Hamburg. Der Vorsitzende des Industrieverband Hamburg beklagt fehlende Planungssicherheit und Kleinmütigkeit der Politik.

Der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg, Matthias Boxberger, sieht seine Branche in einer schweren Krise. Unwägbarkeiten im Hinblick auf die Strompreise, fehlende Planungssicherheit und eine wirtschaftsfeindliche Haltung in Teilen der Hamburger Regierung und den Behörden würden dazu führen, dass immer mehr Betriebe Investitionen in neue Anlagen ins Ausland verlegten, sagte er im Gespräch mit dem Abendblatt.

„Die Entscheidung von Aurubis, für 300 Millionen US-Dollar ein Recyclingwerk in den USA zu bauen, wurde von einer garantierten Höhe des Strompreises für eine Dauer von zehn Jahren getrieben. Damit hat das Unternehmen dort Planungssicherheit.

Die einzige Sicherheit, die wir dagegen in Hamburg haben, ist, dass wir in den nächsten zehn Jahren keine neue Köhlbrandquerung bekommen werden“, sagte der IVH-Chef, der mehr als 250 Industrieunternehmen in der Hansestadt vertritt. Aurubis sei das prominenteste Beispiel. Er kenne aber weitere.

Verband warnt: Hamburger Industrie wandert ins Ausland ab

Die Stimmung in den Unternehmen werde von einer großen Skepsis bestimmt. „Das ist aus dem Grund besorgniserregend, weil eigentlich nicht Skepsis, sondern unternehmerischer Optimismus die Grundhaltung der Industrie bestimmt“, sagte Boxberger.

Diese positive Grundhaltung habe Deutschland in den vergangenen 20 Jahren durch drei Krisen gerettet: die erste sei der Absturz der New Economy gewesen, die zweite die Pleite der Bank Lehman Brothers und die daraus erwachsene Finanzkrise und drittens Corona. „Bei diesen drei schweren Einbrüchen hat sich die Industrie als der entscheidende Stabilitätsfaktor erwiesen. Aber jetzt, insbesondere mit den hohen Energiepreisen, stößt selbst die Industrie an ihre Grenzen“, warnte Boxberger.

Eine Analyse aus dem Jahr 2019 habe gezeigt, dass bis 2030 etwa die Hälfte der Produktionskapazitäten im Bereich Stahl und Chemie zu erneuern sind. „Wir haben große Zweifel, dass diese Reinvestitionen am Standort Deutschland und am Standort Hamburg stattfinden.“

Standortkosten zu hoch: In fünf Jahren sind einige Betriebe weg

Den Begriff Deindustrialisierung meidet der IVH-Chef. „Das ist für mich nur ein Schlagwort, das dem Umfang und der Tiefe der kritischen Situation nicht gerecht wird und ein mögliches Ergebnis als vermeintlich unabwendbar vorwegnimmt.“

Nachtschicht bei Aurubis. Der Kupferhersteller baut ein Recyclingwerk in den USA und erwägt auch ein Batterierecyclingwerk anstatt in Hamburg im Ausland zu bauen. Die Grundstoffindustrie verbraucht viel Strom, der derzeit in Deutschland zu teuer ist.
Nachtschicht bei Aurubis. Der Kupferhersteller baut ein Recyclingwerk in den USA und erwägt auch ein Batterierecyclingwerk anstatt in Hamburg im Ausland zu bauen. Die Grundstoffindustrie verbraucht viel Strom, der derzeit in Deutschland zu teuer ist. © Marcelo Hernandez

Konkret kritisierte er, dass beispielsweise die Debatte über eine Energiepreisentlastung schon viel zu lange dauere. „Die Perspektive für eine Kostenreduzierung der Energie für die Industrie muss in diesem Jahr erfolgen und nicht in fünf Jahren. Denn in fünf Jahren sind einige Betriebe, die jetzt eine Entlastung benötigen, abgewandert“, warnte er und fügte hinzu: „Wir Industriebetriebe werden diese Krise überwinden. Die Frage ist nur, wo.“

