreichbar.

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Auch „Schinken Pabst“ im Allee-Center wurde Anfang Januar geschlossen

Auch bei „Schinken Pabst“ im Allee-Center Altenessen kam Luiminis Fax an. Die Verkaufsstelle, die ebenfalls zu „Wurst König“ gehörte, machte Anfang Januar dicht. Ab November sei ein Kurier der Sicherheitsfirma alle zwei Tage gekommen und habe die Einnahmen mitgenommen, schildert eine langjährige Mitarbeiterin, „ohne dass wir etwas quittieren mussten“. Ähnliches hatte bereits eine Verkäuferin aus der Gelsenkirchener Filiale ihrem Anwalt erzählt, der sie arbeitsrechtlich vertritt.

Solange ausreichend Ware da war, hätten sie bei „Schinken Pabst“ gute Umsätze gemacht: „7000 bis 10.000 Euro am Tag waren das schon, und weil wir nie etwas quittieren mussten, haben wir uns natürlich gefragt: Was passiert mit dem Geld?“ Die Mitarbeiterinnen hätten dann selber einen Ordner angelegt und dokumentiert, welche Summen sie mitgegeben haben. Sie vermuten, dass der Ordner immer noch im leeren Laden steht. „Alle Schlüssel mussten wir beim Centermanagement abgeben.“

„Geldboy“ kam alle zwei Tage - am Ende kaum noch Ware in der Filiale

„Geldboy“ wurde der Kurierfahrer vom Team der Gladbecker „Wurst König“-Filiale genannt, das erzählt eine Mitarbeiterin, die zehn Jahre lang dort war. Alle zwei Tage sei er erschienen, gegen 17 Uhr. Bis dato hätten sie die Einnahmen abends zur Bank gebracht, jetzt wurden sie einfach eingetütet und dem „Geldboy“ mitgegeben. Viel war es am Ende nicht mehr: „Tausend Euro am Tag, manchmal 1500. Wir hatten ja hinterher auch keine Ware mehr.“ Die Kassenbelege sollten abgeheftet werden und im Laden bleiben.

Hauptlieferant sei früher die Firma Kuller in Moers gewesen, berichtet die Mitarbeiterin aus dem Essener Allee-Center. Bis diese Wurstwarenfabrik Anfang November 2024 komplett ausbrannte. Anschließend sei die Dortmunder Firma SP West, die „Wurst König“ auch zuvor schon beliefert hatte, verstärkt in die Bresche gesprungen. „Bis dann Anfang Dezember ein Anruf von SP kam, dass sie nicht mehr liefern, weil keine Rechnungen bezahlt wurden.“

Neuer Lieferant noch kurz vor Weihnachten

Am 11. Dezember wurde den Mitarbeitenden dann per Rundmail ein neuer Lieferant präsentiert: die Firma Wulff in Göttingen. Mit „höchster Dringlichkeit“ müsse jede Filiale „unverzüglich“ ihre Bestellung übermitteln, die bis Weihnachten benötigt werde. Kurz nach den Feiertagen ging dann bei „Wurst König“ das Licht aus.

Auch in der Essener Filiale im Einkaufszentrum Limbecker Platz. Am 27. Dezember hätten sie noch im Laden gesessen und auf Ware gewartet, berichten zwei Ex-Mitarbeiterinnen. Es sei der letzte Öffnungstag gewesen. Die Anweisung von Anfang November, Tageseinnahmen der Security-Firma auszuhändigen, habe sie verwundert. „Vorher haben wir immer auf ein Konto bei der Sparkasse eingezahlt.“ Sie hätten in der Zentrale telefonisch nachgefragt, warum plötzlich ein Bote kommt – knappe Antwort: Es sei jetzt verpflichtend. „Die Kassenbelege haben wir rüber gefaxt und aufbewahrt. Die Tasche liegt heute wahrscheinlich immer noch da.“

Tageseinnahmen von 1500 bis 2000 Euro im Limbecker Platz

Zwischen 1500 und 2000 Euro hätten sie im Limbecker Platz täglich eingenommen. Am Ende, als keine Ware mehr nachkam, brachen die Zahlen auch hier ein. Dennoch glauben die Frauen: „Die Leute, die die Firma gekauft haben, haben zuletzt noch richtig Gewinn gemacht.“ Der frühere langjährige Inhaber und Chef, Michael Redding aus Simmerath, hatte sich Ende Juli 2024 einen zweiten Geschäftsführer hinzu geholt: Poulos Costa aus Athen. Ab 7. November 2024 firmierte dann der Italiener Guiseppe Luimini offiziell als alleiniger Geschäftsführer.

Wohl nicht nur „vorübergehend“ geschlossen: Die „Wurst König“-Filiale im Essener Einkaufszentrum Limbecker Platz. Ein Teil der Einrichtung wurde abtransportiert, darunter Kühlschränke und Möbel.
Wohl nicht nur „vorübergehend“ geschlossen: Die „Wurst König“-Filiale im Essener Einkaufszentrum Limbecker Platz. Ein Teil der Einrichtung wurde abtransportiert, darunter Kühlschränke und Möbel. © WAZ | JL

Ab Dezember wurden Mitarbeiterinnen und Lieferanten nicht mehr bezahlt, nur noch hingehalten. Die Essener Verkäuferinnen berichten auch: Als ihr Geschäft zu war, hätten Unbekannte die Einrichtung herausgeholt und weggeschafft. Stühle, Tische, Sitzbänke, Kühlschränke, Mikrowellengeräte, „alles, was man verkaufen kann“. Am 8. Januar war die Filiale plötzlich ausgeräumt, wie Fotos belegen. In anderen Filialen seien sogar Verkaufstheken abtransportiert worden.

Altgedienter Büro-Mitarbeiter warnte: „Sucht euch neue Jobs“

Im Büro der „Wurst König“-Verwaltung habe ein sehr altgedienter Mitarbeiter noch bis in den Dezember hinein die Stellung gehalten, erzählen die Frauen, bis er selber in Rente ging. Sie hätten häufig mit ihm telefoniert, auch nach dem letzten Wechsel in der Chefetage. Der Kollege habe gewarnt, dass mafiöse Strukturen Einzug gehalten hätten. Sein Rat: „Sucht euch neue Jobs.“

Neue Jobs haben sie jetzt, beide. Am 1. März werden die Fleischereifachverkäuferinnen in einem anderen Essener Geschäft arbeiten. Parallel laufen ihre Verfahren am hiesigen Arbeitsgericht, wo sie – wie neun Kolleginnen aus verschiedenen Städten – um ausstehende Löhne kämpfen, während der Arbeitgeber untergetaucht ist. Ungelernten Kräften zahlte „Wurst König“ teilweise nur den Mindestlohn, sie selber hätten besser verdient, sagen die Frauen.

Nun fehlen ihnen nicht nur die Dezember- und Januargehälter plus Weihnachtsgeld: Auch 315 Überstunden, die noch unter dem früheren Chef angefallen seien und nicht bezahlt wurden, habe sie eingeklagt, berichtet eine Mitarbeiterin. Insgesamt geht es allein in ihrem Fall um eine fünfstellige Summe. Sie schätzt, dass zuletzt rund 100 Verkäuferinnen bei „Wurst König“ beschäftigt waren. Hundert Betroffene, wenn nicht mehr.

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