Teil 1: Mangel und Überfluss. Eigentlich gibt es genug zu essen auf der Welt. Die Lebensmittel sind nur ungerecht verteilt. Die Hintergründe.

Hamburg. In Haiti backen Menschen ihr Brot aus Lehm, weil sie sich Getreide nicht leisten können. In Mexiko protestieren Menschen gegen steigende Maispreise. In Indien gehen die Armen für bezahlbaren Reis auf die Straße. Und selbst in Hamburg - einer der reichsten deutschen Städte - besorgen sich täglich mehr als 3000 Einwohner ihr Essen kostenlos bei Sozialstationen, weil sie nicht genügend Geld haben.

Überall auf der Welt erleben Menschen seit Monaten einen starken Anstieg der Lebensmittelpreise. Und eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht. Akut sind laut Weltbank 33 Länder von Hungersnöten, Unruhen und Aufständen betroffen oder bedroht. Naturgemäß trifft die Kostenexplosion am stärksten die Ärmsten der Armen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen - und damit etwa 980 Millionen Personen. Die Folge: Der Hunger in der Welt nimmt zu. Auch in den westlichen Industrieländern wird die Zahl der Hungernden auf rund neun Millionen geschätzt.

Weltweit sind nach Schätzung der Welternährungsorganisation (FAO) rund 850 Millionen Menschen permanent stark unterernährt. Das ist etwa jeder achte Mensch auf der Erde. Täglich sterben etwa 24 000 Menschen an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen - darunter 13 700 Kinder. Das Tragische daran: Diese verheerende Situation müsste eigentlich nicht sein. Denn tatsächlich fehlt es derzeit - noch - nicht an genügend Lebensmitteln für alle, sondern es mangelt an der richtigen Verteilung.

Nach dem Welternährungsbericht könnte die Landwirtschaft heute zwölf Milliarden Menschen normal ernähren - das heißt mit 2700 Kalorien pro Kopf täglich versorgen. Auf unserem Planeten leben aktuell jedoch nur etwa 6,7 Milliarden Menschen. "Es gibt also keine Notwendigkeit, dass auch nur ein Mensch wegen Hunger sein Leben lassen muss", kritisiert der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, und spitzt seinen Vorwurf zu: "Wenn ein Kind heute am Hunger stirbt - dann wird es ermordet."

Die Ursachen für Hunger sind vielschichtig. Sie sind politisch, ökonomisch oder sozial begründet. Fakt ist: Die meisten Hungernden leben laut Welthungerhilfe in Südasien (301 Millionen) und Schwarzafrika (204 Millionen). In Ländern südlich der Sahara gelten sogar ein Drittel der Menschen als chronisch unterernährt. Dazu tragen nicht nur immer wiederkehrende Dürren, jahrelange Kriege und korrupte Regierungen bei. Der Grund ist vor allem die weitverbreitete Armut, wodurch sich viele Menschen schlichtweg keine Nahrung kaufen können. Die Armut wiederum ist nicht selten auch eine Folge des Welthandels - und der hoch subventionierten Landwirtschaft in den Industrieländern. So landen viele europäische Produktionsüberschüsse zu Dumpingprisen auf den Märkten der Dritten Welt. Durch diese ausländische Konkurrenz haben die einheimischen Bauern keine Chance, ihre eigenen, teureren Erzeugnisse zu verkaufen. In der Folge erzielen sie keine Einkommen, verarmen und vernachlässigen die eigene Produktion. Hinzu kommen korrupte Regierungen, die nicht an einer gerechten Verteilung des Wohlstandes interessiert sind.

Ein Problem für alle Menschen in der globalisierten Welt sind heute die hohen Lebensmittelpreise. Laut UN sind die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Weizen allein seit März 2007 innerhalb eines Jahres im Schnitt um rund 57 Prozent gestiegen. Reis verteuerte sich sogar um 70 Prozent. Als Hauptursachen dafür werden die steigende Lebensmittelnachfrage aus den Wachstumsstaaten Indien und China genannt. In beiden Staaten wird heute zunehmend mehr Fleisch gegessen, das durch die notwendige Fütterung der Tiere zur Verknappung des Getreides beiträgt, was die Preise weiter nach oben schießen lässt.

Preistreiber ist aber auch die zunehmende Nachfrage nach Rohstoffen für Biosprit. "Für eine einzige Tankfüllung von 100 Liter Biotreibstoff wird etwa die Getreidemenge gebraucht, die einen Menschen ein Jahr lang ernähren könnte", kritisiert die Welthungerhilfe. Darüber hinaus treiben Spekulanten an den weltweiten Terminbörsen aus reinem Profitstreben die Preise für Grundnahrungsmittel unverantwortlich in die Höhe.

Die Lebensmittelkrise könnte weitere 100 Millionen Menschen unter die Armutsschwelle von einem US-Dollar pro Tag drücken, warnt die Weltbank. Diese Prognose alarmierte auch die Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erhob vor wenigen Wochen die weltweite Nahrungskrise zur Chefsache. "Wir müssen die Hungernden ernähren", forderte er. Das Problem sei eine "beispiellose Herausforderung" für die Weltgemeinschaft. Ban forderte alle Nationen auf, mehr Geld für den Kampf gegen den Hunger bereitzustellen. Auf dem jüngsten Welternährungsgipfel in Rom verpflichteten sich jetzt 183 Staaten, rund 6,5 Milliarden Dollar für den Kampf gegen Hunger und Armut aufzubringen.

Doch statt immer wiederkehrender Nothilfspakete schreit der Globus eigentlich nach einer dauerhaften Lösung des jahrzehntealten Problems. Ein Patentrezept gibt es nicht. Die Lösungen reichen von Forderungen nach einem Abbau der Agrarsubventionen in den Industrieländern, über Schuldenerlasse, höhere Entwicklungshilfeleistungen bis hin zu Fixpreisen für Rohstoffe.

Die Welthungerhilfe hält schnelle Hilfsprogramme in akuter Not zwar für richtig, aber dauerhaft nicht für ausreichend. "Wir brauchen endlich langfristige Investitionen in die Landwirtschaft", sagt Rafael Schneider von der Welthungerhilfe. Die gegenwärtige Lage gestiegener Preise sei sogar "eine Chance". Denn Landwirten werde dadurch auch signalisiert, dass sich ihre Arbeit durchaus lohnen könne. Grundsätzlich müsse die Produktion in ländlichen Gegenden wieder erhöht werden, so Schneider. In die Agrarforschung müsse mehr investiert werden, um die Produktivität zu steigern. Den Einsatz von Gentechnik hält die Welthungerhilfe unterdessen für zweifelhaft, da sie von armen Bauern nicht bezahlbar ist und neue Abhängigkeiten von Saatgutherstellern erzeuge. Zudem müssen die Handelsbedingungen fairer werden und Agrarsubventionen abgeschafft werden. Schließlich müsse in den betroffenen Ländern in Bildung und Gesundheit investiert werden, so Schneider: "Nur wer gesund ist, kann seine eigene Entwicklung in die Hand nehmen."