Gerät die Schifffahrt zur Nebensache? Hapag-Lloyd und Co. pumpen Milliarden in den Kauf neuer Bereiche. Die Hintergründe.
- Große Reedereien wie Hapag-Llloyd und Maersk stecken ihr Geld immer mehr in neue Bereiche
- Wird die Schifffahrt zur Nebensache?
- Was hinter dem ungewöhnlichen Trend steckt
Hamburg. Es sind drei Meldungen, und sie stammen alle aus dem Monat April: Die französische Reederei CMA CGM will für rund fünf Milliarden Euro die Logistiksparte des französischen Mischkonzerns Bolloré übernehmen. Ihre dänische Konkurrentin Maersk holt Hilfsgüter für die Türkei in fünf Frachtflügen aus den USA, und die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat den Erwerb einer 40-prozentigen Beteiligung an einem indischen Terminal- und Logistikunternehmen abgeschlossen. Die drei Meldungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines eint sie jedoch: Die Berichte stammen von drei der fünf größten Reedereien der Welt, aber von deren Schiffen handeln sie nicht.
Wenn die großen Schifffahrtskonzerne in diesen Tagen über Zusammenschlüsse und Akquisitionen berichten, dann geht es meist um alles Mögliche, aber nicht um die Schifffahrt. Es sieht so aus, dass das klassische Transportgeschäft zu See den großen Reedereien als Spielfeld nicht mehr genügt.
Hapag-Lloyd und Co.: Reeder geben Milliarden für überraschende Zukäufe aus
Hapag-Lloyd mit Hauptsitz am Ballindamm hat nicht nur kürzlich für einen zweistelligen Millionenbetrag ein weiteres Gebäude am Ballindamm erworben, um dort eine eigene Hochschule einzurichten. Die Reederei hat auch in den vergangenen Wochen drei große Zukäufe bekannt gegeben: die Übernahme von 49 Prozent der Anteile an der Spinelli-Gruppe, einem der führenden italienischen Terminal- und Transportunternehmen, den Erwerb der in Chile ansässigen Gesellschaften SAAM Ports S.A. und SAAM Logistics S.A. sowie eines dazugehörigen Immobilienportfolios, die in zehn Häfen Südamerikas präsent sind, sowie zuletzt eben die Übernahme jener 40 Prozent an J M Baxi Ports & Logistics Limited in Indien.
Das Unternehmen ist ein großer privater Terminal- und Inlandstransport-Dienstleister in Indien. Es betreibt Containerterminals, einen Mehrzweckterminal, Inland-Containerdepots, Containerfrachtstationen und hat weitere Logistikaktivitäten, wie zum Beispiel schienengebundene Dienstleistungen in ganz Indien. Das Unternehmen beschäftigt rund 5400 Mitarbeitende, Schiffe hat es aber keine.
Und dennoch hat sich Hapag-Lloyd hier eingekauft. „Terminal- und Infrastrukturinvestitionen sind ein wesentlicher Baustein unserer strategischen Agenda“, sagt dazu der Vorstandschef von Hapag-Lloyd Rolf Habben Jansen. Und bei eben dieser Agenda geht es längst nicht mehr nur darum, Seegüter per Schiff von A nach B zu transportieren.
Hapag-Lloyd-Rivale Maersk betreibt Terminals an mittlerweile 65 Standorten
Die Reedereien vergrößern ihren Einfluss auf die Logistikkette und damit auf die gesamte Wertschöpfung. Neben dem Schiffstransport werden nunmehr auch Hafenleistungen, Landverkehre und weitere Logistik- sowie Lagerdienste angeboten. Aus guten Gründen. Einer davon lautet: Pünktlichkeit.
Mit eigenen Beteiligungen an Hafenterminals gewinnen Reedereien auch Zugriff auf die operativen Abläufe und den Umschlag der von ihnen transportierten Seegüter. Hapag-Lloyd hat zuletzt bei der Pünktlichkeit seiner Schiffe eingebüßt, weil das Unternehmen keine eigenen Terminalbeteiligungen in Ostasien besitzt. Bei der Abfertigung in den Häfen werden nämlich die Schiffe derjenigen Reedereien bevorzugt, die Mitgesellschafter eines Umschlagterminals sind.
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Am konsequentesten wandelt sich die Reederei Maersk. Dessen Terminalbetreiber APM Terminals ist an mittlerweile 65 Standorten mit eigenen Beteiligungen vertreten. Maersk hat bereits 2018 seine Strategie der vertikalen Integration vorgestellt. Diese folgt dem Wunsch vieler Großkunden, die Lieferketten aus einer Hand betreuen zu lassen – am liebsten vom Fabriktor bis zur Tür des Endkunden.
