Britischer Premierminister David Cameron will erreichen, dass die EU das Waffenembargo gegen die syrische Opposition aufgibt.
Brüssel. Die EU-Regierungen haben am Freitagmorgen ihre Gipfel-Beratungen mit einer Debatte über Syrien fortgesetzt. Der britische Premierminister David Cameron will dabei nach Angaben aus mehreren Delegationen erreichen, dass die EU ihre Waffenembargo gegen die syrische Opposition aufgibt. Dagegen gibt es aber Vorbehalte einiger EU-Staaten, darunter Deutschland.
Weiteres Thema der Beratungen soll auch sein, wie die EU ihre Kapazitäten im Verteidigungssektor besser bündeln kann. In der Nacht zu Freitag hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf einen Fahrplan zur engeren Zusammenarbeit bei der Wirtschafts- und Währungsunion geeinigt.
Ein Solidaritätsfonds für sparwillige Euro-Staaten, Reformverträge mit den Regierungen und weitere Schritte hin zur einer echten Bankenunion: All das gehört zum neuen Reformfahrplan für die Vertiefung der Währungsunion, beschlossen von den EU-Spitzen nach achtstündigen Verhandlungen am Freitag in Brüssel. Doch die konkreten Etappen bleiben vage, heikle Fragen wurden umschifft. Dass in zentralen Punkten weiter Uneinigkeit herrscht, vermochte auch die diplomatische Formulierungskunst nicht zu kaschieren.
So wollte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy eigentlich eine „fiskalische Kapazität“ mit erheblichen Reserven schaffen, um wirtschaftliche Schockeffekte in krisengeschüttelten Ländern zu dämpfen. Aus diesem Geldtopf wurde in der fünfseitigen Abschlusserklärung ein „Solidaritätsmechanismus“ mit anderem Tenor: Das Geld soll nun nicht mehr fließen, um ökonomische Einbrüche abzufedern, sondern sparwillige Regierungen für vertraglich vereinbarte – und auch wirklich umgesetzte – Reformen zu belohnen, mit denen sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Die deutsche Lesart des Abschnitts: Strukturreformen statt Konjunkturhilfen.
Bei dem Solidaritätsfonds gehe es „um ein sehr begrenztes Budget“ von etwa 10 bis 20 Milliarden Euro, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – und „nicht um Euro-Bonds!“ Über dessen genaues Volumen und die Finanzierung könne ohnehin erst nach Verabschiedung des EU-Haushalts für die Jahre 2014 bis 2020 entschieden werden. Als Einnahmequellen seien Abgaben der Mitgliedstaaten prinzipiell ebenso denkbar wie die Gewinne aus der geplanten Finanztransaktionssteuer.
Wie genau und ab wann das alles funktionieren soll, muss Van Rompuy den Staats- und Regierungschefs im Juni 2013 erst noch erklären. Gleiches gilt für die verlangte „Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ aller Mitgliedstaaten, auch hier werden im Sommer Antworten erwartet. Die Gedankenspiele des Ratspräsidenten zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme der Euro-Staaten schafften es erst gar nicht in den Fahrplan, zu groß war der Widerstand aus den Hauptstädten und insbesondere Berlin – siehe Merkel zu Euro-Bonds.
Auf Granit biss bei der Deutschen auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande: Er würde „Zukunftsinvestitionen“, also etwa Ausgaben für Forschung und Entwicklung, am liebsten nicht mehr in die Neuverschuldung eines Staats einrechnen und sich so unter die Defizitmarke von drei Prozent der Wirtschaftsleistung mogeln. „Der Stabilitätspakt lässt das zu“, trotzte Hollande – und handelte sich sogleich eine Abfuhr von Merkel ein: „Es ist in keiner Weise an irgendeine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumpakts gedacht worden“, stellte sie klar. „Da haben wir heute lang drüber geredet.“
Ein weiterer Punkt des Fahrplans: Nach der Einigung auf eine europäische Bankenaufsicht fassen die Staats- und Regierungschefs auch einen zentralen Mechanismus zur Abwicklung von maroden Geldhäusern ins Auge. Die Kommission habe im Laufe des kommenden Jahres ein Konzept dafür vorzulegen: Die Europäische Zentralbank als federführende Superaufsicht soll das Recht bekommen, jede beliebige Bank unter ihrer Kontrolle zu schließen, wenn sie unwirtschaftlich arbeitet. Dieser europäische Abwicklungsmechanismus dürfe allerdings „nicht auf Kosten des Steuerzahlers gehen“, verfügte Merkel.
Die Lösung dafür könnte laut Gipfelerklärung wie folgt aussehen: Grundsätzlich soll der Finanzsektor selbst das notwendige Geld für die Abwicklung nicht überlebensfähiger Banken bereitstellen. Falls die öffentlichen Geldgeber anfangs dazuschießen müssen, sollen sie sich ihre Auslagen mittelfristig durch Sonderabgaben von der Finanzindustrie wiederholen können. Geraten einzelne Kreditinstitute durch abenteuerliches Geschäftsgebaren in Schieflage, soll die Branche auch selbst dafür zahlen, lautet das Credo. Für die Bankenabwicklung und Einlagensicherung auf nationaler Ebene muss die Kommission ferner bis Juni entsprechende Richtlinien vorlegen.
Über mögliche Änderungen der europäischen Verträge sei auf dem Gipfel nicht gesprochen worden, erklärten Merkel und Hollande unisono. „Ich rechne auch nicht mit einem Konvent vor der Europawahl“, sagte die Kanzlerin. „Bis 2014 müssen wir das erreichen, was unter den jetzigen Verträgen möglich ist“, sekundierte der Franzose.
Angeblich nicht gesprochen wurde in der Runde auch über die Nachfolge von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Der luxemburgische Regierungschef hatte kürzlich angekündigt, sein Amt spätestens Ende Januar abgeben zu wollen. Diese Personalfrage lasse sich trotz der Verzögerung „immer noch rechtzeitig“ lösen, sagte Merkel. „Also Anfang des Jahres.“
Mit seinen vagen Absichtserklärungen hinterließ der Gipfel den Eindruck, dass der Reformeifer im Club der Staatenlenker kurz vor Weihnachten verpufft ist. Nicht mehr als „eine lockere Runde zur Zukunft der EU und Währungsunion“ hatte sich der finnische Regierungschef Jyrki Katainen von dem Spitzentreffen erhofft, nicht mehr nahm er am Ende mit nach Hause.
Hätten die Finanzminister nicht zuvor das ewige Streitthema Bankenaufsicht abgeräumt und die nächste Kredittranche für Athen freigegeben, von den Brüsseler Regierungsberatungen wäre kaum etwas übrig geblieben. Jean-Claude Juncker war das schon am Morgen klar: „Eigentlich wird der europäische Rat fast gerettet durch die 27 Finanzminister“, sagte er – schon Stunden bevor das Weihnachtsmärchen vom Reformfahrplan erzählt wurde.