Hamburg. Projekt Medifly ermöglicht es Ärzten, viel schneller als bisher Gewebeproben zur Analyse zu schicken – nicht nur in Hamburg.

Die kleine Lampe auf der Drohne blinkt weiß. Die viermal zwei Rotoren beginnen leise surrend zu drehen. „Und Start“, hört man ein Kommando. Es stammt vom Piloten Jörg Brinkmeyer. Um 13.44 Uhr steigt das etwa zehn Kilogramm schwere Fluggerät mit deutlich hörbarem Antriebsgeräusch senkrecht in die Luft. Der orangefarbene Kasten unter der Drohne fällt ins Auge. Er trägt einen weißen Kreis mit orangefarbenem Kreuz und soll signalisieren: Hier ist ein Medizintransport unterwegs.

Noch stimmt das nicht. Zwar packte Brinkmeyer ein geschlossenes Plastikgefäß in den orangefarbenen Styroporkasten. Echte Gewebeproben – wie es später mal sein soll – waren aber noch nicht drin. Schließlich war das Abheben auf dem Hubschrauberlandeplatz des Bundeswehrkrankenhauses am Mittwoch eine Premiere für das Hamburger Forschungsprojekt Medifly. Dabei schlossen sich das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL), die Gesellschaft für Luftverkehrsinformatik (GLVI) sowie die Unternehmen Fly Nex und Lufthansa Technik zusammen. Das Ziel: Herausfinden, ob der Transport von Gewebeproben mit einer Drohne sicher, schnell und zuverlässig erfolgen kann.

Viele Krankenhäuser haben keine eigene Pathologie

Tariq Nazar ist Hals-Nasen-Ohrenarzt am Bundeswehrkrankenhaus. Wenn er im Operationssaal steht und Tumore beseitigt, möchte er für sich und die Patienten möglichst schnell Klarheit haben. Ist das erkrankte Gewebe komplett herausgeschnitten? Dafür werden Proben aus dem Randbereich genommen – sogenannte Schnellschnitte. Sie müssen in einem Labor untersucht werden.

ZAL-Geschäftsführer Roland Gerhards (links) und Wirtschaftssenator Michael Westhagemann schauen sich am Bundeswehrkrankenhaus die Drohne für das Medifly-Projekt an.
ZAL-Geschäftsführer Roland Gerhards (links) und Wirtschaftssenator Michael Westhagemann schauen sich am Bundeswehrkrankenhaus die Drohne für das Medifly-Projekt an. © Michael Rauhe

Das Problem: Das Bundeswehrkrankenhaus unterhält wie die meisten Kliniken in der Hansestadt keine eigene Pathologie. Deshalb werden die Schnitte ins Marienkrankenhaus gebracht. „Bisher müssen derartige Proben mit einem Blaulichtfahrzeug transportiert werden, was bei den Hamburger Verkehrsverhältnissen mit unnötigen Verzögerungen verbunden sein kann“, sagt Nazar. Der Routenplaner veranschlagt zwischen 16 und 30 Minuten Fahrzeit für die rund sieben Kilometer lange Straßenstrecke. Die Hoffnungen: Mit dem Lufttransport kann das schneller gehen. Die Narkose für den Patienten kann kürzer sein, eine möglicherweise notwendige zusätzliche Operation ein oder zwei Tage später kann ausgeschlossen werden.

Die Drohne fliegt in 75 Meter Höhe

Pilot Brinkmeyer, der auch Geschäftsführer des Drohnenkomplettanbieters Globe UAV ist, schaut gespannt auf seinen Laptop. Mit 40 Kilometern pro Stunde fliegt die Drohne in 75 Metern Höhe gen Südwesten. Eine montierte Kamera liefert scharfe Bilder von dem Flug über Straßen und Häuser. Große Kreuzungen und Einrichtungen wie Kindergärten werden umflogen. Das Bildmaterial dient übrigens nur zur Navigation und werde nicht gespeichert, sagt Olaf Ronsdorf, Projektleiter bei Lufthansa Technik. Die Strecke wurde vorher in den Laptop eingegeben und wird jetzt im Grunde autonom zurückgelegt. „Es fliegt der Computer“, sagt Ronsdorf, „aber es muss jederzeit ein Steuerer bereit sein, auf Sicht einzugreifen.“

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Das ist eine der Auflagen, an die der Testbetrieb gekoppelt ist. Sieben weitere Posten sind entlang der Route aufgestellt. „Wir haben jemanden da oben auf der Kirche“, sagt Brinkmeyer beim Blick auf den Bildschirm. Jeder Start muss von der Deutschen Flugsicherung und dem Tower in Fuhlsbüttel freigegeben werden. Auf dem Gelände des Bundeswehrkrankenhauses gibt es eine Einsatzzentrale für das Medifly-Projekt. „In einer Metropole wie Hamburg ist immer mit mit Polizei- und Rettungshubschraubern zu rechnen“, sagt GLVI-Projektleiterin Sabrina John. Deshalb ist eine wichtige Aufgabe, einen stabilen und sicheren Flugbetrieb zu gewährleisten.

Die Drohne hat zwei Sicherheitsstufen

Auch natürlicher Gefahren – wie zum Beispiel Vogelschlag – mussten eingeplant werden. Die Drohne hat zwei Sicherheitsstufen. Erstens verfügt sie über zwei Motoren. Sollte einer ausfallen, könne der andere das Gewicht des Flugobjekts alleine halten, sagt Brinkmeyer. Zweitens gebe es im Notfall zwei Fallschirme an Bord, die den Absturz der Drohne bremsen würden.

Der erste Testflug verläuft allerdings ohne Probleme – stattdessen kommt das etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernte Marienkrankenhaus in Sicht. Die Landung steht an. „So ein H-Schild wäre nicht schlecht“, sagt Brinkmeyer und sucht auf dem Parkplatz nach dem passenden Landespot. „Ich gehe jetzt einfach mittig runter“, sagt Brinkmeyer und landet. Sicher. Elf Minuten und 19 Sekunden dauert der Flug. „Alles lief super. Genau so wie wir es erwartet haben“, sagt Brinkmeyer.

Wirtschaftssenator zeigt sich "total begeistert"

Auch ein prominenter Augenzeuge freut sich. „Ich bin total begeistert“, sagt Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos): „Die Drohne ist in der Zeit angekommen, die geplant war.“ Der Premierenflug war der Abschluss einer ersten Förderphase, die der Bund mit 300.000 Euro unterstützte. Nun muss der Politiker neue Mittel für den Regeltestbetrieb eintreiben.

Brinkmeyer gibt unterdessen die Streckenführung für den Rückflug ein. Um 14.20 Uhr landete die Drohne wieder auf dem Hubschrauberlandeplatz des Bundeswehrkrankenhauses. Zehn Minuten und 37 Sekunden dauerte der Rückflug. Fünfmal wollten Brinkmeyer und sein Team die Strecke fliegen. Das Tempo der bis zu 80 Kilometer pro Stunde schnellen Drohne sollte auf 50 km/h erhöht werden. Schließlich zählt beim echten Gewebetransport jede Minute.