Hamburg. Die bisherige Sozialsenatorin Melanie Leonhard ersetzt Westhagemann – um der Wirtschaft mehr Macht zu verleihen. Die Verbände jubeln.
Es ist auf den ersten Blick die größte Überraschung an dieser Senatsumbildung, auf den zweiten doch wieder nicht: Melanie Leonhard wechselt aus der Sozial- in die Wirtschaftsbehörde.
Die Sozialdemokratin gibt also eine Behörde mit einem 4,5-Milliarden-Euro-Etat ab, dem mit Abstand größten im Hamburger Haushalt, um die mit dem kleinsten Budget von 345 Millionen Euro zu übernehmen. Warum tut eine SPD-Landesvorsitzende sich das an? Zumal die 45-Jährige bislang nicht als Wirtschaftspolitikerin aufgefallen ist, abgesehen davon, dass sie ihre Doktorarbeit als Historikerin über „Die Reeder- und Schiffbauerfamilie Rickmers im deutschen Schiffbau und der deutschen Schifffahrt von 1834–1918“ geschrieben hat?
Senatsumbildung: Stapelfeldt und Westhagemann gehen
Die Antwort ist vielschichtig und doch einleuchtend: Erstens hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit dem aktuellen Wirtschaftsenator Michael Westhagemann (parteilos) schon 2020, als er diesen erneut in den Senat berufen hatte, abgemacht, dass für ihn etwa in der Mitte der Legislatur Schluss sein werde – aus den gleichen Gründen wie bei Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD): Beide wären bei der Wahl 2025 Ende 60 und damit keine Kandidaten mehr für den künftigen Senat. Bevor sie zur „Lame Duck“ werden, zur „lahmen Ente“, wie die Amerikaner Amtsinhaber nennen, die bald abtreten, sollte es einen Wechsel geben.
Zweitens: Nachdem die Wirtschaftsbehörde seit 2010 durchgängig von parteilosen und politisch unerfahrenen Wirtschaftsfachleuten wie Ian Karan, Frank Horch und eben Westhagemann geführt worden war, wollte Tschentscher an der Spitze dieser für die SPD extrem wichtigen Behörde wieder eine politische Führung.
SPD-Chefin gilt als ideale Nachfolgerin, weil sie dem Amt mehr Macht verleiht
Der aktuelle Streit mit den Nachbarländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen um die Elbvertiefung und die Verklappung von Schlick in der Nordsee ist nur ein Beispiel dafür, wie groß der Bedarf für eine politisch tickende Führungspersönlichkeit ist – die war der Quereinsteiger Westhagemann, der sich vor 2018 als Chef von Siemens-Nord vor allem mit Energiethemen befasst hatte, halt nie.
Und für diese Rolle konnte es aus Sicht des Bürgermeisters keine geeignetere Person geben als die SPD-Landesvorsitzende, zumal diese in der Partei über einen enormen Rückhalt verfügt und sich in ihren sieben Jahren als Sozialsenatorin auch darüber hinaus einen glänzenden Ruf erworben hat.
Leonhard hat enge Kontakte zu Wirtschaftsverbänden und Kammern
Und drittens, so wird es in ihrem Umfeld betont, habe Melanie Leonhard viel engere Beziehungen zum Thema Wirtschaft als das nach außen sichtbar geworden sei. Denn zu ihrer Behörde gehört auch der Bereich Arbeitsmarkt, und dort gibt es vielfältige Verflechtungen mit Kammern und Unternehmensverbänden, etwa bei Themen wie Fachkräftemangel oder Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Mit dem Unternehmensverband Nord hat die Noch-Sozialsenatorin sogar alle 14 Tage einen festen Gesprächstermin.
Die Reaktionen aus der Wirtschaft auf ihre Nominierung lassen erahnen, dass Leonhard sich dort bereits einen Namen gemacht hat: „Dass Senatorin Dr. Melanie Leonhard Westhagemann nachfolgen wird, ist für die Wirtschaft eine hervorragende Nachricht“, sagte Handwerkskammerpräsident Hjalmar Stemmann, der als ehemaliger CDU-Bürgerschaftsabgeordneter nicht im Verdacht steht, der SPD ohne Not Blumen zu schicken.
