Hamburg. Die Inflation verändert das Leben in Hamburg. Die Mittelschicht entdeckt No-Name-Produkte. Was die gestiegenen Preise noch bewirken.
Die Inflation ist allgegenwärtig. Ob Erdgas zum Heizen, Butter im Supermarkt, der Besuch beim Friseur, das Steak im Restaurant um die Ecke; alles ist in den vergangenen eineinhalb Jahren teurer geworden – und zwar deutlich.
Zuvor war die Inflation in Deutschland fast in Vergessenheit geraten. Zwischen 2012 und 2020 legten die Verbraucherpreise aufs Jahr gerechnet nie um mehr als zwei Prozent zu. Geldwertstabilität war nicht nur Realität, sondern eine Selbstverständlichkeit. Damit ist es seit Mitte 2021 vorbei.
Hohe Inflation dürfte Deutschland weiterhin nachhaltig verändern
Infolge der weltweiten Lockdowns während der Corona-Pandemie rissen die zuvor global bestens funktionierenden Lieferketten, das Warenangebot schrumpfte, die Preise zogen entsprechend an.
Als Russland die Ukraine überfiel, kam es zusätzlich zu Verwerfungen auf den Energiemärkten, Preise für Erdgas, Öl und Strom schossen in die Höhe. Die Inflationsrate legte bereits im Juli 2021 auf 3,8 Prozent zu, kletterte bis März 2022 auf 7,3 Prozent, um gut ein halbes Jahr später ihren vorläufigen Rekordwert von 10,4 Prozent zu erreichen.
Seit Oktober nimmt der Preisdruck ab, die Inflation betrug im Dezember „nur“ noch 8,6 Prozent. Die Mehrheit der Ökonomen geht davon aus, dass die Preissteigerungen in den kommenden Monaten etwas geringer ausfallen werden. Und dennoch dürfte die weiterhin hohe Inflation Deutschland nachhaltig verändern.
Essengehen in Hamburg wird zum Luxus: „Gäste werden weniger“
Jens Stacklies ist schon seit Jahrzehnten in der Gastronomie tätig, er betreibt in Hamburg und im Umland mehrere Restaurants. Und er macht seit Monaten einen klaren Trend aus: „Die Gäste werden weniger.“ Auch gebe es Veränderungen beim Blick auf die Rechnungen. „Wer nur mal so in der Woche essen geht, schaut wesentlich genauer aufs Geld. Oft wird anders als früher nur eine Kleinigkeit bestellt“, sagt Stacklies.
Zudem konzentriere sich das Geschäft auf „besondere Anlässe“. Im Klartext: Zur Silberhochzeit, am Geburtstag oder auf der Einschulungsfeier lassen die Gäste es krachen, ansonsten drehen sie den Euro mehrfach um, bevor sie ihn ausgeben. Stacklies spricht nach Corona von einer „insgesamt guten Buchungslage“, sieht aber eine Gefahr: „Wegen der deutlich gestiegenen Kosten mussten und müssen wir die Preise entsprechend anheben, sodass ein Restaurantbesuch bald nur noch etwas für Wohlhabendere sein könnte.“
„Mieten steigen, Grundnahrungsmittel werden teurer"
Ähnlich äußert sich Michael Berlemann. Der wissenschaftliche Direktor des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI weiß, dass die weniger Betuchten besonders unter der allgemeinen Inflation leiden. „Mieten steigen, Grundnahrungsmittel werden teurer, Heizen kostet deutlich mehr. Gerade die ärmeren Schichten können das nicht auffangen und müssen woanders sparen. Sie verzichten dann unter anderem auf den Restaurantbesuch.“
Das Problem: Die Löhne steigen nicht in dem Maße, wie die Inflation anzieht. Volkswirte sprechen vom sogenannten Reallohnverlust. So hatten die abhängig Beschäftigten nach den neuesten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im dritten Quartal 2022 real (nach Abzug der Inflationsrate) 5,7 Prozent weniger Geld zur Verfügung als ein Jahr zuvor. Und Berlemann weiß: „Wenn die Restaurants einmal ihre Preise erhöht haben, werden diese auch nicht wieder gesenkt.“
Was die Teuerung auf dem Teller konkret bedeutet, lässt sich an einem in Hamburg besonders bekannten Gericht ablesen: dem Bestseller in den Block-House-Restaurants namens „Mrs. Rumpsteak“. Kostete das 180 Gramm schwere Stück Fleisch mit Beilagen Ende 2021 noch 19,50 Euro, müssen die Gäste nun 21 Euro bezahlen – ein Plus von 7,7 Prozent in rund einem Jahr.
