Hamburg. Fluggeräte sollen bald Medikamente, Gewebe- und Laborproben transportieren. Doch der norddeutsche Wind sorgt noch für Probleme.

Mit einem leisen Surren hebt die Drohne des Hamburger Start-ups Beagle Systems auf den Michelwiesen ab. Auf der abgesperrten Rasenfläche fliegt sie auf Kopfhöhe einige Dutzend Meter. Nach gut 20 Sekunden landet sie mit einem kleinen Hüpfer kurz vor ihrer Zielperson. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann geht ein paar Schritte zur Drohne. Die Klappe wird geöffnet. Der parteilose Politiker bückt sich, greift in die Frachtluke hinein, schnappt sich die Papierrolle, löst den Knoten und hält den 100 Seiten dicken Bericht 2019 der Hamburger Cluster in den Händen.

Während einer Pandemie sollen die direkten persönlichen Kontakte bekanntlich möglichst gering gehalten werden. Da haben sich die Beteiligten ein besonderes Übergabezeremoniell ausgedacht. „Die Idee, das mit der Drohne zu machen, ist echt hervorragend“, sagt Westhagemann. Gerade in Corona-Zeiten sei es wichtig, sich untereinander zu vernetzen, sagt er und blickt – mit gebührendem Abstand – in die Gesichter von zehn Vertretern der Hamburger Cluster, die quasi brancheninterne Netzwerke sind. Der Flug mit der Drohne zeige auch, wie innovativ man in der Stadt auf diesem Feld unterwegs sei.

Eine Drohne soll zum Transport von Gewebeproben eingesetzt werden

Zu den Vorzeigeprojekten in dem Bereich zählt der Senator Medifly. Im Februar war er Augenzeuge des ersten Testflugs vom Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek zum Marienkrankenhaus in Hohenfelde und zeigte sich „begeistert“. Eine Drohne soll künftig zum Transport von Gewebeproben eingesetzt werden.

Denn viele Krankenhäuser haben (wie das Bundeswehrkrankenhaus) keine eigene Pathologie. Daher müssen bei Operationen sogenannte Schnellschnitte per Blaulicht-Transport in ein Labor gebracht werden. „Wir müssen darüber nachdenken, wie künftige Transportketten aussehen“, sagt Westhagemann. „Wie können wir schneller Dinge über Logistikketten abwickeln?“

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Start von Medifly ist für den Sommer 2021 geplant

Für Medifly stehen nun die nächsten Schritte an, erfuhr das Abendblatt. Vor wenigen Tagen sei die zweite bis August 2022 dauernde Projektphase angelaufen, sagt Lukas Kaestner, Sprecher des Luftfahrtclusters Hamburg Aviation. Im nächsten Jahr sollen im Regelbetrieb „zwischen mehreren Krankenhäusern im Hamburger Stadtgebiet Flüge stattfinden, bei denen perspektivisch medizinische Güter wie Medikamente, Labor- und Gewebeproben transportiert werden sollen“, sagt Kaestner.

„Wenn alles gut läuft, starten wir im Sommer“, sagt Sabrina John, Projektleiterin der an Medifly beteiligten Gesellschaft für Luftverkehrsinformatik (GLVI). Mindestens sechs Monate sind als Testzeitraum vorgesehen. Man wolle sehen, wie sich die Drohnen im heißen Sommer, stürmischen Herbst und kalten Winter schlagen. Zu den Partnern des Projekts gehören die Schön Klinik in Eilbek, das Bundeswehrkrankenhaus und der Asklepios-Konzern, der sieben Kliniken in Hamburg betreibt – vom Heidberg im Norden bis Harburg im Süden.

Im Februar wurden sechs Flüge durchgeführt

Theoretisch können alle Krankenhäuser bei dem geplanten Regelbetrieb mitmachen. Wer die größten Bedarfe habe, werde berücksichtigt, sagt John: „Der Bedarf für tägliche Flüge ist da. Aber wir müssen schauen, wie wir das in der täglichen Planung umgesetzt bekommen.“ Wie viele Drohnen eingesetzt werden, ist noch offen. Klar ist, dass sie nur bei Tageslicht fliegen. Die Routen sollten mindestens gute fünf Kilometer lang sein.

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    Die ersten Erfahrungen aus dem Februar seien gut gewesen. Die damals durchgeführten sechs Flüge sollten zeigen, dass solche Flüge in Städten grundsätzlich möglich sind. „Es gab keine Vorfälle. Es hat alles reibungslos geklappt“, sagt John. Routenplaner berechnen je nach Staulage schon mal 30 Minuten für den Weg auf der Straße. Die Drohne legte die fünf Kilometer Luftlinie in rund zehn Minuten zurück. Die Vorteile: Der Operateur erhält schneller Klarheit, ob er alle Tumorstellen rausgeschnitten hat. Dem Patient bleibt eine zweite Operation erspart, wenn der Chirurg umgehend nachschneiden kann. Oder er kann früher aus der Narkose geholt werden.

    Im Testbetrieb gab es sieben Kontrollposten

    Die Drohne hat eine Kamera, die scharfe Bilder von Straßen und Häusern unter ihr liefert. Mit ihrer Hilfe navigiert der Pilot. Bei den damaligen Flügen gab es aber noch sieben Kontrollposten. Das war eine der Auflagen für den Testbetrieb. Jederzeit musste ein Steuerer bereit sein, auf Sicht einzugreifen. Das soll sich in der nächsten Projektphase ändern. „Das Fliegen soll dann über längere Strecken und außerhalb der Sichtweite des Steuerers stattfinden“, so Kaestner.

    Westhagemann denkt schon an die nächste Stufe der Entwicklung, bei der auch eine Tochterfirma der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) mitmischt: „Wir arbeiten mit HHLA Sky und der Helmut-Schmidt-Universität an der Entwicklung eines sogenannten Cockpits, aus dem heraus mehrere Drohnen zusammen gesteuert werden können.“ An der dafür nötigen Freigabe der Luftfahrtbehörden sei man dran.

    Der norddeutsche Wind macht den Drohnen zu schaffen

    Bis die Medifly-Drohne wieder abhebt, wird es noch dauern. Bis zum Sommer muss viel Bürokratie erledigt werden. Betriebskonzept und Risikoanalysen müssen erstellt werden. In dem ganzheitlichen Ansatz sollen auch die Wege vom OP zum Startplatz und vom Landeplatz ins Labor berücksichtigt werden. Absprachen mit Landesluftfahrtbehörde, Flugsicherung und Hubschrauberstaffeln müssen getroffen werden. „Wir müssen uns für jeden Flug eine Freigabe holen“, sagt John. Es soll ein Informationssystem geben, damit jeder „Luftikus“ weiß, wer wo wie unterwegs ist. Steuerer müssen ausgewählt und trainiert werden, die die Drohnen in 75 bis 100 Meter Höhe steuern.

    Schließlich muss auch noch mal über das eingesetzte Gerät nachgedacht werden. Die Drohnen aus süddeutscher Produktion entpuppten sich im mitunter stürmischen Norden als untermotorisiert. Als etwas Wind aufkam, verlängerte sich die Flugzeit bei den Test im Fe­bruar gleich um eine Minute, sagt John: „Und es war nur etwas böig.“