Hamburg. Ist der neue Lufthansa-Aufsichtsrat Hamburgs Top-Manager oder nur ein gut bezahlter Assistent von Milliardär Kühne? Ein Porträt.
Auf die Frage, wie man es ganz nach oben schafft, hat Karl Gernandt zwei Antworten. Die eine: Mit dem Fahrstuhl aus der Empfangshalle der Firmenzentrale von Kühne + Nagel in den elften Stock. Einmal rechts, einmal links. Und schon steht man im wahrscheinlich schönsten Konferenzraum Hamburgs mit 180-Grad-Blick über den Hafen, die Elbphilharmonie und die Innenstadt.
Die andere Antwort: „Man muss Freude bei der Arbeit spüren, klare Ziele formulieren, und man darf das Risiko, zu entscheiden, nicht scheuen. Aber man muss auch ein bisschen Glück haben“, sagt der 62-Jährige, der am 9. Mai das Glück hat, in den Aufsichtsrat der Lufthansa einzuziehen.
Gernandts schicksalhafte Begegnung mit Kühne bei Hagenbeck
Karl Gernandts eigentliches Glück war aber Hagenbecks Tierpark. Oder besser: ein stilvolles Essen zu Ehren der Beiräte der Deutschen Bank im Zoo. 2006 muss das gewesen sein, meint sich Gernandt zu erinnern. Er war damals der jüngste, Milliardär Klaus-Michael Kühne der älteste Beirat. Und wie es der Zufall wollte, wurden beide mit ihren Frauen zusammen an einen Tisch gesetzt. Es war das erste Treffen zweier Männer, die in den Jahren danach ein Milliardenimperium schufen.
Wenn man sich in luftiger Höhe über Gernandts Leben unterhält, dann redet man zwangsläufig auch über Kühnes Leben. 2008 wurde Gernandt dessen Nachfolger bei Kühne + Nagel, später wurde er der Präsident des Verwaltungsrates der Kühne Holding AG, in der alle Investments von Klaus-Michael Kühne gebündelt werden. Laut „Bloomberg“ ist Kühne mittlerweile 29 Milliarden Euro schwer, laut „Forbes“ sind es „nur“ 26,5 Milliarden. Unstrittig ist aber, dass Kühne einen Teil seines enormen Reichtums auch Gernandt zu verdanken hat.
Kühne lobt Gernandt als „ausgewiesenen“ Fachmann
Kühne selbst formuliert es gegenüber dem Abendblatt reservierter: „Die unternehmerische Denkweise von Herrn Gernandt passt zu den Zielsetzungen meines Interessenbereichs“, sagt der Wahlschweizer nüchtern – und lobt dann doch: „Herr Gernandt ist ein ausgewiesener Wirtschafts- und Finanzfachmann mit einem sehr breiten Wissen, mit kreativer und dynamischer Arbeitsweise und großem Verhandlungsgeschick.“
Gernandt, ein Fußballfan von Kindesbeinen an, nimmt den Ball beim Gesprächstermin mit dem Abendblatt in der HafenCity gekonnt auf. „Herr Kühne ist für mich eine der strahlendsten Unternehmerpersönlichkeiten in Europa“, lobt er den eigenen Chef, für den er nicht nur bald die Interessen im Kontrollgremium der Lufthansa vertritt.
Ist Gernandt Allroundwaffe oder Assistent?
Gernandt ist auch Kühnes Mann in den Aufsichtsräten von Hapag-Lloyd und Signa Prime, er ist der Chef der Kühne Holding und der Geschäftsführer von Kühnes Hotel The Fontenay an der Außenalster. Er ist Kühnes Allroundwaffe, sagen die, die großen Respekt haben und wissen, dass es gar nicht so einfach ist, Kühnes Mann Nummer eins zu sein. Die, die weniger Respekt haben, sagen, dass Gernandt nur ein gut bezahlter Assistent sei. Zumindest aber ein sehr gut bezahlter.
„Lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht“, lautet ein Sprichwort, das man in Hamburgs Wirtschaft gerne benutzt. „Und Gernandt ist kein großer Knecht, sondern ein Riesenknecht“, sagt einer, der lieber nicht namentlich genannt wird.
Gernandt: „Ich bin nicht abhängig von Kühne“
Der Riesenknecht schaut aus dem Fenster auf den Hamburger Hafen und zuckt mit den Schultern. „Ich bin nicht abhängig von Herrn Kühne, auch wenn ich intensiv für ihn arbeite – im Gegenteil, er sucht unabhängige Denker in seinem Umfeld“, sagt er. „Herr Kühne hat mir eine große Verantwortung, aber auch Freiheit im Denken gegeben, was ich sehr schätze. Er denkt sehr umfassend – genau wie ich auch. Wir beide teilen zudem die Begeisterung für Unternehmertum.“
Die Begeisterung für Schule hielt sich bei Karl, dem Kleinen, zunächst in Grenzen. Geboren in Bonn, sechs Jahre lang in Rio de Janeiro am Strand von Ipanema gelebt („Leider ist mein Portugiesisch ein bisschen eingerostet“) und schließlich in der neunten Klasse in Kaarst (NRW) sitzen geblieben. Das Negativerlebnis habe seine positiven Geister geweckt, berichtet Karl, der Große, knapp 50 Jahre später. Der Rest, oder fast der Rest, ist eine Erfolgsgeschichte.