Urlaub ab Hamburg – was wird aus der Fernreise?
Während der Pandemie mussten die Deutschen ihr Urlaubsverhalten wegen der vielen internationalen Lockdowns und Einreisebeschränkungen ändern. Ostsee statt Algarve, Allgäu statt Malaga waren angesagt. Nun sehnen sich viele wieder nach Sonne, Strand und südeuropäischem Flair, doch beim Buchen gibt es böse Überraschungen. Denn Reisen ist deutlich teurer geworden.
Die Zeiten, in denen man für 4,99 Euro mit dem Billigflieger von Hamburg in andere europäische Metropolen fliegen konnte, sind vorbei. Selbst für den umtriebigen Ryanair-Chef Michael O’Leary, dem es über viele Jahre mit Dumping-Angeboten gelang, der Konkurrenz Passagiere abzujagen, sind Billigstflüge Vergangenheit. Über die BBC kündigte er unlängst an, dass der durchschnittliche Ticketpreis um 25 Prozent auf rund 50 Euro steigen werde.
Nach Auswertungen des Onlineportals HolidayCheck sind Frühbucher-Reisen für den kommenden Sommer zum Teil dramatisch teurer als vor der Corona-Pandemie 2019. So muss eine vierköpfige Familie (Flug, Hotel, Transfer) aktuell für eine einwöchige Reise nach Kreta 71 Prozent mehr bezahlen. An der türkischen Riviera werden 45 und für den Mallorca-Urlaub 35 Prozent mehr fällig.
Urlaub: „Die Energiepreise schlagen hier voll durch“
„Die Energiepreise schlagen hier voll durch“, sagt HWWI-Direktor Berlemann. Und wegen der Energieknappheit sowie des notwendigen Kampfes gegen den Klimawandel geht der Ökonom nicht davon aus, dass sich dieser Trend zu teureren Fernreisen mit dem Flugzeug schnell wieder stoppen lassen wird.
Für Ulrich Reinhardt ist Urlaub ohnehin ein „Luxusgut“. Mit Blick auf die deutlich gestiegenen Preise sieht der Wissenschaftliche Leiter der „Stiftung für Zukunftsfragen“ in Hamburg eine klare Tendenz: „Urlaubsziele in Deutschland und am Mittelmeer werden wohl weiter stark nachgefragt. Denn die Deutschen wollen sich einfach weiter ihren Urlaub gönnen. Teure Langstreckenziele dürften dagegen weniger gebucht werden und zu den Verlierern der hohen Inflation gehören.“ Und wie wird auf den Reisen in Deutschland und am Mittelmeer gespart: „Da geht man dann einfach einmal weniger schick essen oder verzichtet auf das Eis am Nachmittag,“
Mittelschicht greift zu No-Name-Produkten
Auch auf das Markeneis aus der Gefriertruhe im Supermarkt verzichten mittlerweile immer mehr Bundesbürger. Der Trend beim Einkaufen geht mit Blick auf die gestiegenen Preise zu Handelsmarken, die oft deutlich günstiger sind als ihre Markenpendants. So kommen Eigenkreationen der Supermärkte und Discounter, die unter Namen wie „Ja!“ oder „Gut&Günstig“ angeboten werden, nach einer Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bereits auf einen Marktanteil von rund 43 Prozent – ein Plus von zwei Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.
„Handelsmarken sind in der Mittelschicht angekommen. Und dieser Trend wird durch die hohe Inflation befeuert“, sagt HWWI-Direktor Berlemann. Mittlerweile ist es selbst der gut verdienenden Bankangestellten nicht mehr egal, ob sie für 500 Gramm Markenmargarine 2,19 Euro oder für ein qualitativ gleichwertiges No-Name-Streichfett einen Euro weniger bezahlt.
