Hamburg. Serie Kultläden, Teil 22: Sie haben ein spezielles Angebot, eine besondere Atmosphäre. Heute: Blumen Graaf in Nienstedten.

Schon als kleiner Junge kannte er mehr Blumen-Namen als Automarken. Autos haben ihn nie interessiert, aber Blumen. Blumen schon! Er ist mit ihnen groß geworden, zwischen ihnen. Als Kind hat er im Blumenladen der Familie auf dem Fußboden gespielt und ist mit seinem Pony über die Ländereien der angeschlossenen Gärtnerei geritten. Nie, wirklich nie, konnte er sich vorstellen, was anderes zu machen. Die Frage hat sich einfach nicht gestellt. Selbst mit Mitte 20, als er am liebsten nach San Francisco ausgewandert wäre, wollte er dort den gleichen Job machen wie zuhause: Florist.

Mehr als 30 Jahre ist das jetzt her. Und als Florist arbeitet Michael Graaf (57) heute nicht mehr. Schon vor einigen Jahren hat er aufgehört, selbst Sträuße zu binden. Doch manchmal vermisst er das immer noch. Aber irgendwann ging es einfach nicht mehr. Der Betrieb war zu groß geworden. Jede Woche hunderte von Daueraufträgen von Restaurants, Hotels, Kanzleien, Arztpraxen, Einzelhändlern. Hunderte von Sträußen, die gebunden werden müssen. Und einfach zu viele Aufgaben, die nur er erledigen konnte. Er, der Chef.

Familienunternehmen in vierter Generation

Auch wenn Michael Graaf sich selbst nie so gesehen hat. Nie in all den Jahren. Mit gerade mal 26 Jahren hat er die Leitung des 1876 gegründeten Familienunternehmens übernommen. „Aus heutiger Sicht war das totaler Wahnsinn“, sagt Michael Graaf, der Blumen Graaf in vierter Generation führt.

Manchmal muss er selbst noch den Kopf schütteln, wenn er daran denkt, wie er angefangen hat. Wie er seinen Eltern zu verstehen gegeben hat, dass er ihren Blumenladen schrecklich findet. Total altbacken, verstaubt und spießig. Mit der braunen Farbe an den Wänden, der langweiligen Einrichtung und diesen schrecklichen Trockenblumen überall. „Ich habe meine Eltern immer sehr bewundert, wie gelassen sie damit umgegangen sind. Immerhin war der Laden ihr Lebenswerk“, sagt Michael Graaf.

Neues Ladenkonzept übers Wochenende

Und erzählt dann, wie er das Geschäft damals an einem Wochenende komplett ausgeräumt, entkernt und alles neu gestaltet hat. Minimalistisch, wenige Blumen einer Sorte in riesigen Kübeln, überall Aluminiumbleche. „Die erste Kundin am Montagmorgen meinte, dass es wie in einer Fleischerei aussieht“, erinnert sich Micheal Graaf und lacht. Heute würde er so krasse Veränderungen nicht mehr machen. Nicht den Kunden so vor den Kopf stoßen. Heute, das ist mehr als 140 Jahre nach der Gründung.

Die angeschlossene Gärtnerei von früher gibt es nicht mehr, die großen Ländereien auch nicht. Der Besitz wurde von Generation zu Generation immer weiter zerschlagen, in der Familie aufgeteilt. Trotzdem, oder gerade deswegen: Das Geschäft ist gewachsen, größer geworden. 2014 wurde angebaut, eine Halle mit Werkstatt ist hinzugekommen. Der Umsatz: mehr als drei Millionen Euro. Für Michael Graaf ist sein Unternehmen mehr als ein Blumenladen. Er bezeichnet es lieber als Kreativwerkstatt für Blumenkunst.

Drei Tage vor Ort bei Fielmann-Hochzeit

„Wir wollen nicht einfach nur Blumen verkaufen. Sondern sie an den Menschen vermitteln, sie damit ausstatten“, sagt Michael Graaf. Er macht eine Pause und fügt dann hinzu: „In allen Lebenslagen. In allen Lebensbereichen, bei allen Festen.“ Geburtstage, Feiern, Hochzeiten. Vor ein paar Monaten haben sie den Blumenschmuck für die Hochzeit von Marc Fielmann geliefert. „Drei Tage waren wir mit Personal und Lkw vor Ort und haben uns um die Blumen gekümmert“, sagt Michael Graaf.

Der Laden in Kürze

Gegründet

1876

Ladengröße

ca. 700 Quadratmeter

Adresse

Kanzleistraße 25

Zahl der Mitarbeiter

36

Günstigster Artikel

0,30 Euro für verschiedene Sorten frischer Minze

Teuerster Artikel

4500 Euro für ein Bronzeguss-Gefäß aus Italien

Der Onlinehandel ist für uns ...

immer noch Zukunft.

In zehn Jahren ist der Laden ...

ist der Online-Handel sicherlich Alltag, da mein ältester Sohn gerade sein E-Commerce-Studium beginnt.

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Er selbst hat 2006 Jahren geheiratet. Klar, da gab es auch eine Menge Blumen – selbstredend bei seinem Job. Aber mit heutigen Verhältnissen sei das nicht zu vergleichen. „Früher hat die Braut gesagt, sie möchte rosa Blumen – heute kommen die Leute mit einer Power-Point-Präsentation und geben komplett alles vor“, sagt Michael Graaf. Trotzdem: Einfach nachmachen, ne, das gibt es nicht bei ihm. „Wir adaptieren nie etwas, sondern interpretieren es neu. Egal zu welchem Anlass.“

90 Jahren sechs Tage die Woche zum Großmarkt

Von der Taufe bis zur Traufe. Das war mal so was wie das Firmenmotto von Blumen Graaf. Doch für Michael Graaf ist es inzwischen mehr. Etwas Persönliches. Vor ein paar Wochen ist sein Vater gestorben. Sein Vater, der sich mit 62 Jahren aus dem Betrieb zurückziehen wollte – und dann doch bis kurz vor seinem Tod mitgearbeitet hat. Der die Büroarbeit erledigt hat, mit 90 Jahren noch sechs Tage die Woche um fünf Uhr morgens zum Großmarkt gefahren ist. Der sein treuester Mitarbeiter war. Vater, Vertrauter, Freund.

Heute fährt Michael Graaf alleine zum Großmarkt. Das Büro und die Wohnung seines Vaters sehen aus wie immer. Er schafft es einfach nicht, sie auszuräumen. Noch nicht.

Gestern Abend, als ihn alles eingeholt hat und er mal raus musste, ist er in den Botanischen Garten gegangen und hat die Blumen fotografiert. Ohne Blumen geht es einfach nicht, auch nicht in der Freizeit, im Urlaub oder zu Hause. Überall im Haus stehen Blumen rum. Seine Frau Ulrike kommt regelmäßig zu ihm in den Laden und nimmt sie mit nach Hause. Aber manchmal, ganz selten, macht Michael Graaf auch etwas, dass er sonst nicht mehr tut: Er bindet einen Strauß für sie.