Essen. Taxigutscheine für Frauen? Barbara Wolf, Gleichstellungsbeauftragte in Essen, lehnt das ab. Ein Modell aus Zürich könnte als Vorbild dienen.

Frauen ab 16 Jahren sollten von der Stadt einen Taxigutschein bekommen, um nachts sicher nach Hause zu kommen: Diesen Vorschlag hatte die Studentin Luna Gießler aus Altenessen gemacht. Ihre Argumentation: Frauen sollen so besser vor sexuellen Übergriffen von Männern geschützt werden.

Die Stadt Essen lehnte den Vorschlag ab und führte dabei eine Reihe von Argumenten an, die bei Luna Gießler und vielen Essenerinnen und Essenern auf den Social-Media-Kanälen der WAZ Essen für Unverständnis sorgten. Unter anderem hieß es von der Stadt, auch Männer seien Gewalt ausgesetzt und ein Taxigutschein sei keine passende Lösung.

Mit der Debatte um mögliche Taxigutscheine befasst sich bei der Stadt Essen auch Barbara Wolf. Die Gleichstellungsbeauftragte ist unter anderem dafür zuständig, dass Frauen und Männer gleich behandelt werden. Wir haben sie zum Interview getroffen und gefragt, ob sie sich persönlich in Essen sicher fühlt, was Essen von anderen Städten lernen kann und welche Alternativen es zu Taxigutscheinen gibt.

Frau Wolf, gibt es Orte in Essen, an denen Sie sich persönlich unsicher fühlen?

Natürlich guckt man schon, wenn man durch die Stadt läuft. Da kommt es auch auf die Tageszeit an. Das ist vielleicht auch eine Typenfrage. Ich bin in Kray aufgewachsen, mich bringt so schnell nichts in Angst. Aber man weiß natürlich nie, was einem auf der Straße passiert. Ich habe keine bestimmten Orte wo sage, da würde ich nicht hingehen.

Mehr zum Thema Taxi-Gutscheine und Sicherheit in Essen

Luna Gießler (Initiatorin des Vorschlags für Taxi-Gutscheine) hat sich sehr darüber geärgert, dass Sie ihr gesagt haben, wenn sie beim Gassi-Gehen belästigt werde, würde ihr auch ein Taxi-Gutschein nicht helfen. Verstehen Sie es, wenn sie jetzt sagt, von einer Gleichstellungsbeauftragten hätte sie etwas anderes erwartet?

Dass die junge Frau das Thema in den Ausschuss gebracht hat und wir darüber jetzt diskutieren, ist gut. Ich finde, dass ich als Gleichstellungsbeauftragte aber nicht alles, was für Frauen beantragt wird, einfach durchwinken kann. Man muss das Thema aus vielen verschiedenen Gesichtspunkten sehen. Es ist nicht richtig, wenn sich Frauen tagsüber beim Gassigehen belästigt fühlen. Da müssen wir was machen. Ein Taxigutschein wäre dabei nur ein sehr kleiner Beitrag, der aus Sicht der Stadt derzeit nicht das richtige Mittel ist.

Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Essen: Auch Männer fühlen sich unsicher

Wäre es nicht immerhin ein Anfang, mit einem Taxigutschein die Angst und Gefahren in der Dunkelheit zu reduzieren?

Aber wem wollen Sie dann alles einen Gutschein für ein Taxi geben? Auch Männer fühlen sich teilweise unsicher, wenn sie nachts unterwegs sind. Was ist mit Seniorinnen und Senioren? Frauen sind auch beruflich bedingt nachts unterwegs. Denen können wir nicht jedes Mal einen Taxigutschein geben. Wir haben mit „Bussi“ eine gute Alternative. Das ist ein super Angebot, um sich nachts zu bewegen. „Bussi“ hat 12.0000 Haltepunkte in Essen, die maximal 250 Meter auseinander liegen.

Interview Barbara Wolf
„Auch Männer fühlen sich nachts in Essen nicht immer sicher“, sagt Barbara Wolf. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

In einem „Bussi“ können aber auch fremde Männer zusteigen.

Wenn in einem „Bussi“ was passieren sollte, wenn sich eine Frau belästigt fühlt, ist ein Fahrer in der Nähe. Außerdem ist unsere Pooling-Quote (zusteigende Fahrgäste, d. Red.) sehr gering. Sie sitzen da maximal mit zwei Leuten, es passiert nicht häufig, dass fremde Männer mit einsteigen. Es gibt auch viele Frauen, die berichten, dass Taxifahrer übergriffig werden. Wenn sie mit Bussi fahren, wissen sie genau, wer das fährt. Das ist eine Fahrerin oder ein Fahrer von der Ruhrbahn. Im Vergleich zum Taxi ist das schon ein sehr sicheres Angebot.