Ex-HSV-Aufsichtsrat Goedhard war Gernandts Kommilitone
Abi mit 1,9, Studium in St. Gallen. BWL und Jura. „Schon während des Studiums war klar, dass Karl Gernandt später mal Karriere machen würde“, sagt einer, der es wissen muss. Felix Goedhart, heute Gründer und CEO der Blue Elephant Energy AG in Hamburg, damals Kommilitone von Gernandt.
„Ich habe die Zeit im Studium geliebt. Wir haben aber durchaus auch Partys gefeiert. Felix Goedhart war sicherlich im Backgammon engagierter als ich“, sagt Gernandt und muss beim Zurückdenken an seine Unizeit lachen. Fast habe er sogar mal mit Goedhart zusammen in einer Fünfer-WG gewohnt, aber dann, so sagt er, hätte er sein Studium wohl nie geschafft.
Der HSV war Gernandts einziger Misserfolg
Am Ende hat er es natürlich geschafft – und startete anschließend auch beruflich durch. „Er ist ein Macher. Man kann ihn mit gutem Gewissen Hamburgs Super-Manager nennen. Ich habe wirklich allerhöchsten Respekt vor seiner Karriereleistung“, sagt Goedhart, der Gernandt ausgerechnet bei dessen einzigem Misserfolgskapitel erneut über den Weg lief – dem HSV.
2014 hatte sich Gernandt zunächst mit großen Versprechungen für eine Ausgliederung der Profiabteilung ausgesprochen, dann sogar den Vorsitz des HSV-Aufsichtsrats übernommen und scheiterte wenig später krachend. „Was wir aus der Wirtschaft lernen mussten, ist, dass Wirtschaft und Sport zwei verschiedene Paar Schuhe sind“, sagt Goedhart ehrlich, aber höflich.
Ex-HSV-Chef Jarchow kritisiert Gernandts Missmanagement
Weniger höflich formuliert es Carl Jarchow, der seinerzeit zunächst Vorstandschef und später kurze Zeit auch HSV-Präsident war. „Mein Hauptkritikpunkt war immer, dass man die drei Hauptforderungen von HSVPlus direkt nach dem Amtsantritt vom neuen HSV-Aufsichtsrat unter Karl Gernandt in den Papierkorb werfen konnte“, sagt Jarchow, der im Eclair au Café ein Caffè Crema bestellt „Man hat genau das Gegenteil von den Versprechungen gemacht. Der HSV hat sich höher verschuldet, eher auf ältere Spieler gesetzt und keine strategischen Partner gefunden. Die Folge von diesem Missmanagement war: Relegation – und später der Abstieg.“
Gernandt kennt die Vorwürfe. Und sie schmerzen ihn noch heute. „Der HSV war leider nicht das größte Erfolgskapitel in meiner Aufsichtsratskarriere.“ Natürlich könne man es nicht immer allen recht machen. Aber beim Thema HSV gibt sich Gernandt selbstkritisch. „Ich musste leider erkennen, dass man mit reiner Rationalität im Sport nicht so weit kommt wie in der Unternehmensführung. Da war ich zu blauäugig.“
Als Kind war Gernandt Günter-Netzer-Fan
Doch obwohl Gernandt als Kind Fan von Borussia Mönchengladbach, Günter Netzer und dessen Ferrari Dino in Schwarz war, ist das Kapitel HSV für den Othmarschener noch immer nicht vorbei. „Ich sage ehrlich, dass es an mir nagt, dass mein Engagement beim HSV nicht zu dem Ergebnis geführt hat, das wir uns alle gewünscht hatten.“
Beim Derby war er das erste Mal seit langer Zeit wieder im Volksparkstadion – und vom 4:3-Sieg seines HSV begeistert. „Der HSV fesselt mich noch immer“, sagt Gernandt, der in der Hauptversammlung auch weiterhin Kühnes Interessenvertreter beim HSV ist. Und als dieser hat er sich gerade erst vehement dafür ins Zeug gelegt, damit der Hamburger Banker Hans-Walter Peters von der Berenberg Bank trotz eines veritablen Machtkampfes mit Präsident Marcell Jansen im Aufsichtsrat des HSV bleiben darf.
