Düsseldorf. Als Friedensaktivist hat Haverkamp viel erreicht. Und doch treibt ihn die Einstellung der „Alten“ zur Weißglut. Was ihn an seiner Generation nervt.
„Wenn ich mir die Welt der Erwachsenen anschaue, ist das wirklich empörend“, sagt Günter Haverkamp. „Der schlaksige Mann mit dem schlohweißen Haar sitzt im Café Mautz im Schatten des Salzmannbaus in Düsseldorf-Bilk, nippt an einem Glas Apfelschorle und redet über den Klimawandel. „Was der Mensch gerade mit seiner Zukunft anstellt, ist an Jämmerlichkeit nicht zu überbieten.“ Haverkamp ist total genervt von den Autos, die sich täglich durch die Stadt schieben, spricht von einer „nicht vorhandenen“ Mobilitätswende. „Deswegen will ich die Kinder jetzt aktivieren“, sagt er.
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Er will in die Schulen gehen, den Mädchen und Jungs klar machen, dass sie was tun können, dass sie die Erwachsenen auch einmal belehren können, dass es nicht immer andersherum laufen muss: „Sie können zum Beispiel in den 30er-Zonen drei Finger für Tempo 30 heben. Die Autofahrer, die 30 fahren, fassen es als Bestätigung auf und diejenigen, die zu schnell fahren, als Mahnung.“
Haverkamp hat schon viele solcher Aktionen auf die Beine gestellt, die im ersten Moment ungewöhnlich erscheinen. Aber er hat damit viel bewegt. Am Montag bekam der inzwischen 76-Jährige im Rathaus von Bürgermeister Josef Hinkel das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Eine Sache, die Haverkamp eher unangenehm ist. „Wenn ich für irgendwen kämpfe, dann stelle ich mich gerne nach vorn“, sagt der Düsseldorfer. „Wenn es nur um mich geht, wie dieses Mal, ist das wirklich nicht mein Ding.“
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Dabei hat es der Friedensaktivist, der mit seiner Ehefrau im Stadtteil Oberbilk lebt, wirklich verdient, endlich mal im Mittelpunkt zu sehen. Haverkamp hat durch sein langjähriges Engagement insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe so viel erreicht. Beispiel: Seit 1984 war der ehemalige Speditionskaufmann als Vordenker und Initiator federführend am Aufbau eines Flüchtlingsrates in NRW beteiligt, unter dessen Dach nun alljährlich ein „Asylpolitisches Forum“ veranstaltet wird.
2003 gründete Haverkamp vor dem Hintergrund des drohen Irak-Krieges dann den bundesweit agierenden Verein „Aktion Weißes Friedensband“, in dem Bildungsaktionen und Projekte gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aller Schulformen entwickelt werden. Bei den Projekten lernen die Jugendlichen die schwierige Situation Gleichaltriger in aller Welt kennen lernen.
Schwerpunktthemen sind die Kinderarbeit auf Tabakfeldern, sexualisierte Gewalt und Kinderprostitution, Kindersoldaten, Kinderrechte, das Wahlrecht, die Schülermitwirkung und die Verhinderung von Genitalbeschneidung bei Frauen und Mädchen. Vier Jahre später, 2007, initiierte Haverkamp in Düsseldorf einen „Runden Tisch gegen Genitalbeschneidung bei Mädchen.
„Wenn wir nicht aufpassen, werden unsere Kinder genauso dumm wie wir.“
Der Fokus liegt bei dem eloquenten, gütigen, gleichwohl hin und wieder auf Konfrontation gepolten Mann also auf das „Mitnehmen“ der jungen Generation. „Wir Alten haben es ja verpasst, uns selbst eine gute Zukunft zu bescheren“, sagt er. „Und wenn wir nicht aufpassen, werden unsere Kinder genauso dumm wie wir.“ Unter anderem fordert er für Düsseldorf „endlich ein Kinderparlament“, das an politischen Entscheidungen mitbeteiligt wird. „Das gibt es in Holland in fast jeder größeren Stadt.“ Gerade im Alter von elf bis zwölf Jahren würden die Mädchen und Jungs noch die „Warum-Fragen“ stellen, also die Fragen, die den Erwachsenen oft nicht passen. Das sei oft zielführend, sagt Haverkamp.
Dinge im Kopf beim Fahrradfahren sortieren
Haverkamp hat in seinem Leben viele Menschen in prekären Lebenssituationen kennen gelernt. Er erinnert sich an eine Telefonsprechstunde zum Thema „Genitalbeschneidung bei Frauen und Mädchen“. Eine gebürtige Kenianerin, die mit ihrem Mann nach Deutschland gezogen war, habe er am Apparat gehabt. „Das Telefonat dauerte fünfzig Minuten, sie hat mich in einer Tour angeschrien. Vielleicht hat sie die ganze Zeit ihren Schmerz hinaus geschrien. Ihr Mann war untreu, er hat sich nur noch für deutsche Frauen interessiert, weil die eben nicht beschnitten sind. Sie war so wütend“, erzählt Haverkamp. „Ich war in diesem Moment Prellbock, aber das war okay.“ Damit Haverkamp die oft existentiellen Probleme anderer Menschen nicht mit nach Hause nimmt, nimmt er sie mit auf den Sattel. „Ich fahre täglich etwa 30 Kilometer mit dem Rad, da kann man die Dinge im Kopf sortieren.“
Haverkamp wird weiter viel Fahrrad fahren, wird sich weiter empören und daraus Energie ziehen. Obwohl er eigentlich schon seit 2015 in Rente ist. „Die schlimmste Vorstellung ist für mich, nachmittags mit der Fernbedienung auf dem Sofa zu sitzen und durch die TV-Programme zu zappen“, sagt der Mann mit dem schlohweißen Haar und nippt noch einmal an seiner Apfelschorle. Hoffentlich wird sich der 76-Jährige noch lange empören.
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