Hamburg. Kultläden trotzen dem Geschäftesterben. Wir stellen Inhaber und Konzepte vor. Teil 23: Eisenwaren Kock & Sack in Harburg.
Eisenwarenhandel. Das klingt altmodisch, unmodern. Wer verdient in einer Welt, in der Bits und Bytes zählen, noch mit Schrauben und Nägeln sein Geld? Kock & Sack tut es. Aber wer den Laden aufsucht, fragt sich zunächst, wie das geht. Die Lage: Ein schmuddeliger Hinterhof hinter Karstadt in der Harburger Innenstadt. Die Kundschaft an diesem Morgen: Ein Rentner-Ehepaar mit Rollator, das drei Schrauben benötigen. Ansonsten gähnende Leere zwischen im Geschäft. Und dennoch steht Inhaber Marcel Sack ganz entspannt zwischen den Regalen, die vollgestopft sind mit Eisenwaren jeder Art. Er weiß: Kock & Sack gibt es seit 106 Jahren, und es wird den Laden auch künftig geben.
Das verdankt das Geschäft zum einen seinem Bekanntheitsgrad: Im Hamburger Süden kennt fast jeder, der seine Wohnung renovieren muss, Kock & Sack. Schon die Väter und die Großväter haben hier ihre Werkzeuge und Materialien erstanden.
Hier werden noch Schrauben stückweise verkauft
Da ist zum zweiten die Besonderheit, mit der sich Kock & Sack von großen Baumärkten unterscheidet: Hier wird noch stückweise verkauft. Wer ärgert sich nicht, wenn eine nur eine einzelne Schraube gebraucht wird, die im Baumarkt aber nur in einer 20-Stück-Packung zu haben ist?
Da ist drittens das unschlagbar große Sortiment und die Erfahrung der Mitarbeiter. Zu Kock & Sack kommt, wer bei Obi und Co nicht fündig wurde. Für viele Kunden ist der Laden die letzte Hoffnung. „Die Baumärkte schicken sogar ihre Kunden zu uns, wenn sie nicht weiter wissen“, sagt Marcel Sack. Wenn mal wieder dieser Nupsi am Schellenring des Ablaufschlauchs der Waschmaschine gebrochen ist, oder wenn einem das Standardangebot an fünf verschiedenen Kleiderhaken im Baumarkt nicht reicht. Bei Kock & Sack wird ausgeholfen. Dort werden immerhin 53 unterschiedliche Kleiderhaken-Modelle vorgehalten.
Firma etabliert sich als weltweiter Industrielieferant
Doch das eigentliche Geheimnis des Erfolges ist etwas ganz anderes. Zu finden ist es in den Büroräumen im ersten Stock hinter der Abteilung mit Arbeitskleidung. Dort vollzieht sich Eisenwarenhandel 4.0. Zu sehen sind ausschließlich Rechner und Bildschirme. „Der Laden unten mit der Laufkundschaft ist nur noch der kleinste Teil unseres Geschäfts. Wir leben noch, weil wir uns als weltweiter Industrielieferant etabliert haben“, sagt Sack und lächelt.
Dann beginnt er, von der Geschichte des Unternehmens zu erzählen. Angefangen beim Ur-Großvater Gustav Sack, der zusammen mit seinem Schulfreund Heinrich Kock 1913 einen kleinen Laden für Tischlereibedarf, wie Holzzuschnitt und Beschläge eröffnete. Das Geschäft florierte. Und schon bald belieferten Kock & Sack Betriebe bis nach Bremen. „Über Land fahren nannte mein Großvater das“, sagt Sack. Und war die Strecke weiter als bis Buxtehude, galt die Devise: „Es wird übernachtet.“
Baumarkt-Konkurrenz sorgte zwischenzeitig für Krisenstimmung
Das Geschäft lief so gut, das es nach und nach erweitert wurde. In den 1970er-Jahren Kaufhäuser hatten Großvater und Vater, die natürlich beide ebenfalls Gustav hießen, die Idee, ein Kaufhaus für Baubedarf einzurichten. Es waren die Blütejahre des Eisenwaren-Einzelhandels. „Unser Standort wurde erweitert und komplett umgebaut, sogar Rolltreppen wollte mein Vater einbauen, weil sie damals so modern waren“, erinnert sich Sohn Marcel, dessen Zweitname – man ahnt es – Gustav lautet.