„Hamburgs Arbeitgebende reichen ihr die Hand"
Zwar bedauerte er wie alle Verbandsvertreter den Abgang Westhagemanns, betonte aber, dass man seine Nachfolgerin mit offenen Armen empfangen werde: „Das Handwerk kennt sie als verlässliche Partnerin, beispielsweise im gemeinsamen Bemühen um die Integration Geflüchteter in qualifizierte Arbeit, etwa in den Klimaschutzberufen. Die politische Gestaltungserfahrung der Senatorin ist in der Wirtschaftsbehörde an ebenso richtiger Stelle.“
Das hob auch der Vorsitzende des Industrieverband Hamburg, Matthias Boxberger, hervor: „Dass nun die SPD-Landesvorsitzende das Amt der Wirtschaftssenatorin übernehmen soll, werte ich als klares Zeichen, dass Hamburg als Industriestandort wieder Priorität haben muss.“
Auch UVNord-Präsident Philipp Murmann hob hervor, dass mit Melanie Leonhard „viel politische Erfahrung in das Wirtschaftsressort“ komme: „Hamburgs Arbeitgebende reichen ihr die Hand, insbesondere im norddeutschen Interesse für die Schlickentsorgung, für das Gelingen der Fahrinnenanpassung der Elbe sowie für die Weiterentwicklung der Fachkräftegewinnung und -sicherung.“
Leonhard soll auch Umweltsenator Kerstan (Grüne) mehr Paroli bieten
Vorschusslorbeeren gab es sogar von Gunther Bonz, als Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg oft einer der schärfsten Kritiker der Senatspolitik: Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit Leonhard, „die mit maritimen und Hafenthemen vertraut und hoch kompetent ist“.
Auch in ihrer Partei gibt es mal wieder hohe Erwartungen an die Vorsitzende: „Es ist wichtig, dass unsere Chefin auf diese Position wechselt“, sagt ein SPD-Bürgerschaftsabgeordneter geradezu ehrfürchtig. Ein anderes prominentes Parteimitglied erinnert daran, dass die Wirtschaftsbehörde oft Themen mit der Umweltbehörde auszufechten habe, und dabei habe Westhagemann gegen den ausgebufften Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) oft den Kürzeren gezogen: „Das wird künftig anders laufen.“ Zumal Leonhard in dem Ruf steht, vehement die Interessen des Hafens und des Industriestandorts Hamburg zu vertreten.
Leonhard’s Motto: „Wenn ich etwas mache, mache ich es richtig“
Ganz freiwillig erfolgt ihr Wechsel dennoch nicht. Die Idee dazu sei klar vom Bürgermeister ausgegangen, heißt es aus Parteikrisen. Leonhard selbst hätte sich gut vorstellen können, im Sozialbereich zu bleiben, zumal sie dort mittlerweile über Hamburg hinaus eine wichtige Rolle spielt, etwa bei Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Doch die Vorsitzende ist halt auch die oberste Parteisoldatin und ließ sich einmal mehr in die Pflicht nehmen – wie schon 2020, als Tschentscher ihrer ohnehin riesigen Sozialbehörde auch noch das Ressort Gesundheit und damit das Management der Corona-Pandemie übergab.
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„Wenn ich etwas mache, mache ich es richtig“, ist ein Satz, den Leonhard gern über sich selbst sagt. Das dürfte auch ein Grund gewesen sein, warum sie 2018 das Angebot, Nachfolgerin von Olaf Scholz als Bürgermeisterin zu werden, ausschlug – ihr Sohn war damals noch so klein, dass sie den herausfordernden 24/7-Job als Chefin des Senats nicht hundertprozentig hätte erledigen können. Stattdessen wurde sie Parteivorsitzende, und nun also Hamburgs erste Wirtschaftssenatorin.
Senatsumbildung: Schlickstreit wird erste große Bewährungsprobe
Ihre erste große Bewährungsprobe dürfte der Schlick-Streit mit den Nachbarn sein. Hierzu soll es kommende Woche erste Gespräche zwischen Bund und Ländern geben – Leonhard wird dann noch nicht im neuen Amt sein. Aber im Hintergrund schon die Fäden ziehen.