Maersk treibt diese Strategie stark voran, kauft Logistikunternehmen und baut weltweit neue Lagerhäuser. Der dänische Konzern drängt auch in den Internethandel und ist sogar dazu bereit, dabei mit seinen bestehenden Kunden wie Amazon und Alibaba zu konkurrieren. Letztlich, so mutmaßen Insider, ist daran auch die Allianz der Reederei mit ihrem Schweizer Partner MSC gescheitert. Der von der Tonnage inzwischen weltgrößte Schifffahrtskonzern der Familie Aponte verfolgt den Ansatz der vertikalen Integration nämlich nicht. MSC setzt weiter auf Schiffe.
Schifffahrt: Maersk hat Hamburger Frachtflugfirma übernommen
Transporte mit Bahn, Binnenschiff und Lkw bietet Maersk an, ja, sogar für Zolldienste hat das Unternehmen eine Abteilung. 2022 hat das Unternehmen 5,6 Millionen Zollerklärungen für Kunden abgewickelt. Und vor allem in der Luftfracht ist Maersk stark gewachsen, verfügt über rund 25 eigene Frachtmaschinen, von denen 13 fest und ausschließlich innereuropäisch für UPS und DHL im Einsatz sind. Weitere Maschinen kommen aus der Flotte der ehemaligen Hamburger Frachtfluggesellschaft Senator, die Maersk 2021 gekauft hat.
Hinzu kommen Boeing-767-Maschinen für die zuletzt neu eröffneten Routen USA–Asien sowie Europa–China. Auch weitere Routen aus dem früheren Senator-Netzwerk wie zwischen Europa und dem USA (täglich Frankfurt-Hahn–South Carolina), Europa–Mexiko und Europa–Südafrika kommen hinzu.
Ein Maersk-Sprecher fasst die Strategie zusammen: „Luftfracht ist ein wichtiger Bestandteil im logistischen Vollangebot, das wir unseren Kunden als integriertes Logistikunternehmen bieten. Wir transportieren die Ladung unserer Kunden von deren Fabrik bis zum Endverbraucher, wenn dies gewünscht ist, und setzen dabei alle verfügbaren Verkehrsträger ein.“
Gerät die Schifffahrt für die Reeder zur Nebensache? „Nein, das nicht. Die Reeder nutzen ihre extrem hohen Gewinne in der Vergangenheit nur dazu, sich in der Logistikkette auszudehnen. Das heißt nicht, dass sie die Transporte von Norderstedt nach Dithmarschen organisieren wollen, aber vom Produktionsstandort in China bis zu ihrem Distributionszentrum in Norderstedt“, sagt Jan Tiedemann vom Branchendienst Alphaliner. „Einige Kunden wünschen es so, dass ihre Transporte aus einer Hand kommen. Den meisten geht es aber nur darum, dass ihre Waren sicher und termingerecht geliefert werden. Durch wen, interessiert sie eigentlich nicht.“
Hapag-Lloyd und Co.: Französische Reederei legt sich sogar eine Zeitung zu
Eine Reederei, die durch große Zukäufe von sich reden macht ist die französische Reederei CMA CGM. Sie hat zwar ihr Angebot an Frachtflügen schon wieder reduziert, hat aber vor Kurzem für rund drei Milliarden Dollar mehrere Containerterminals in New York und New Jersey erworben. Jetzt haben die Franzosen für fünf Milliarden Euro ein Übernahmeangebot für das Unternehmen Bolloré Logistics unterbreitet. Warum auch nicht? Die Reederei hat im vergangenen Jahr rund 25 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Da ist sogar noch genug Geld für den Kauf einer Zeitung in Marseille und der Beteiligung am privaten Fernsehsender M6. Letzteres hat mit Schifffahrt wirklich nichts mehr zu tun.
Auch Hapag-Lloyd plant weitere Zukäufe vermutlich bei Hafenterminals. „Da ist aber noch nichts spruchreif“, sagte ein Sprecher. Die Strategie von Maersk und CMA CGM verfolge man aber nicht. „Wir bleiben in erster Linie ein Schifffahrtsunternehmen. Wir kaufen keine Spedition, keine Zollagentur und schon gar keinen Fernsehsender“, verspricht die Reederei. Mal abwarten.