Abendblatt:

Die Lebensmittel haben sich weltweit drastisch verteuert. Ist eine Trendwende in Sicht?

Stefan Tangermann:

Wir erwarten, dass die Preise wieder zurückgehen und sich normalisieren. Allerdings werden sie nicht mehr auf das Niveau fallen, das wir aus der Vergangenheit kennen. Die OECD geht davon aus, dass die Preise je nach Produkt in den nächsten zehn Jahren im Durchschnitt um 10 bis 50 Prozent über dem Niveau liegen werden, das wir im Durchschnitt in der vergangenen Dekade erlebt haben.



Abendblatt:

Welches sind die Ursachen für das Preishoch?

Tangermann:

Die extremen Preisspitzen sind vor allem die Folge kurzfristiger Faktoren, wie schlechterer Ernten, zum Beispiel durch die große Trockenheit in Australien. Daraufhin sanken die Vorräte bei Getreide. Wenn Lagerbestände bei Rohstoffen wiederum eine gewisse Schwelle unterschreiten, geht immer eine Preisrallye los. Dann entsteht Panik an den weltweiten Märkten Produzenten legen Vorräte an, Spekulanten steigen in die Märkte ein, um Gewinne zu erzielen. Allerdings können Spekulanten eine Preisrallye nicht auslösen, aber sie können eine solche auf jeden Fall beschleunigen. Dies ist geschehen, sodass wir heute an den Agrarmärkten eine "Blase" erleben, die irgendwann platzen dürfte. Aber auch einige Regierungen haben panisch reagiert und Exporte unterbunden - natürlich mit der Wirkung, dass die Preise an den internationalen Märkten noch weiter angeheizt wurden. Darüber hinaus wirken längerfristige Faktoren, die die Preise auf Dauer höher halten werden - wie die gestiegenen Energiepreise, der schwächere Dollar sowie die von Politikern angetriebene wachsende Nachfrage nach Biosprit aus den reichen Ländern dieser Welt.



Abendblatt:

Sollte die politische Förderung der Biospriterzeugung gestoppt werden?

Tangermann:

Ja, auf alle Fälle. Die positiven Auswirkungen von Biosprit auf den Klimawandel sind deutlich geringer als erwartet. Die negativen Folgen durch die teureren Nahrungsmittel sind deutlich höher. Die Ertragssituation ist also nicht überzeugend. Zudem sollte das Recht auf Ernährung Vorrang vor dem Recht auf Mobilität genießen.



Abendblatt:

Gibt es weltweit zu wenig Lebensmittel, um alle Menschen zu ernähren?

Tangermann:

Nein. Wir haben keine Verfügbarkeitskrise, sondern eine Preiskrise. Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Doch die Armen in dieser Welt, die nicht genügend Kaufkraft haben, können sich jetzt noch weniger zu essen kaufen - und müssen noch mehr hungern. Wenn man den Armen genug Geld gibt, gibt es auch keinen Hunger.



Abendblatt:

Hunger ist also aus Ihrer Sicht ein Problem der Umverteilung?

Tangermann:

Richtig. Hunger ist eine wirtschaftliche Erscheinung. Sie wird verursacht durch zu niedrige Einkommen, durch Armut. Wo es Armut gibt, gibt es Hunger. Wo Menschen reich genug sind, gibt es keinen Hunger.



Abendblatt:

Was können Deutschland und Europa tun, um den Hunger zu bekämpfen?

Tangermann:

Kurzfristig ist humanitäre Hilfe notwendig, um gegen den akuten Hunger vorzugehen. Es sollte Geld, aber auf keinen Fall sollten Nahrungsmittel in die betroffenen Länder geschickt werden, weil dies die lokalen Märkte und Bauern belasten würde. Zudem sollte die Biospritpolitik gestoppt werden.



Abendblatt:

Armut ist ja ein jahrzehntealtes Problem. Was muss langfristig getan werden, um den Hunger zu beseitigen?

Tangermann:

Die Regierungen in den Entwicklungsländern müssen zuerst die Armut anpacken, anstatt ihre Volkswirtschaften zu modernisieren. Sie dürfen ihren Agrarsektor nicht weiter so vernachlässigen wie in den vergangenen 20 Jahren. Dadurch könnten Bauern mehr Geld verdienen und gleichzeitig stünden mehr Nahrungsmittel zur Verfügung. Und die Entwicklungshilfe der reichen Länder muss sie dabei unterstützen. Zudem ist es wichtig, die Agrarsubventionen der Industrienationen abzuschaffen und gleichzeitig großzügig den Agrarmarkt weltweit zu öffnen.



Abendblatt:

Ist der Einsatz von Gentechnologie sinnvoll?

Tangermann:

Es ist davon auszugehen, dass die Erträge der Weltlandwirtschaft durch den Einsatz moderner Techniken weiter steigen können. Auch dürfte es mehr stressresistente Pflanzen geben, die auch Dürrephasen überstehen. Dazu könnte auch Gentechnologie beitragen.



Abendblatt:

Ist Hunger auch in Europa wieder vorstellbar?

Tangermann:

Kaum. Erstens haben wir in Europa im Wesentlichen keine Armut. Dort wo sie existiert, gibt es soziale Sicherungsnetze, die dies ausgleichen. Europa kann seinen Nahrungsmittelbedarf selbst abdecken und zudem noch Lebensmittel exportieren. Zudem gibt es hier genügend Geld, um Lebensmittel zu importieren. Der Klimawandel könnte die Versorgung sogar noch verbessern. Steigende Temperaturen könnten die Ernteerträge in Nordeuropa verbessern. Dadurch wäre Europa künftig sogar noch besser versorgt als in der Vergangenheit.


Interview: Beate Kranz