IVH-Vorsitzender Boxberger kritisiert Hamburgs Politik

Der von Bundeswirtschaftminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagene staatlich subventionierte Industriestrompreis sei nur für eine Übergangszeit hilfreich, meint Boxberger. „Das Problem ist doch ein anderes: Der Strompreis wird als Vehikel zur Erledigung einiger staatlicher Aufgaben genutzt. Das ist schlecht. Die Abschaffung der EEG-Umlage war richtig, aber kann nur der Anfang sein. Auch die Besteuerung ist falsch. Das System der Strompreiszusammensetzung ist total überholt und für die Industrie toxisch.“

Auch die Hamburger Politik nimmt der IVH-Vorsitzende aufs Korn: Am Ende würden Standortentscheidungen nicht ausschließlich danach getroffen, wo es besonders billig und wo besonders teuer ist, sondern danach, wo ein Betrieb die höchste Wahrscheinlichkeit habe, eine Fertigungsstraße neu oder umzubauen.

„Da es schon große Unsicherheiten über die Entwicklung der Energiepreise gibt, ist es umso wichtiger für den Unternehmer zu wissen, welche Genehmigungsperspektiven er an einem Standort hat. Wir haben mit dem Hamburger Senat eine klare Vereinbarung für mehr Transparenz und eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren getroffen. Es funktioniert aber immer noch nicht so, wie es nötig ist.“

Verband warnt: Senat in Teilen industriefeindlich

Die vom Senat versprochene größere Transparenz bei Genehmigungsverfahren sei noch lange nicht umgesetzt. „Wenn Sie ein Paket bei einem Versandhändler im Wert von 15 Euro bestellen, können Sie per Internet immer genau verfolgen, wo sich die Bestellung im Auslieferungsprozess befindet, bis hin zur Stunde der Ablieferung.

Wenn Sie in Hamburg eine 15 Millionen Euro teure Investition in eine Industrieanlage vornehmen, können Sie das nicht, sondern müssen sich darauf einstellen, dass Ihr Genehmigungsantrag in irgendeiner Phase in einem schwarzen Loch verschwunden ist“, kritisierte Boxberger.

Nötig sei ein Umdenken der Hamburger Behörden, ein Perspektivwechsel hin zu einer Ermöglichung eines Vorhabens, anstatt es zu problematisieren. Bürgermeister Peter Tschentscher sowie Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (beide SPD) hätten das erkannt. Das gelte aber nicht für die ganze Regierung. „Insgesamt fehlt mir eine klare und wirksame ,Wir-wollen-das’-Haltung. Mir fehlt eine positive Grundstimmung in Teilen des Senats für die Industrie.“

Wasserstoffpläne für Hafen müssen neu belebt werden

Auch die Pläne zum Umbau des Hafens zu einer großen Wasserstoff-Drehscheibe kämen nicht richtig voran, kritisierte Boxberger. „Es gab bei dem Thema Wasserstoff einmal eine Aufbruchstimmung in Hamburg. Die muss mit allen Akteuren in diesem Bereich neu belebt werden. Stattdessen sind wir in eine Kleinmütigkeit reingerutscht. Es dümpelt vor sich hin. Das Thema ist aber zu wichtig, um es zu einer Selbstverwaltungsrunde von Behörden verkommen zu lassen.“

Von Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) fühlt sich die Industrie unterstützt. Verbandschef Boxberger wünscht sich aber, dass sich das mehr im Regierungshandeln niederschlägt.
Von Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) fühlt sich die Industrie unterstützt. Verbandschef Boxberger wünscht sich aber, dass sich das mehr im Regierungshandeln niederschlägt. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Auch die von der Wirtschaftsbehörde entwickelten Pläne, in einem Zentrum für nachhaltige Energien im Hafen E-Fuels umzuschlagen, würden immer wieder ausgebremst, kritisierte Boxberger: „Da gibt es erhebliche Vorbehalte, denn ein Teil der den Senat tragenden Parteien lehnt E-Fuels ab. Offiziell wird als Grund die mangelnde Energieeffizienz von E-Fuels angegeben. Dahinter steckt aber vor allem die Ablehnung der Individualmobilität, sofern sie nicht auf Fahrrädern erfolgt.“