Auch Hans-Walter Peters lobt: „Ein Full-Time-Worker“
Auch Peters kennt Kühne gut – und er kennt Gernandt. Manch einer behauptet sogar, dass Gernandt und Peters um die Rolle des wichtigsten Beraters des Milliardärs in Hamburg kämpfen. Doch auch Peters hat für Gernandt nur lobende Worte übrig: „Karl Gernandt ist für mich ein außergewöhnlicher Manager“, sagt der ehemalige Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken. „Sein Lebenslauf ist sehr beeindruckend. Er ist ein Full-Time-Worker.“
Zwei Tage in der Woche arbeitet Gernandt aus der Kühne+Nagel-Firmenzentrale in der HafenCity heraus, drei Tage ist er beim Big Boss in Schindellegi in der Schweiz. Manchmal auch umgekehrt. „Wir kommunizieren ständig, mindestens an mehreren Tagen in der Woche, soweit sich dazu Gelegenheit ergibt persönlich, ansonsten telefonisch oder per E-Mail“, sagt Kühne. „Die Intensität des Austausches ist Grundlage des Vertrauens.“
Kühne und Gernandt siezen sich auch nach 15 Jahren noch
Ein Vertrauensverhältnis ist da, eine Freundschaft nicht. Obwohl Gernandt und Kühne seit mehr als 15 Jahren so intensiv zusammenarbeiten, siezen sich die beiden noch immer. „Ich bin ja nicht Herrn Kühnes Freund, ich bin sein Vertrauter und angestellter Chef seiner Holding“, sagt Gernandt.
Und als der darf er ab dem 9. Mai das nächste Abenteuer wagen: Lufthansa. Nachdem im vergangenen Herbst der Milliardär seine Anteile an der Fluggesellschaft auf 17,5 Prozent aufgestockt hat, ist die Kühne Holding nun der mit Abstand größte Aktionär der Lufthansa – und damit das logische neue Aufgabenfeld Gernandts.
Gernandt glaubt an eine Wertsteigerung der Lufthansa-Aktie
Fünf Jahre ist es her, dass der Aktienwert der Airline bei 18 Euro lag, nun liegt er wieder bei rund 10 Euro. Noch besser: Als auf Gernandts Hinweis Kühne erstmals bei der Fluggesellschaft zugeschlagen hat, lag der Aktienkurs noch bei sieben Euro. „Wir haben den Eindruck, dass Lufthansa gut geführt und deutlich unter Wert an der Börse bewertet ist“, sagt Gernandt, dem die Fokussierung auf den Aktienwert aber zu kurz gesprungen ist: „Wir sind generell Käufer, keine Verkäufer. Unser Engagement ist auf Langfristigkeit ausgelegt.“
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Nicht über den Wolken, aber nahe den Wolken im elften Stock bei Kühne + Nagel lässt es sich leicht über die Zukunft der Fluggesellschaft plaudern. „Lufthansa soll die verlässlichste und solideste Airline in Europa sein“, sagt Gernandt, was zwangsläufig wie seine damaligen HSV-Pläne klingt: Aufstellen für Europa. Der einzige Unterschied: Bei der Lufthansa soll es auch klappen. „Wir sehen sie auf einem Platz in der globalen Spitzenliga.“
Kühne + Nagel ist größter Lufthansa-Kunde und Partner zugleich
Damit das auch wirklich gelingt, hilft Kühne + Nagel als größter Logistikkunde kräftig mit. „Wenn der größte Kunde ein Partner ist, dann ist das Gesamtkonstrukt auch viel stabiler“, sagt Gernandt. „Ich glaube an strategische Allianzen.“
Dass diese 2014 auch den HSV-Mitgliedern versprochen wurden: geschenkt. „Im Nachhinein hätte ich manches anders gemacht“, sagt Gernandt, was aber wirklich nur auf den HSV bezogen ist. Im restlichen Geschäftsleben hätte er wohl kaum etwas besser machen können.
Für 600 Millionen Euro: Einstieg bei Brenntag
Fast nebenbei erzählt er beim Tee, dass am gleichen Tag noch verkündet werden dürfte, dass die Kühne Holding auch mit etwas mehr als fünf Prozent bei Brenntag, dem Weltmarktführer in der Distribution von Chemikalien und Inhaltsstoffen, eingestiegen sei. Fünf Prozent? Klingt niedlich. Gernandt lächelt und nennt den Kaufpreis: etwa 600 Millionen Euro.
„Das ist etwas, was ich sicherlich ganz ordentlich kann: Ich bin immer auf der Suche nach Investments, die zu den Ideen von Herrn Kühne als Investor passen“, sagt Gernandt. „Ich möchte für Herrn Kühne eine eigene Handschrift kreieren mit einem Portfolio, das es strategisch so noch nicht gibt – und das vor allem von Unternehmertum geprägt ist.“ Und wenn man für diese Handschrift an einem Tag mal 600 Millionen Euro lockermachen muss, dann ist das eben so.
Gernandt ist auch bei der CDU Mitglied
Gernandt ist selbstbewusst, aber auch höflich. Er selbst bezeichnet sich als konservativ. Er ist Mitglied in der CDU, hat drei Töchter, ein Feriendomizil auf Sylt und natürlich auch einen Ferrari Dino. Nur nicht in Schwarz, das passt eher zum extravaganten Netzer. Sein Ferrari ist rot. Klassisch. Konservativ.
Zum Schluss des Gesprächs hat er dann aber doch noch einen Wunsch: Bloß nicht über den Artikel „Der Super-Manager“ schreiben.
Abgemacht.