Das mit den Rolltreppen klappte dann doch nicht und das war gut so. Denn schon Anfang der 80er-Jahre entstanden die großem Baumarkt-Ketten. Bei Kock & Sack führte die Konkurrenz mit ihren großen Hallen und den riesigen Parkplätzen vor der Tür zu einem Umsatzeinbruch und Krisenstimmung. „Die Baumärkte hatten uns das Wasser abgegraben. Uns war klar, wir mussten uns neu erfinden, wenn wir überleben wollten.“ Zum Glück bahnte sich damals eine Geschäftsbeziehung zum Airbus-Werk in Finkenwerder an, die bis heute besteht. Und so verlagerte sich Kock & Sack immer mehr vom Einzelhändler hin zu einem Eisenwaren-Großhändler mit dem Schwerpunkt im Industriesektor. Heute beliefert Kock & Sack Industriebetriebe weltweit, Autohersteller in Russland, Werkzeughändler in Südkorea. „Vor allem deutsche Elektrowerkzeuge sind in Asien besonders gefragt“, sagt Sack, der den Laden in fünfter Generation zusammen mit seinem Onkel Christian Sack führt. Die Familie Kock war bereits in den 60er-Jahren ausgestiegen.
Zentrallager in Gießen hat 500.000 Produkte vorrätig
Rund 1000 Stammkunden zählt das Unternehmen derzeit. Handwerksbetriebe sind kaum noch darunter. Natürlich werden die bestellten Waren nicht mehr von dem kleinen Laden im Erdgeschoss versendet. Dafür hat Kock & Sack ein Zentrallager in Gießen, in dem 500.000 Produkte vorrätig sind. Von Mehrzweckdübeln für wenige Cent bis hin zu mobilen Stromgeneratoren für 1200 Euro. „Für einen Fernsehsender haben wir sogar einmal einen Tigerkäfig besorgt“, erinnert sich Sack.
Herzstück des Eisenwarenhandels 4.0 ist aber die neue IT, in die Kock & Sack im vergangenen Jahr einen sechsstelligen Betrag investierte. „Sie ermöglicht unseren Kunden, dass sie aus ihren Einkaufsprogrammen direkten Zugriff auf unser System mit dem Warenangebot haben. So können sie von ihrem Arbeitsplatz aus per Computer in unserem Zentrallager einsehen, ob das benötigte Produkt vorrätig und zu welchen Konditionen lieferbar ist“, sagt Sack. Bestellung und Abrechnung, alles geschehe nur noch elektronisch.
Arbeitskleidung gibt es auch zur Miete
Ein weiteres starkes Standbein haben Kock & Sack im Geschäft mit Persönlicher Schutzausrüstung, vom Helm über Schutzbrillen, Anzügen und Handschuhen bis hin zu Arbeitsschuhen. „Die Ausrüstungen werden sogar von uns veredelt, etwa mit einem Firmenlogo auf dem Overall.“ Neuestes Angebot ist das Leasing von Arbeitskleidung. „Wir stellen den Unternehmen die Kleidung für ihre Mitarbeiter, wir waschen sie und hängen sie gebügelt in die Spinde.“ Ebenso sorgt Kock & Sack dafür, dass genügend Schutzbrillen und Handschuhe vorrätig sind
„Unser-Kundenunternehmen muss sich um nichts mehr kümmern“, so Sack. Ein Zusatzservice, den sich die Traditionsfirma gut entlohnen lässt. Dazu hat der Händler eigens eine Tochterfirma, die K+S Textilservice, mit sechs Mitarbeitern gegründet. Zwar gebe es im Geschäftsfeld der Miet-Arbeitskleidung Konkurrenz durch große Wäschereien. „Unser Vorteil ist aber, dass wir die Kunden und deren Bedürfnisse sehr gut aus unseren anderen Verkaufstätigkeiten kennen.“
Es gibt auch einen Montage-Service
Wer Rundum-Versorgung sucht, dem bietet Kock & Sack inzwischen sogar Montagearbeiten an. „Wir probieren viele Dinge aus. Aber nur so entwickeln wir uns weiter, und nur so konnten wir uns seit mehr als 100 Jahren halten.“
Unten im Laden ist inzwischen mehr los. Alle Verkäufer sind im Gespräch. „Ich suche so eine Flansch“, sagt ein Kunde und hält einen Metallring hoch. „Im Baumarkt finde ich die nicht.“ Der Verkäufer runzelt kurz die Stirn, dann sagt er: Das Regal da rechts, zweite Reihe.“ Und wieder konnte jemandem geholfen werden.
Den nächsten Teil der Serie lesen Sie am Mittwoch.