Hamburgs Position als drittgrößter Luftfahrtstandort der Welt in Gefahr

Er halte das für einen großen Fehler für einen so stark mobilitätsprägenden Standort, der zudem der drittgrößte Luftfahrtstandort der Welt ist. „Die Frage ist, ob er das bleibt. Die Unternehmen entwickeln ehrgeizige Ziele, um den Weg in einen klimaneutralen Luftverkehr zu ebnen. Sie investieren viel in Forschung und Entwicklung. In Teilen der Hamburger Politik wird hingegen überlegt, den Flugverkehr einzuschränken oder ganz abzuschaffen.“

Hamburg würde Gefahr laufen, seine herausragende Stellung in der Luftfahrtindustrie zu verlieren, wenn es die Entwicklung von den klassischen fossilen Brennstoffen hin zu neuen Formen wie E-Fuels ablehne. „Die Luftfahrtindustrie boomt, weil die weltweite Nachfrage stark steigt. Wir wollen davon profitieren und müssen dafür den Blick weiten. Wir erreichen die weltweiten Klimaschutzziele nicht, wenn man der Wirtschaft in Deutschland ständig Steine in den Weg legt und die Produktion und Forschung ins Ausland drängt“, mahnte er.

Hamburger Firmen treffen Investitionsentscheidungen im Ausland

Boxberger lobte die klare politische Linie von Wirtschaftssenatorin Leonhard und ihre Offenheit für die Sorgen der Industrie. Er erwarte aber auch, dass sich das in der Politik des Senats niederschlägt. „Wenn die Zahl der Neuansiedelung von Firmen und die Zahl neuer Arbeitsplätze die Zahl der gesperrten Fahrstreifen und der vernichteten Parkplätze in Hamburg übersteigt, dann erkenne ich das Wirken der Senatorin in diesem sehr vielschichtigen Senat an.“

Heftige Kritik übt er am Hafenentwicklungsplan: „Da wird ein großer Bogen geschlagen, ohne dass es verbindliche Ziele gibt, was man bis Ende der Dekade erreichen will.“ Schon der Beteiligungsprozess zur Erarbeitung des Plans habe den Titel nicht verdient gehabt, sagte der Verbandschef, der zugleich Vorstandsvorsitzender der HanseWerk AG ist. „Ich hätte mir einen konzentrierteren Beteiligungsprozess der Wirtschaft gewünscht. Einfach nur aufzuschreiben, wie wichtig der Hafen für die Stadt ist, reicht nicht. Damit macht man keine Punkte im internationalen Vergleich, nicht mal im nationalen. Das ist unter dem Ambitionsniveau, das die Stadt braucht.“

Der Hamburg Hafen bei Nacht. Nur wenige Containerbrücken sind im Einsatz. Den Hafenentwicklungsplan lehnt der Industrieverband Hamburg ab.
Der Hamburg Hafen bei Nacht. Nur wenige Containerbrücken sind im Einsatz. Den Hafenentwicklungsplan lehnt der Industrieverband Hamburg ab. © engel.ac | stock.adobe.com

Schon die differente Haltung des Senats beim Bau des Autobahnabschnitts A26-Ost sei schädlich für die Stadt, sagte Boxberger und zitierte aus der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen: „,Wir unterstützen den Bund beim Bau der Autobahn A26-Ost´, steht da. Das ist eine laue Formulierung. Hamburg ist doch nicht dadurch groß geworden, weil es anderen Unterstützung angeboten hat. Wenn man diese Autobahnverbindung wirklich will, dann treibt man den Bund. Ich kann nicht erkennen, dass es in der Politik des Senats ein beherztes Voranschreiten gibt. Aber genau das ist am Ende standortentscheidend.“