Die Stadt argumentiert, durch die Einführung von Taxi-Gutscheinen würden Männer benachteiligt. Frauen sind aber nachts einem höheren Risiko für sexuelle Übergriffe ausgesetzt als Männer. Handelt es sich damit nicht viel eher um die Aufhebung eines Nachteils?

Man muss beachten: Auch Männer sind im öffentlichen Raum nachts Gefahren ausgesetzt. Das sind andere Gefahren als Frauen, da steht nicht die sexuelle Belästigung im Vordergrund. Männer laufen eher Gefahr, dass sie in eine Prügelei reingezogen werden. Wo ziehen wir da die Grenzen? Auch queere Menschen sind häufig Aggressionen ausgesetzt. Es ist schwierig, das Thema einzugrenzen, ohne andere Menschen auszugrenzen.

Auch interessant

Aufklärung und Sensibilisierung statt Taxigutscheine in Essen

Männer geraten in eine Schlägerei, Frauen sind sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Machen Sie da keinen Unterschied?

Natürlich mache ich da einen Unterschied. Wir wollen die Stadt allerdings für alle sicherer machen. Ich als Gleichstellungsbeauftragte schaue auf die Belange von Frauen. Wir haben aber in der Gleichstellungsstelle seit zwei Jahren auch eine Stelle für Männer und ebenfalls für die queere Community. Der kriminalpräventive Rat schaut auch auf Jugendliche und Senioren. Man kann bei diesem Thema nicht eine kleine Gruppe von Clubbesucherinnen rauspicken und sagen: Für euch machen wir Gutscheine. Das klingt verlockend, das Problem ist aber ein anderes. Wir möchten etwas verändern, aber nicht mit einem Schnellschuss wie einem Taxigutschein.

Die Stadt Essen verweist auf das Angebot „Bussi“ als günstige Alternative zum Taxi.
Die Stadt Essen verweist auf das Angebot „Bussi“ als günstige Alternative zum Taxi.

Wir müssen uns die Frage stellen: Muss die Stadt gucken, dass wir die Frauen möglichst versteckt durch die Stadt bewegen, damit nichts passiert? Oder sind nicht die Leute gefragt, die sich falsch verhalten, Frauen belästigen, anfassen oder noch schlimmeres? Das muss doch zurückgehen. Das hat viel mit Aufklärung und Sensibilisierung zu tun. Vielen ist es gar nicht bewusst, dass sie übergriffig wirken können. Nicht jeder Mann ist der Feind, man darf nicht solche Fronten aufbauen. Das ist allerdings ein anderes Thema.

Stadt Essen blickt nach Zürich und München

In Städten wie München und Köln gibt es bereits Taxigutscheine für Frauen. Was kann sich Essen von anderen Städten abschauen?

Wir haben mit München im Juni 2024 Kontakt aufgenommen, weil wir uns in der Haushaltsplanung die Frage gestellt haben, ob wir auch so etwas wie ein Frauentaxi einführen wollen. Wir haben uns aber dagegen entschieden, aus unterschiedlichen Gründen. In München war es so: In den Jahren 2022 und 2023 hatte die Stadt etwa 6000 Gutscheine ausgegeben, genutzt worden sind jeweils 1200. Das Projekt ist gar nicht so gut angenommen worden.

In einigen Städten gibt es Privat-Initiativen, die nachts vier oder fünf Taxis zur Verfügung stellen, die von Frauen gefahren werden. Manche Taxiunternehmen geben für weibliche Club-Besucherinnen nachts einen Rabatt. In Köln gibt es zum Beispiel „Frauen fahren Frauen“. In Essen gibt es sowas noch nicht, aber in Essen gibt es „Bussi“.

Die Stadt Zürich hat die Kampagne „Zürich schaut hin“. Dort gibt es ein System, mit dem man online Übergriffe oder auch einfach dunkle Ecken melden kann. Dadurch werden viel mehr Sachen bekannt. Wenn eine Frau in der Straßenbahn blöd angesprochen wird, dann geht sie damit fast nie zur Polizei. Wenn sowas über eine App angezeigt wird, fließt es zumindest mit in die Statistik ein. Beim Feld der sexuellen Belästigung gibt es eine riesige Dunkelziffer.

Was muss geschehen, damit sich in Essen alle sicherer fühlen?

Ein gegenseitiges aufeinander Acht geben bewirkt schon viel. Zum Beispiel, dass ich versuche zu helfen, wenn ich sehe, dass jemand belästigt wird. Eine gute Beleuchtung und Polizeiarbeit haben wir schon. Wir sind in Essen schon auf einem guten Weg. Es gibt eine Diskrepanz zwischen subjektivem Sicherheitsempfinden und der objektiven Sicherheitslage.

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]