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Aldi, Lidl und Co. setzen auf Eigenmarken
Supermärkte und Discounter nutzen aktuell die hohe Nachfrage nach ihren Markenalternativen, weiten das Sortiment aus und lassen die Muskeln gegenüber Herstellern wie Beiersdorf, Danone oder Coca-Cola spielen. Kaum ein Monat vergeht ohne Berichte über Auslistungen von Produkten, weil den mächtigen Handelsketten die Preisvorstellungen der Markenhersteller zu hoch sind. Aldi, Lidl und Co. wollen keine Ware, die wegen ihres hohen Preises unverkäuflich im Regal liegt, setzen lieber auf Eigenmarken. Schließlich treiben sie so Umsatz und Gewinn nach oben. Die Macht der Discounter und großen Supermarktketten wird immer größer.
Seit Monaten ist nun ein neuer Trend zu beobachten, der den Konsumenten nicht gefallen dürfte. Nach einer Studie der GfK ziehen die Preise bei den Discountern überdurchschnittlich an. Die Analyse des GfK-Experten Robert Kecskes ist eindeutig: „Die gegenüber dem Durchschnitt deutlich höheren Preise beim Discounter resultieren vor allem aus Preiserhöhungen bei Handelsmarken.“
Für ihn ist diese Entwicklung nicht überraschend: „Denn bei den im Schnitt preisgünstigeren Handelsmarken schlagen höhere Kosten aus Herstellung und Transport prozentual stärker auf die Preise durch als bei den ohnehin höherpreisigen Marken.“ Folglich könnten sich die Preisunterschiede zwischen No-Name-Produkt und Marke wieder relativieren. Ob die Konsumenten deshalb wieder verstärkt zur Marke greifen werden?
Sparen lohnt sich – und Immobilien?
Dass die Inflation das Konsumverhalten verändert, steht außer Frage. Aber auch bei der Geldanlage stellen die deutlich gestiegenen Verbraucherpreise Sparer vor neue Herausforderungen und bringen Chancen mit sich. Denn nach Jahren der Niedrig- und Negativzinsen, locken nun erneut positive Renditen auf Tages- und Festgeld. Es lohnt sich also, Geld zur Seite zu legen. Und genau das bezweckt die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Erhöhung ihres Leitzinses, zu dem sich Geschäftsbanken bei ihr Geld leihen können. Bei 2,5 Prozent liegt dieser Zins mittlerweile.
Noch wichtiger für Sparer ist der EZB-Einlagenzins in Höhe von 2,0 Prozent, den Geschäftsbanken erhalten, deponieren sie überschüssiges Geld bei den Frankfurter Währungshütern. Denn er bestimmt maßgeblich den Sparzins bei der Bank um die Ecke. Schon jetzt können Sparer wieder rund drei Prozent Zinsen bekommen, legen sie ihr Geld für ein oder zwei Jahre an.
Experte: Mit der Festgeldanlage noch ein wenig gedulden
Und der Trend zu höheren Sparzinsen dürfte nach Meinung von Henning Vöpel anhalten. Der Hamburger Ökonom und Vorstand des Centrums für Europäische Politik sagt weitere Zinsschritte der EZB für 2023 voraus. Obwohl die Inflationsrate in diesem Jahr mit geschätzt 6,5 Prozent geringer ausfallen dürfte als 2022, ist Vöpel überzeugt: „Wir werden auch mittelfristig in einem inflatorischen Umfeld bleiben.“ Und die EZB werde mit aller Macht versuchen gegenzusteuern.
Für Menschen mit Rücklagen ist dies eine gute Nachricht, können sie doch mit noch höheren Renditen auf ihr Erspartes rechnen. Vöpels Ratschlag: Mit der Festgeldanlage noch ein wenig gedulden und die nächsten ein, zwei Zinserhöhungen der EZB abwarten.
Inflation – Hamburger Ökonom: Preise für Immobilien sinken weiter
Für Immobilienbesitzer hält Ökonom Vöpel derweil weniger positive Prognosen parat. „Bei den Immobilienpreisen dürfte es zu weiteren Korrekturen nach unten kommen.“ Denn auch die Hypothekenzinsen, die ohnehin schon deutlich angezogen haben, werden wohl weiter zulegen.
So könnte die Finanzierung einer Immobilie für immer mehr Menschen unmöglich werden – und potenzielle Verkäufer müssen bei ihren Preisvorstellungen weitere Abstriche machen. Nach den extremen Steigerungen im vergangenen Jahrzehnt setzt eine Preiskorrektur ein, die Vöpel allerdings als „durchaus gesund“ bezeichnet.