Hamburg. Die Stadt verliert jährlich gut 2500 Einwohner ab 50 Jahren an Pinneberg und Co. Einige Orte sind besonders beliebt. Die Analyse.

Hamburg verliert seit vielen Jahren ältere Mitbürger an die benachbarten Kreise und das weitere Umland. Seit 2013 sind das im Schnitt rund 2500 Hamburger ab 50 Jahren pro Jahr, wie aus einer detaillierten Auswertung des Immobiliendienstleisters Empirica Regio hervorgeht, die unserer Zeitung exklusiv vorliegt.

Erfasst wird der Saldo der Abwanderung, also Zu- und Fortzüge werden gegeneinander aufgerechnet. Doch auch wenn Bürger aus dem Umland sich in Hamburg niedergelassen haben, der Saldo ist seit 2013 stets negativ und das mit steigender Tendenz. So wuchs der Gesamtsaldo seit 2013 um 15 Prozent auf zuletzt 2628 Personen, die unter dem Strich bei den ab 50-Jährigen Hamburg den Rücken gekehrt haben.

Wohnung: Ältere Menschen verlassen Hamburg ins Umland

Besonders auffällig ist diese Tendenz in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen. Verließen im Jahr 2013 noch 1037 Personen unterm Strich die Hansestadt, so waren es 2021 bereits 1728 Hamburger, was einem Anstieg von 67 Prozent entspricht. „Der Trend, wie er sich bereits bei Familien gezeigt hat, greift auch bei dieser Altersgruppe um sich, wobei die 50- bis 64-Jährigen besonders aktiv sind“, sagt Jan Grade, Geschäftsführer von Empirica Regio.

Die Abwanderung der vergangenen Jahre sei deutlich negativ. Seit dem ersten Corona-Jahr 2020 gibt es in dieser Gruppe noch einmal eine deutliche Zunahme. Offenbar hat der Wunsch nach mehr Platz und einem grünen Umfeld die Umzugsbereitschaft erhöht. Allein seit 2019 hat die jährliche Abwanderung im Saldo um 24 Prozent zugenommen.

Der Wunsch nach Veränderung scheint in dieser Gruppe besonders groß. Auch Altersteilzeit kann nach Grades Einschätzung ein Grund für die Mobilität sein. In der passiven Phase wird nicht mehr im Unternehmen gearbeitet, was die Umzugsbereitschaft erhöht. Die Tendenz zum Homeoffice lässt zudem weite Arbeitswege in die Hansestadt nicht mehr so problematisch erscheinen.

Wohnungen und Häuser im Umland erschwinglicher als in Hamburg

Wer sich eine Immobilie angeschafft hat, konnte das im Umland wesentlich günstiger bewerkstelligen als in Hamburg. Das galt auch für das Jahr 2021, als die Immobilienpreise immer neue Rekorde erreichten. Damals kostete im Kreis Segeberg ein Einfamilienhaus mit 120 Quadratmetern Wohnfläche rund 430.000 Euro, während in Hamburg dafür bereits 670.000 Euro bezahlt werden mussten.

Dagegen scheint die Corona-Pandemie den Abwanderungswillen der über 64-Jährigen gebremst zu haben. Seit Ausbruch der Virusinfektion ist der jährliche Saldo der Abgewanderten erstmals wieder unter den Wert von 1000 gefallen (s. Grafik). „In der Regel gibt es in dieser Altersgruppe keine Erfordernis umzuziehen, weder familiär noch beruflich“, sagt Grade.

Manche wollten sich zwar verkleinern, aber bei der Mietpreisentwicklung in Hamburg sei das schwierig. „Denn auch weniger Fläche führt meist zu einer höheren Gesamtmiete, weil die ab 65-Jährigen meist noch sehr alte Mietverträge haben“, sagt Grade.

Wohnung: Viele ältere Hamburger sind nach Stormarn gezogen

Das von Älteren geschätzte barrierefreie Wohnen ist meist nur im Neubau zu verwirklichen. Hier bietet sich dann doch ein Umzug in das Umland an, weil dort in den vergangenen Jahren viele neue Geschosswohnungsbauten entstanden sind. Die Neubau-Mieten sind dort noch deutlich günstiger als in Hamburg. Während im dritten Quartal 2021 in Hamburg im Neubau ein Quadratmeter Wohnfläche im Schnitt 13,54 Euro (kalt) kostete, waren es im Kreis Pinneberg nur 11,17 Euro und im Kreis Stormarn knapp zwölf Euro.

