Voerde. Der BUND hat Fachanwälte mit der Bewertung der Planung für den Logistikpark beauftragt. Welche eklatanten Fehler die Juristen im Verfahren sehen.

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Politik noch in diesem Jahr über die Weichenstellung für eine hochumstrittene Gewerbeansiedlung entscheiden soll. Die Rede ist vom Bau eines Logistikparks im Hafen Emmelsum auf einer großen Freifläche in unmittelbarer Nachbarschaft zum Aluminiumhersteller Trimet. Geht es nach der Stadtverwaltung, würde das laufende Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans und zur Aufstellung des neuen Bebauungsplans (B-Plan) Nr. 139 im dritten oder vierten Sitzungslauf mit einem positiven Votum der Politik zu Ende gebracht. Hieße: Der Stadtrat trifft am 8. Oktober oder aber spätestens am 3. Dezember den Satzungsbeschluss und macht damit den Weg für das Vorhaben frei.

Dagegen regt sich bekanntlich mit Hinweis auf den enormen Flächenverbrauch und die steigende Verkehrsbelastung sowie aus Gründen des Klima-, Natur- und Umweltschutzes seit langem Widerstand – federführend organisiert von der Initiative „Emmelsum-Biotop-Retten!“ und der Bürgerinteressengemeinschaft (BIG) Spellen. Der Protest zeigte Wirkung, die Planungen wurden „abgespeckt“. 2022 bereits waren die ursprünglich sieben Hallensegmente mit insgesamt 75.000 Quadratmetern Fläche auf noch fünf (50.000 Quadratmeter) reduziert worden.

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Nach 2022 kam es zu weiteren Veränderungen. Durch „Rücknahme von gewerblichen Bauflächen und Ausweisung von weiteren Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur- und Landschaft, Flächen für die Landwirtschaft, Grünflächen und von Waldflächen“ würden maximal 9,7 Hektar neu versiegelt, argumentiert die Verwaltung. Die massive Kritik an dem Bauprojekt hat dies nicht verstummen lassen. Zu der überarbeiteten Planung konnten bis zum 8. Juli Einwendungen abgegeben werden.

Insgesamt etwa 150 wurden eingereicht, wie Stadtpressesprecher Thorben Lucht auf NRZ-Anfrage erklärt. Eine davon kommt von der Kreisgruppe Wesel des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (kurz BUND), die sich in der Sache von einer Hamburger Fachanwaltskanzlei vertreten lässt. Jene stellt der Stadtverwaltung in der schriftlichen Einwendung ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Die vorliegende Planung leide „an einer Vielzahl grundlegender Mängel“. Diese gehe weit an einem „vertretbar begründbaren Bedarf vorbei“. Daher verstoße sie „gegen verbindliche Ziele aus dem Landesentwicklungsplan“. Der Bedarf „an Hafeninfrastruktur und hafennaher Logistik“ sei durch die Planungen der vergangenen Jahre „bereits massiv überbedient“. Auch wird in der Eingabe unter anderem eine „eklatant fehlerhafte naturschutzrechtliche Eingriffsprüfung“ moniert, dazu eine „stark defizitäre Verkehrsuntersuchung“, um nur einige Punkte aus dem 55-seitigen Schreiben zu nennen.

Günter Ladda, Frank Parting und Günther Rinke (v.l.n.r.) hoffen, dass mit der Einwendung der Fachanwaltskanzlei bei der Stadt ein „Denkprozess angestoßen“ wird.
Günter Ladda, Frank Parting und Günther Rinke (v.l.n.r.) hoffen, dass mit der Einwendung der Fachanwaltskanzlei bei der Stadt ein „Denkprozess angestoßen“ wird. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Zudem seien die ausgelegten Unterlagen „unvollständig“, weil sie den rechtskräftigen Bebauungsplan Nr. 39 nicht komplett und dazu „irreführend darstellen“. Für die umweltbezogene Beurteilung der vorliegenden Planung aber sei der derzeitig gültige B-Plan samt seiner Begründung zentral. Die Fachanwaltskanzlei stellt eine „grundlegend falsche Bewertung des Ausgangszustands der in Anspruch genommenen Fläche“ fest. Das Argument, dass das geltende Planrecht gemäß dem B-Plan Nr. 39 derzeit bereits Eingriffe in größerem Umfang zulasse als die nun beabsichtigte Planung nach dem B-Plan Nr. 139, sei „unzutreffend“. Die Behauptung, das derzeit geltende Planrecht ermögliche eine umfassende Versiegelung des Plangebiets, sei „rechtlich nicht haltbar“. Die durch die Stadtverwaltung erfolgte Interpretation des derzeit gültigen B-Plans sei nicht im Ansatz „nachvollziehbar“, woraus nach Einschätzung der Fachanwälte folgt, dass „sämtliche natur- und klimaschutzbezogenen Gutachten und Bewertungen vollkommen neu zu erstellen“ wären.

