Hamburg. Innerhalb von sechs Jahren hat Maersk das Hamburger Unternehmen ausgehöhlt und geschliffen. Die Geschichte vieler gebrochener Versprechen.
Der „Schwan des Südatlantiks“ trotzt der schwer auf dem Hafen liegenden Sommerhitze. Die „Cap San Diego“ reckt an der Überseebrücke wie eh und je stolz ihren Bug aus dem Wasser, während zahlreiche Touristen das Museumsschiff in Augenschein nehmen. Es erzählt Geschichten aus einer einst stolzen Seefahrerzeit, als die Cap-San-Diego-Schiffe den Südamerikahandel beherrschten und ihrer Reederei, der Hamburg-Südamerikanischen-Dampfschifffahrtsgesellschaft, zu neuer Bedeutung in der Nachkriegszeit verhalfen. Die „Cap San Diego“ ist Symbol für die enge Verbundenheit der Reederei Hamburg Süd mit der Stadt Hamburg und eines ihrer Wahrzeichen.
Bald ist das Schiff nurmehr das letzte Artefakt, das von dieser engen Verbundenheit erzählt. Denn die Reederei Hamburg Süd verschwindet aus den Firmenregistern. Die Ankündigung vor einigen Tagen, dass ihr Chef, Poul Hestbaek, seinen Posten Ende dieses Monats nach nur zweieinhalb Jahren räumen wird, setzt den vorläufigen Schlusspunkt unter eine 152-jährige stolze Hamburger Firma, die innerhalb von nur sechs Jahren zunächst ausgezehrt und dann geschliffen worden ist.
Branchenriese Maersk frisst Reederei Hamburg Süd
Die Hamburger Reederei, bei der zeitweise mehr als 7000 Menschen in Lohn und Brot standen, wird entgegen ursprünglicher Versprechen komplett von ihrem neuen Eigentümer, dem dänischen Branchenriesen Maersk, getilgt.
Hamburg Süd war nie die größte Reederei oder die bedeutendste. Aber ihr Name hatte in der Weltschifffahrt ihren Platz und war bei Verladern und Handelsunternehmen hoch angesehen. Die Reederei galt als Südamerikaspezialist. Sie war auf den Routen zwischen Europa und Südamerika, zwischen Asien und Südamerika sowie zwischen Nord- und Südamerika aktiv und in Ländern wie Brasilien oder Argentinien größter Anbieter am Markt. Der Transport von Obst, Gemüse und Fleisch, also Kühlladung, war das Hauptgeschäft des Unternehmens. Hinzu kamen Kaffee sowie Teile für die Automobilindustrie.
Verkauf an Maersk geschah ohne Not
Viele Konkurrenten hatten ein Auge auf das Unternehmen geworfen. Als dann 2016 bekannt wurde, dass der Eigentümer, der Bielefelder Nahrungsmittelkonzern Oetker, die Reederei an den Wettbewerber Maersk verkauft hat, war das Entsetzen bei den Mitarbeitern groß. Sie befürchteten die Zerschlagung des stolzen Unternehmens – und sie sollten recht behalten.
Eigentlich bestand keine Not für einen Verkauf, wie der damalige Geschäftsführer Otmar Gast damals im Abendblatt betonte. Zudem hatten die rund 1000 Frauen und Männer, die für Hamburg Süd arbeiteten, einen Zusammenschluss auf Augenhöhe mit anderen Unternehmen erwartet, nachdem eine geplante Fusion mit der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd am Widerstand Oetkers gescheitert war.
Eigentümer Oetker wollte keine Reedereifusion
Ein solcher Zusammenschluss mit einer anderen deutschen Reederei kam für die in sich zerstrittene Oetker-Familie nicht infrage. Nach fast zehn Jahren Schifffahrtskrise wollte die Mehrheit den kompletten Ausstieg aus der Schifffahrtssparte. Er sei in den vergangenen Monaten von fast allen großen Containerreedereien angesprochen worden, ob man nicht etwas gemeinsam machen könnte, sagte Gast damals. „Da ging es sowohl um Übernahmen als auch um Fusionen. Hamburg Süd war sehr begehrt.“ Aber die Eigentümer hätten das nicht gewollt. Und so fiel Hamburg Süd für 3,7 Milliarden Euro komplett an Maersk.
Zwar versprach der damalige Maersk-Chef Søren Skou eine „light touch integration“, also eine schonende Eingliederung von Hamburg Süd in den Maersk-Konzern. Doch die Belegschaft beruhigte das nicht: „Uns wurde seit Bekanntgabe der Verkaufsabsicht immer nur gesagt, dass lediglich der Komplementär wechselt, für die Belegschaft ändere sich nichts. Aber wer soll das glauben?“, fragte die damalige Betriebsratsvorsitzende Sabine Fischbach. Zumal Skou durch die Integration von Hamburg Süd Synergien zwischen 316 und 360 Millionen Euro erwartete.
Hamburg-Süd-Schiffe wurden sofort nach Kopenhagen abgezogen
Als Erstes entrissen die Dänen der Hamburger Reederei ihr Herzstück: die Schifffahrt. Frachter und Schiffsmanagement wurden von der Elbe zum Maersk-Hauptsitz in Kopenhagen verlagert. Hamburg Süd schied aus dem Verband Deutscher Reeder (VDR) aus. 130 Stellen fielen weg. Und da Maersk keine Fremden auf seinen Schiffen haben wollte, wurden auch Frachtschiffreisen aufgegeben, das dazugehörige Reisebüro wechselte ebenfalls den Besitzer.