Vom Zuzug der ab 65-Jährigen hat seit 2013 mit Abstand der Kreis Stormarn am meisten profitiert. Im Saldo ergaben sich mehr als 2200 Zuzüge. Fast jedes Jahr siedelten sich dort rund 250 Ältere an. Auf dem zweiten Platz liegt der Kreis Pinneberg mit 1556 Zuzügen seit 2013. Das sind rund 170 pro Jahr.

Im weiteren Umland werden von den Hamburgern ab 65 Jahren vor allem Lübeck, Lüneburg und der Kreis Ostholstein als Wohnort nachgefragt. „Ostholstein zeichnet vor allem eine Ruhestandswanderung ans Meer aus, die bei Älteren beliebt ist“, sagt Grade. Zum Kreis gehören Orte wie Grömitz, Scharbeutz und Timmendorfer Strand.

Was Ältere sich vom Umzug ins Umland erhoffen

„Die Älteren wünschen sich nach unseren repräsentativen Umfragen eine umfassende Grundversorgung in der unmittelbaren Nachbarschaft“, sagt Martin Kirchhoff, Geschäftsführer der Deutschen Teilkauf. „Dazu zählen aus ihrer Sicht vor allem Supermärkte, Apotheken und Ärzte – und diese Infrastruktur gibt es auch in kleineren Städten wie Ahrensburg außerhalb Hamburgs.“

Ahrensburg gehört zum Kreis Stormarn, in den die meisten Hamburger ab 65 Jahre abwandern. „Die Älteren brauchen keine Nobelboutiquen“, sagt Kirchhoff. Nach einer Umfrage unter Hamburgern ab 60 Jahren zu den Erwartungen bezüglich ihres Wohnumfeldes bevorzugen sie vor allem kurze Wege zu Supermärkten und Ärzten (85 Prozent), viel Grün (73 Prozent), eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr (65 Prozent), gute Kontakte zu den Nachbarn (62 Prozent) und Ruhe (54 Prozent).

Wenig gefragt bei Hamburgern ist der Landkreis Stade

In der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen, die Hamburg im Saldo verlassen, liegt als Zielort der Kreis Pinneberg an erster Stelle. Von 2013 bis 2021 siedelten sich dort mehr als 2100 Hamburger an. es folgen die Kreise Harburg (1817) und Stormarn (1784). Wenig gefragt bei Hamburgern ist der Landkreis Stade mit insgesamt nur 555 Zuzügen in diesem Zeitraum.

Auf niedrigem Niveau gibt es allerdings eine große Dynamik. Waren es 2013 erst zehn Ansiedelungen im Saldo, so wurden 2021 bereits 73 verzeichnet. Im weiteren Umland zieht es die meisten der 50- bis 64-Jährigen in den Kreis Ostholstein, also wahrscheinlich an die Ostsee (933), gefolgt von Lüneburg (474) und Lübeck (282).

Hamburg steht mit der Abwanderung der Älteren in das benachbarte Umland nicht allein. Diese Entwicklung verzeichnen auch die anderen sechs größten Me­tropolen Deutschlands. „Die Abwanderung in benachbarte Kreise ist in anderen Metropolen noch größer als in Hamburg“, sagt Grade.

Von je 1000 Einwohnern in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen haben Frankfurt (Main) mit 3,6 im Jahr 2021 die Stadt im Saldo verlassen, geht aus den Daten von Empirica Regio hervor. Es folgt Köln mit einem Wert von 3,4, während Hamburg auf drei kommt. Die geringste Abwanderung in die benachbarten Kreise verzeichnet München mit einem Wert von 1,2 auf 1000 Einwohner.

Immobilien: Hamburg verliert Einwohner an Nachbarkreise

Unabhängig von der Altersklasse verliert Hamburg im Saldo seit Jahren Einwohner an die benachbarten Kreise. Jeweils rund 2200 waren es im Jahr 2021 an die Kreise Pinneberg, Stormarn und Harburg.

„Der Zuzug betrifft alle Altersgruppen, ist aber besonders stark durch junge Familien geprägt. Ehemalige Großstädter ziehen in der Familiengründungsphase in den Randbereich der Metropole, um mehr Wohn- und Grünfläche zur Verfügung zu haben oder die Wohnkosten zu senken, teils auch, um Wohneigentum zu erwerben“, sagt eine Sprecherin des Kreises Pinneberg.

Die Älteren machen bei den Zugezogenen nur einen kleinen Teil aus. Im Jahr 2021 entfielen im Kreis Pinneberg auf die 50- bis 64-Jährigen rund zehn Prozent und auf die ab 65-Jährigen fünf Prozent. Bis zum Jahr 2020 war der Saldo aus Zu- und Fortzügen für Hamburg stets positiv, weil aus anderen Regionen Menschen zuwanderten. Doch im Jahr 2021 musste erstmals mit minus 70 eine negative Zahl ausgewiesen werden.