Der seit 1969 rechtskräftige Bebauungsplan „wurde ausweislich dessen Begründung zur Ansiedlung einer Aluminiumhütte“ aufgestellt. Die überbaubaren Grundstücksflächen seien durch Baugrenzen so festgesetzt worden, „dass zunächst nur die ersten beiden Stufen der Aluminiumhütte erstellt werden konnten“. Die Begründung zum Bebauungsplan führe hierzu weiter aus, „dass eine spätere Änderung der Baugrenzen erforderlich werden könnte, falls eine dritte Baustufe realisiert werden sollte“. Am Ende sei tatsächlich nur die erste Baustufe der Aluhütte realisiert worden. Eine Veränderung der festgesetzten Baugrenzen sei nie erfolgt. Dies bedeutet nach Einschätzung der Fachanwälte, dass die alte Planung für das neue, in Rede stehende Plangebiet „fast keine Baurechte“ schafft. Denn: Das Plangebiet liege „nahezu vollständig außerhalb der durch Baugrenzen festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche“.

Gegner der Ansiedlung: Fläche hat hohe Wertigkeit für Voerde

„Es gibt dieses Baurecht nicht, auf das sich die Stadt bezieht“, erklärt Günther Rinke, Vorsitzender der BUND-Kreisgruppe Wesel, im Gespräch mit der NRZ. Seiner Meinung nach ist es eine „völlig wahnwitzige Sichtweise“, das, was da auf der riesigen Freifläche neben Trimet wachse, „zu ignorieren“. Frank Parting von der Initiative „Emmelsum-Biotop-Retten!“ merkt an, dass der gültige Bebauungsplan inzwischen 55 Jahre alt ist: „Und darauf fußt alles. Das Stück Land liegt seit Jahrzehnten brach.“ Zudem ruft er in Erinnerung, dass der damalige Aluproduzent Hoogovens dort ein Biotop angelegt habe und dafür von der UNO ausgezeichnet wurde. Das sei eine Fläche, von der die Stadt sagen könne, „da sind wir stolz drauf“, meint Parting.

Es handele sich um einen Bereich, der für Voerde eine hohe Wertigkeit habe: als „letzte Freiluftschneise in einem ansonsten von Gewerbe durchzogenen Gebiet“, betont Günther Rinke vom BUND. Käme es zu der Ansiedlung der riesigen Logistikhallen, wäre die Biodiversität dieses Ökosystems nicht mehr gegeben, warnt Frank Parting. Und: Das Gelände biete auch einen Rückzugsraum für Wild bei Hochwasser, gibt Günter Ladda zu bedenken. Der Vorsitzende der BIG Spellen widerspricht auch einigen Beschreibungen, die im Zusammenhang mit der Ansiedlung fallen: „Das ist nicht hafenaffin – und schon gar nicht trimodal.“ Die Löschung der Binnenschiffe würde über Lkw erfolgen. Es gebe keinen direkten Bahnanschluss. Dafür hätte auch, bevor ein neuer B-Plan aufgestellt wird, zunächst ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden müssen, bekräftigt Frank Parting.

Der Voerder kritisiert zudem, dass beim Thema Verkehr zum Teil Zahlen zugrunde gelegt worden seien, die „noch aus Corona-Zeiten“ stammten – also aus den Jahren, als deutlich weniger Menschen zur Arbeit fuhren, weil sie im Homeoffice blieben. Zwar sei „pauschal ein zehnprozentiger Aufschlag“ auf den Tag der Verkehrszählung im September 2021 vorgenommen worden, konstatieren die Fachanwälte. Wie dieser Aufschlag aber tatsächlich zustande gekommen sei, werde nicht nachvollziehbar beschrieben. Nach Ansicht von Frank Parting wird die Ist-Situation „völlig falsch“ dargestellt. Auch gehe die Stadt Voerde davon aus, dass der Verkehr direkt über die Autobahn A3 abfließen werde. „Das bezweifeln wir“, der Verkehr suche sich immer den leichtesten Weg, sagt Günther Rinke. Vielmehr befürchten die Kritiker der Logistikpark-Ansiedlung, dass es auf der B8 noch zunehmend voller wird, die Schadstoffbelastung dort weiter steigt. Eine Verschlechterung, die nicht nur Voerde, sondern auch Dinslaken betreffe.

„Ich sehe nicht ansatzweise einen Punkt zu sagen, das ist eine tolle Sache. Im Gegenteil: Ab in die Tonne damit.“

Günther Rinke, Vorsitzender der BUND-Kreisgruppe Wesel

Angesichts der von der Fachanwaltskanzlei aufgezeigten Mängel müsste die Stadt nach Einschätzung von BUND-Vertreter Rinke einen neuen B-Plan aufstellen und den jetzigen „einstampfen“. Wie die Initiative „Emmelsum-Biotop-Retten!“ und die BIG Spellen fordert auch er, die Freifläche so zu belassen, wie sie ist. Der geplanten Ansiedlung kann er nichts Positives abgewinnen. „Ich sehe nicht ansatzweise einen Punkt zu sagen, das ist eine tolle Sache. Im Gegenteil: Ab in die Tonne damit.“ Sollte der Stadtrat am Ende dennoch die Weichen dafür stellen, erwägen die Gegner eine Klage. Diesen Weg würde dann die BUND-Kreisgruppe Wesel beschreiten. Eine weitere Option wäre es, ein Bürgerbegehren gegen den Ratsbeschluss anzustrengen, erklärt BIG-Spellen-Chef Günter Ladda.