Hamburg. Angesichts hoher Energiepreise drohen Verlagerung und Stilllegungen – eine Entwicklung, die unbedingt gestoppt werden muss.

Die Klage, das weiß man seit Langem, ist der Gruß des Kaufmanns. Und so könnte man die alarmistische Stimmung in der Industrie als die übliche Schwarzmalerei abtun, die vor allem interessengeleitet ist: Man klagt gern, um bessere Bedingungen, niedrigere Steuern oder weniger Regulierungen zu erreichen. Das alles ist gelerntes Theater, das weder die Öffentlichkeit noch die Politik aufschreckt.

Dieses Mal aber ist es anders – bei der gestrigen Jahresveranstaltung „Konjunkturperspektiven 2023“ vom Industrieverband Hamburg und dem Unternehmerverband Nord ging es nicht mehr um Theaterdonner: Es geht in manchen Branchen längst ums Überleben.

Industrie steht vor unterschiedlichen Herausforderungen

Schon vor dem Überfall russischer Truppen war die deutsche Industrie angeschlagen – durch die Pandemie, den Fachkräftemangel, gestörte Lieferketten, ein Übermaß an Bürokratie sowie hohe Steuern und Sozialabgaben. Es wollte nur keiner wahrhaben. Nach den goldenen Zehnerjahren hatte sich im Land der Irrglaube breitgemacht, die deutsche Industrie sei unverwundbar.

Im Gesprächen mit Vertretern energieintensiver Unternehmen klingt das inzwischen ganz anders. Angesichts des Kostenschocks durch die dramatisch gestiegenen Energiepreise versuchen manche, nur über den Winter zu kommen. Viele Firmen zahlen derzeit drauf. Notgedrungen diskutieren die Unternehmen Stilllegungen und Produktionsverlagerungen, die längst die Hansestadt treffen.

Energiepreise müssen zur Rettung der Industrie deutlich sinken

Die finanziellen Hilfen der Bundesregierung können die Not nur lindern, mittelfristig aber das zentrale Problem nicht lösen: Wenn die Energiepreise – gerade Gas und Strom – nicht bald deutlich sinken, lohnen sich viele Produktionsstraßen hierzulande auf Dauer nicht mehr. Sie werden dann nach und nach im Ausland wieder aufgebaut. Gerade die USA locken die Unternehmen mit günstigen Energiepreisen. Stefan Kooths, Konjunkturexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, brachte es am Mittwoch in Hamburg auf den Punkt: Mit der Energiekrise hätten die Standortbedingungen hierzulande abermals – und zwar deutlich – gelitten.

„Die seit Jahren schleichende Verschlechterung hinterlässt ebenfalls immer deut­licher ihre Spuren.“ Kooths fürchtet nicht nur eine Investitionszurückhaltung, sondern die Abwanderung von Wissen und Kapital – eine „Investitionssklerose infolge falscher Weichenstellungen“. Früher warfen Industrievertreter gern das Schreckgespenst einer Deindustrialisierung an die Wand, inzwischen erwarten sie auch Volkswirte.

Fokus muss auf alternativen Energien liegen

Angesichts dieser Bedrohung für das bundesdeutsche Geschäftsmodell, das stärker als das seiner Nachbarn auf indus­trielle Wertschöpfung setzt, verwundert die Ruhe, die manche Politiker und Gewerkschaften noch immer ausstrahlen. Die Zeit läuft gegen Deutschland. Kein Staat der Welt wird auf Dauer die Energie seiner Bürger und Unternehmen subventionieren können.

Daher muss der Fokus darauf ausgerichtet werden, wie sich das Energieangebot ausweiten – und somit der Preis senken lässt. Alternative Energien müssen eine viel größere Rolle spielen, und für eine Übergangszeit muss man sich von alten Dogmen befreien: Besser, als Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen zu beziehen, wäre eine vorübergehende Verlängerung der Laufzeiten. Besser als der ökologisch fragwürdige Flüssiggasimport wäre die Erschließung eigener Schiefergasreserven.

Es geht nicht nur um einzelne Jobs oder Kommastellen bei der Inflationsrate – es geht längst um den Wohlstand im Land.