Hamburg. Vor zwei Jahren waren Transportraum knapp und die Gewinne hoch. Doch die Reedereien könnten sich verkalkuliert haben.
In der Containerschifffahrt wird derzeit fast im Monatstakt ein neuer Größenrekord aufgestellt. Nachdem über längere Zeit die „Ever Alot“ der Reederei Evergreen als größter Megafrachter der Welt galt, der erstmals mehr als 24.000 Standardcontainer (TEU) laden konnte, ist diese Spitzenmarke inzwischen kassiert. Die italienisch-schweizerische Reederei Mediterranean Shipping Company hat mit der „MSC Tessa“ (24.116 TEU) im vergangenen Sommer einen neuen Maßstab gesetzt, der bis Februar hielt.
Dann wurde sie von der „OOCL Spain“ der Reederei Orient Overseas Container Line aus Hongkong entthront. Der OOCL-Frachter kann 24.188 Boxen aufnehmen. Doch auch dieser Rekord ist schon wieder hinfällig: In der vergangenen Woche wurde die „MSC Irina“ von der Yangzijiang Shipbuilding-Werft ebenfalls in China ausgeliefert. Mit einer Kapazität von 24.346 TEU trägt sie derzeit die Krone, die Kapazitätsrekorde purzeln in kurzem Abstand.
Ständig neue Größenrekorde bei Containerschiffen
Zugleich aber wächst die Sorge in der Branche, dass es deshalb zu massiven Überkapazitäten kommen könnte und damit zu einer neuen Schifffahrtskrise. „Die Schiffsgröße scheint weiterhin einen starken Anreiz auszuüben, die Economies-of-Scale (geringere Stückkosten bei wachsender Betriebsgröße, d. Red) weiter auszureizen. Die Flut an Megaschiff-Neubauten droht erneut zu einem Überangebot an Kapazität mit der absehbaren Folge eines drastischen Ratenverfalls zu führen“, sagt der Hamburger Schifffahrtsexperte Ulrich Malchow, der bereits im Jahr 2015 vor den Auswirkungen einer solchen Jagd nach Rekorden gewarnt hatte.
Lange galten 20.000-TEU-Schiffe als die magische Grenze. Dann waren es 22.000, jetzt sind es 24.000. Und Malchow befürchtet, dass der Run weitergehen könnte. Derzeit seien 400 Meter Schiffslänge ein Limit, das jedoch nur durch die Maximalabmessungen für die Passage des Suez-Kanals gesetzt ist, sagt Malchow. Da der Kanal schleusenlos sei und ohnehin gerade ausgebaut worden ist, wäre es ein Leichtes, die Maximallänge weiter heraufzusetzen.
„Damit stünde einem weiteren Schub bei den Schiffsgrößen nichts im Wege“, so Malchow – außer vielleicht die Einsicht, dass er nichts bringt: „Es wurde jetzt nachgewiesen, dass die Economies-of-Scale nicht endlos wirken. Vielmehr nehmen die Kosten pro TEU ab einer bestimmten Größe wieder zu.“ Für Hamburg wäre ein weiteres Wachstum der Schiffsgrößen pures Gift. Malchow: „Umso erstaunlicher ist es, dass überhaupt keine Anstrengungen unternommen werden, dem Wachstum Einhalt zu gebieten.“
Zusätzliche Belastungen im Hamburger Hafen
Kann der Hamburger Hafen überhaupt Schiffe dieser Größenordnung noch abfertigen? Ja – mit Einschränkung. „Die HHLA kann diese Großschiffe an ihren Hamburger Containerterminals Burchardkai (CTB) und Tollerort (CTT) abfertigen“, sagt eine Sprecherin. Ein Beispiel sei die „Ever Alot“, die in der kommenden Woche wieder am CTB erwartet wird. „Für den Umschlag werden große Containerbrücken benötigt, damit alle Containerreihen der Schiffe mit der Brücke erreicht werden können. Diese sind am CTB und am CTT im Einsatz“, heißt es bei dem Terminalbetreiber. Gleichwohl ist die Abfertigung der Riesenpötte eine besondere Herausforderung – nicht nur wegen der Anfahrt, die aufgrund des eingeschränkten Tiefgangs der Elbe nur in ganz engen Zeitfenstern während der Tide möglich ist. „Da pro Schiff mehr Container geladen und gelöscht werden müssen, führen die großen Schiffe zudem immer auch zu Spitzen-Belastungen auf dem Terminal – insbesondere im Hinterland“, so die HHLA-Sprecherin.