Der Ausverkauf ging weiter: Mit der Einführung von SAP wurden dann im Rechnungswesen Stellen gestrichen. 2019 kam es zum nächsten Abbau: 100 der 850 Arbeitsplätze waren betroffen. Umstrukturierungen war die offizielle Begründung. Es handele sich um ein Programm, um in den Verwaltungsfunktionen effizienter zu werden, verkündete ein Unternehmenssprecher damals. „Wozu? Der Konzern macht doch Gewinne“, fragte Ex-Betriebsrätin Sabine Fischbach.
Massiver Arbeitsplatzabbau bei Hamburg Süd
In Wahrheit ging es um etwas anderes: Maersk erwartete eine bestimmte Kapitalrendite, um den Eigentümern eine ordentliche Dividende zahlen zu können und um den Wandel in der Geschäftsstrategie zu finanzieren – weg vom einfachen Containertransporteur auf den Weltmeeren hin zu einem umfassenden Logistikdienstleister. Dazu musste Maersk in weitere Geschäftsfelder investieren und Unternehmen zukaufen, die sich abseits des reinen Schifffahrtsgeschäfts entwickeln.
Dennoch sah es zunächst so aus, als wolle Maersk zumindest die Marke Hamburg Süd unter seinem Namen fortführen. „Wir haben unseren Kunden versprochen, dass die DNA der Hamburg Süd während des Integrationsprozesses unverändert bestehen bleibt und sie weiter den gewohnten, hervorragenden Service aus den Händen lokaler Hamburg-Süd-Teams erhalten. Das Versprechen haben wir gehalten“, sagte Arnt Vespermann, Nachfolger von Otmar Gast, als Chef der Hamburg Süd.
Zerschlagung statt schonender Integration
Und selbst der nun scheidende letzte Chef der Hamburg Süd, Poul Hestbaek, war Ende 2021 beim 150. Jubiläum der Reederei noch davon ausgegangen, dass die Marke erhalten bleibt. „Wir haben die Flotten zusammengeführt, ja. Und wir hatten bei der Übernahme 2017 eine Riesendiskussion, was wohl unsere Kunden sagen, wenn wir mit Maersk-Containern arbeiten. Aber letztlich sind es nur Schiffe und Container. Nicht diese Assets machen unsere Marke aus, sondern die Organisation mit ihrer engen Kundenbindung“, sagte er dem Abendblatt.
Ein Wunschdenken. Denn praktisch zeitgleich griff Kopenhagen nach der letzten Kernkompetenz: Ab Anfang 2022 durfte Hamburg Süd keine Buchungsgeschäfte mit Spediteuren mehr machen – alles sollte über eine zentrale Maersk-Plattform laufen. Und immer wieder kam es zu Stellenstreichungen, insbesondere in der IT. Der Betriebsrat suchte sich einen renommierten Hamburger Arbeitsrechtsanwalt und einigte sich mit dem neuen Eigentümerkonzern auf einen Sozialplan. „Die Abfindungsregelung ist wirklich großzügig“, sagt ein ehemaliger Hamburg-Süd-Mitarbeiter der einen Aufhebungsvertrag seines Arbeitsverhältnisses unterschrieb und ungenannt bleiben möchte.
Reederei Hamburg Süd geht unter. Marke verschwindet
Den tatsächlichen Bruch des Versprechens einer schonenden Integration von Hamburg Süd in den mächtigen Maersk-Konzern nehmen die Beschäftigten Anfang 2023 wahr. „Da wurde Skou von Vincent Clerc als Maersk-Vorstandschef abgelöst. Und der ordnete die Ein-Marken-Strategie an. Das bedeutet, dass alle eigenständigen Marken unter dem Maersk-Dach aufgehoben werden“, erinnert sich der ehemalige IT-Mitarbeiter bei Hamburg Süd. Da sei ihm klar geworden, dass auch die bei Hamburg Süd im Einsatz befindliche Buchungssoftware „Globe“ keine Zukunft mehr haben würde. „Mein Arbeitsplatz wurde überflüssig.“ Die roten Schiffe, die Hamburgs Namen auf dem Rumpf in alle Welt getragen hatten, wurden in Maersk-Blau umgepinselt.
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Einige wenige Kolleginnen und Kollegen hätten in der Maersk-Struktur überlebt. „Viele andere haben einen Aufhebungsvertrag geschlossen“, sagt der Ex-Mitarbeiter. Das gelte auch für ihn. Er hat inzwischen einen neuen Job, wenn der Wechsel ihm auch schwerfiel. „Ich bedauere es immer noch. Hamburg Süd war eine tolle Firma, und ihre Zerschlagung war unnötig.“
Die „Cap San Diego“ wird auch morgen an ihrem Platz sein. 1986 hat sie der Hamburger Senat aus den Händen eines chinesischen Abwrackers gerettet. In der untergehenden Sonne zerrt sie an ihren stählernen Festmachern – als wolle sie noch einmal auf große Fahrt gehen. Aber auch das ist vorbei.