Immer mehr Call-Center nutzen automatische Massenanwahl. 250 mal Läuten am Tag. Anrufer sollten der Bundesnetzagentur gemeldet werden.
München. Viele Bundesbürger sind völlig entnervt. Bei ihnen klingelt 5, 20, 30 mal am Tag das Telefon. Aber nie ist jemand dran. Funkstille am anderen Ende. Hinter den „Geisteranrufen“ stecken in der Regel Call-Center, die zur Optimierung ihrer Werbeanrufe immer häufiger eine automatische Massenanwahl nutzen, wie Cord Lüdemann von der Bundesnetzagentur erklärt. Das Phänomen sei neu – und extrem nervenzehrend. Die Behörde prüft gerade, wie sie gegen die massenhafte Belästigung vorgehen kann.
In einem Fall habe das Telefon ganze 250 mal am Tag geläutet, berichtet der Telekommunikationsfachmann. Bei den meisten Menschen liegen bereits nach dem dritten gespenstischen Anruf die Nerven blank. Bei Verbraucherzentralen und der Netzagentur häufen sich die Klagen über Klingelterror. Die Zahl der Beschwerden über Rufnummern-Missbrauch, die noch im Juli bei etwa 10.000 lag, habe sich mittlerweile verdreifacht, sagt Lüdemann.
Klar ist für die Fachleute inzwischen folgendes: Die Massenanrufe (cold calling) werden durch sogenannte predicitive dialer gesteuert, also vorausschauende Anwählcomputer. So kommt es, dass bei Tausenden Menschen täglich das Telefon klingelt, ohne dass sich jemand meldet.
Vorteilhaft für die Profi-Werber: Sie sparen jede Menge Zeit, weil die spezielle Computersoftware bis zu 100 Bürger gleichzeitig anrufen kann. Einer davon hebt dann schon ab. Bei den restlichen 99 Angerufenen läuft das Gespräch ins Leere.
Die Software hat dann die Leitungen längst gekappt und bereits eine neue Anwahl bei den nächsten 100 Leuten gestartet. Legt der Callcenter-Mitarbeiter auf, blinkt bei ihm gleich das nächste Gespräch in der Leitung, wie Rafaela Möhl vom Online-Ratgeberportal „Teltarif“ erläutert.
Das Perfide daran: Viele Nummern, bei denen der Ruf ins Leere geht, rutschen offenbar automatisch in die Wiederholungsschleife. Bei einem der nächsten Anwählversuche sind sie wieder dabei. „Die Telefonkunden liegen sozusagen auf Wiedervorlage, und das kann dutzende Male täglich so gehen“, weiß Lüdemann.
Was tun? Derzeit prüft die Netzagentur fieberhaft, ob die Geistertelefonate gegen geltendes Recht verstoßen und wie man am besten dagegen einschreiten kann. Womöglich muss der Gesetzgeber nachbessern. Erst Anfang August waren die Gesetze verschärft worden.
Bei unerlaubten Werbeanrufen drohen Firmen neuerdings Geldbußen von bis zu 50.000 Euro. Außerdem ist ein Werbetelefonat nur dann erlaubt, wenn der Angerufene dem vorher ausdrücklich zugestimmt hat. Eine zusätzliche Einschränkung: Die Profi-Werber dürfen nicht mehr ihre Rufnummer unterdrücken. Das war bisher gang und gäbe, um Nachforschungen zu erschweren. Jetzt droht bei Rufnummerverschleierung eine Strafe von bis zu 10.000 Euro.
Nur – ob die neue Gesetzeslage ausreicht, um auch den Geistertelefonaten Herr zu werden, ist noch fraglich. Denn bei den stummen Anrufen handelt es sich strenggenommen ja nicht um unerlaubte Werbeanrufe. Schließlich ist keiner dran, wenn man abhebt. „Das ist die Krux an der Sache“, sagt Lüdemann. „Eine rechtliche Grauzone“, meint Fachfrau Möhl.
Petra von Rhein, Juristin der Verbraucherzentrale Bayern, hält die Massenanrufe dagegen eindeutig für eine eine unzumutbare Belästigung nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Und für einen Eingriff in die Intimsphäre. Die Betroffenen könnten Unterlassung fordern.
Wer von stummen Anrufen geplagt ist, sollte in jedem Fall die Nummer notieren und sie bei der Bundesnetzagentur melden, rät Carmen Gahmig, Juristin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Nur so könnten die Verursacher aufgespürt werden.
Das geht aber nur dann, wenn die Call Center nicht mit unterdrückter Rufnummer arbeiten – was trotz neuem Verbot und Androhung von Strafe noch oft genug der Fall sein dürfte, wissen Verbraucherschützer. Wird die Nummer des Anrufers nicht sichtbar, bleibt nichts anderes übrig, als das Dauerklingeln zu ignorieren. Eine neue Telefonnummer zu beantragen ist keine Garantie, das Ärgernis komplett loszuwerden. Denn so manche Computersoftware geht offenbar wahllose Nummernkombinationen durch und wählt danach an. „Das ist zwar nicht erlaubt, wird aber wohl praktiziert“, so Teltarif-Fachfrau Möhl.