Das Unternehmen habe seine Prozesse in den vergangenen Jahren darauf angepasst, um die Verkehrsbelastung zu minimieren. Ein Beispiel dafür sei das sogenannte Slotbuchungssystem, bei dem Lkw und Güterzüge feste Termine für den Empfang auf dem Terminal erhalten. Das Hamburg Vessel Coordination Center (HVCC) steuert im Auftrag der Hafenfirmen den Zu- und Ablauf des Schiffsverkehrs auf der Elbe.
Laderäume der Containerschiffe werden größer
Die Abmessungen der Schiffe mit immer mehr Containern an Bord hätten sich eigentlich kaum mehr verändert, sagt der Schifffahrtsexperte Jan Tiedemann vom internationalen maritimen Branchendienst Alphaliner. „Seit zehn Jahren ist die Länge der Megafrachter mit 400 Metern etwa gleich geblieben. Lediglich in der Breite sind sie etwas auf 62 Meter gewachsen und sie haben eine Containerlage mehr bekommen.“
Die Frachter könnten dennoch mehr Container aufnehmen, weil die Laderäume größer geworden seien. „Containerschiffe fahren heute langsamer als noch vor zehn Jahren“, sagt Tiedemann. „Deshalb können sie im Design bauchiger werden, weniger schnittig. Weil sie langsamer fahren, benötigen sie auch eine kleinere Maschine und verbrennen weniger Treibstoff. Die Tanks müssen also auch nicht mehr so groß sein. Der Platz im Schiff wird also besser genutzt, als noch vor zehn Jahren.“
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Als Problem erkennt Tiedemann eher, dass immer mehr dieser Riesenschiffe auf den Markt kommen, deren Abfertigung in Hamburg aber aufgrund der Einschränkungen der Elbe und der geringen Anzahl von Großschiffsliegeplätzen im Hamburger Hafen zu einer immer größeren Herausforderung wird.
Und das Wachstum der Weltflotte kommt zur Zeit erst richtig in Fahrt: Hatten die Reeder als Mahnung aus der letzten Schifffahrtskrise und infolge geringer finanzieller Ressourcen auf den Bau neuer Schiffe zeitweise weitgehend verzichtet, hat sich die Lage in den vergangenen zwei Jahren komplett gedreht. Infolge der Corona-Pandemie war die Transportnachfrage gewachsen, die Kapazitäten blieben aber dahinter zurück. Die Folge ist, dass die globalen Schifffahrtsunternehmen bei den Werften in Asien zahlreiche Neubauten bestellten, angeheizt durch hohe Gewinne in der Phase der Pandemie. Die bestellten Schiffe kommen jetzt nach und nach in die Auslieferung.
Schifffahrtsmarkt drohen Überkapazitäten
Eine aktuelle Auflistung der Reederei Hapag-Lloyd zeigt, dass das globale Orderbuch der Weltschifffahrt etwa 28 Prozent der Weltflotte umfasst. Die Zahl der Schiffe wächst in diesem Jahr um zwei, im kommenden Jahr schon um vier Prozent. Allein Hapag-Lloyd hat derzeit 14 neue Schiffe in den Orderbüchern, zwölf davon sind Großfrachter. Das sind fast sechs Prozent der derzeit fahrenden Flotte von 251 Schiffen.
Sie laufen in einen Markt, der sich nach dem Ende der Corona-Krise fundamental gewandelt hat: Die Nachfrage nach Transporten geht aufgrund der unsicheren Lage der Weltmärkte und der hohen Energiepreise zurück. Hapag-Lloyd-Vorstandschef Rolf Habben Jansen sagte vor einigen Wochen: „Es wird zu Überkapazitäten am Schifffahrtsmarkt kommen.“
Einige Experten warnen zudem, dass die Megaschiffe ein gehöriges Sicherheitsrisiko in Bezug auf Feuer und Ladungsverlust darstellen. „Ein Brand in den oberen Containerlagen an Deck ist allein mit Bordmitteln praktisch nicht mehr löschbar. Und das herkömmliche Laschsystem für die Deckscontainer ist den aus der Schiffsgröße resultierenden hohen Roll-Beschleunigungen nicht mehr gewachsen. Infolgedessen gehen immer öfter Container über Bord“, sagt Malchow. Zum Teil auch Container mit gefährlichem Inhalt. Mit der Schiffsgröße wachsen auch die Probleme und Gefahren.