Hamburg. Clevere Idee: Die neuartige Beschichtung für den Rumpf soll auch das Mikroplastik-Problem bisheriger Anstriche in der Schifffahrt lösen
Die beiden Gründerinnen des Hamburger Start-ups Clean Ocean Coatings haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen mit einer völlig neuartigen Rumpflackierung die kommerzielle Schifffahrtsindustrierevolutionieren. Der Lack, den Christina Linke und Patricia Griem gegen Ende des Jahres auf den Markt bringen wollen, soll nicht nur das mit den herkömmlichen Beschichtungen verbundene Gift- und Mikroplastik-Problem lösen, sondern auch noch den Treibstoffverbrauch der Schiffe um mindestens sechs Prozent senken.
„Wir erproben den Lack bisher auf Testflächen an vier Frachtschiffen, darunter drei der Reederei Rörd Braren aus der Nähe von Glückstadt“, sagt Linke. „Im nächsten Schritt wollen wir in der zweiten Jahreshälfte ein komplettes Schiff damit ausstatten.“ Clean Ocean Coatings stehe dafür aktuell in Verhandlungen mit sechs potenziellen Partnern. Noch vor dem Jahresende soll zudem ein erster zahlender Kunde gefunden werden.
Schifffahrt: Neuartiger Lack aus Hamburg gibt kein Gift und Mikroplastik ab
Schon vor acht Jahren begann die Materialwissenschaftlerin Patricia Griem in einer Ausgründung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, den Lack zu entwickeln. „Als ich Anfang 2020 auf einer Konferenz davon hörte, dass diese Idee aber wahrscheinlich in der Schublade verschwindet, war ich angefixt“, sagt Linke. Sie selbst ist zwar Ingenieurin für Lebensmitteltechnologie, wäre eigentlich aber lieber Meeresbiologin geworden.
„Ich hatte als Erste in meiner Familie studiert und gedacht: Gegessen wird immer“, erklärt sie. Doch als sie nach der Promotion als Assistentin der Geschäftsführung für eine gemeinnützige Organisation im Bereich Kreislaufwirtschaft in Berlin arbeitete, wurde ihr klar: „Ich möchte lieber selbst Entscheidungen treffen.“ So gründete Linke zusammen mit Griem im Jahr 2020 die Firma Clean Ocean Coatings, um dem neuartigen Lack zum Erfolg zu verhelfen. Hamburg als Firmensitz bot sich schon wegen der Nähe zu den potenziellen Kunden, also Reedern und Schiffseignern, an.
Jedes Jahr werden 100.000 Tonnen umweltschädlicher Schiffslacke aufgetragen
Fast alle der mehr als 90.000 Fähren, Kreuzfahrt- und Frachtschiffe, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, nutzen unterhalb der Wasserlinie bisher Beschichtungen auf Kunststoffbasis, die sogenannte Biozide enthalten, um den Ansatz von Muscheln und Algen am Rumpf zu unterdrücken. Zudem sind diese herkömmlichen Lacke so gestaltet, dass sie sich mit der Zeit Schicht für Schicht zusammen mit dem Bewuchs ablösen und so als giftiges Mikroplastik ins Meerwasser gelangen.
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„Jedes Jahr werden mehr als 100.000 Tonnen dieser selbstpolierenden Schiffsbeschichtungen aufgetragen, die dann zu 50 Prozent im Meer enden – und damit letztlich in der Nahrungskette des Menschen“, erklärt Linke. Weil die Schiffsrümpfe durch die ungleichmäßige Ablösung der Lackschichten immer rauer werden, steigt zudem der Treibstoffverbrauch.
Die neue Beschichtung soll 600.000 Euro pro Schiff und Jahr einsparen
„Unser Lack dagegen ist extrem glatt und hat eine geschlossene Oberfläche, daher können sich zum Beispiel Seepocken und Muscheln nur schwer daran festsetzen“, so Linke. „Außerdem benötigen wir nur die Hälfte der bisher üblichen Lackschichten – und unsere Beschichtung hält bis zu dreimal so lange.“ Nach Berechnungen von Clean Ocean Coatings beträgt das Sparpotenzial im Schnitt 600.000 Euro pro Schiff und Jahr.
Seit der Gründung hat das Start-up an mehreren sogenannten Accelerator-Programmen zur Unterstützung junger Firmen teilgenommen. So haben sich Linke und Griem im Jahr 2021 neben zehn anderen Start-ups im Rennen um das Gründerstipendium „Venture For ClimateTech“ gegen fast 600 Bewerber aus 64 Ländern durchgesetzt. Außerdem gehörten sie im gleichen Jahr zu den fünf Finalistinnen des Darboven Idee-Förderpreises, um den sich 144 Gründerinnen und Teams beworben hatten.
Das Start-up will später eine eigene Produktion in Hamburg aufbauen
Sobald aber der kommerzielle Einsatz des neuartigen Lacks anläuft, wird eine „substanzielle Finanzierung“ im Millionenbereich benötigt. Christina Linke ist zuversichtlich, Geldgeber dafür zu finden, obwohl sie die Erfahrung gemacht hat, dass in den vergangenen Jahren digitale Geschäftsmodelle eher gefragt waren: „Wenn es um Hardware geht, tut man sich schwer, an Förderungen zu gelangen. Die Klimaproblematik lösen wir allerdings nicht mit Softwareprogrammen.“ Tatsächlich befindet sich das Labor von Clean Ocean Coatings noch in Berlin, denn: „In Hamburg gibt es dafür nur wenige geeignete Räumlichkeiten.“
Während das Start-up die neue Schiffsrumpf-Beschichtung zunächst bei einem bekannten Hamburger Lackhersteller produzieren lassen will, ist schon daran gedacht, später – sobald „signifikante Mengen“ davon verkauft werden können – eine eigene Produktion im Süden der Hansestadt aufzubauen.
Schifffahrt: Neuer ungiftiger Lack aus Hamburg ist auch für Yachten geeignet
Aktuell peilen die Gründerinnen an, bis zum Jahr 2030 mehr als 500 Schiffe mit dem neuen Lack zu beschichten. Schon damit ließen sich unter anderem zwei Millionen Tonnen Mikroplastik und 17.400 Tonnen CO2-Äquivalente vermeiden, heißt es.
Zwar ist auch der von Clean Ocean Coatings angebotene Lack noch auf fossile Rohstoffe angewiesen. Geplant ist aber, in den kommenden Jahren eine biobasierte Beschichtung zu entwickeln. „Wir sind schon dabei, Fördergeld dafür einzuwerben“, sagt Linke. Bis Ende des Jahres soll sich der Umfang des Teams, das bisher aus vier Vollzeit-Angestellten, einer Halbzeitkraft und drei Studierenden besteht, verdoppeln.
Auch wenn bei der Vermarktung zunächst Großschiffe im Fokus stehen, ist der neue Lack im Prinzip auch für Yachten und Segelboote geeignet. Allerdings muss ein damit beschichteter Rumpf häufiger gereinigt werden, wenn das Boot längere Zeit nicht gefahren wird. „Diese Reinigung ist aber in vielen Sportboothäfen verboten“, erklärt Linke. „Wir müssen dahin kommen, dass sich das ändert.“ Und es gibt auch schon die Überlegung, den Schiffs- und Bootsbesitzern die Arbeit zu erleichtern: „Wir kooperieren mit anderen Start-ups, die Reinigungsroboter entwickeln.“