Dem ESM soll es nach Ansicht von einigen Euro-Staaten offenbar erlaubt werden, ohne Limit Kredite bei der EZB aufzunehmen.
Berlin/Brüssel. Im Kampf gegen die Schuldenkrise gibt es unter den Euro-Staaten offenbar Bestrebungen, den künftigen Schutzschirm ESM mit unbegrenzten Mitteln auszustatten. Dazu soll es dem ESM erlaubt werden, ohne Limit Kredite bei der Europäischen Zentralbank (EZB) aufzunehmen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Dienstag ohne nähere Quellenangaben berichtet.
Nach dem Modell soll der ESM demnach Länder wie Spanien und Italien in Zukunft unterstützen, indem er in großem Stil Anleihen dieser Staaten kauft. Um zu verhindern, dass ihm trotz seines Ausleihvolumens von bis zu 700 Milliarden Euro irgendwann die Mittel ausgehen, dürfe der ESM die gekauften Anleihen bei der EZB als Sicherheiten hinterlegen. Im Gegenzug erhielte er frisches Geld, das er erneut zur Unterstützung wankender Euro-Staaten einsetzen könnte.
Zu den Befürwortern dieser Maßnahme zählen dem Bericht zufolge Staaten wie Frankreich und Italien sowie führende Mitglieder des EZB-Rates. Die Bundesregierung und die Bundesbank lehnen die Idee demnach hingegen bislang ab, weil sie die Inflation anheizen, die Unabhängigkeit der EZB gefährden und gegen die EU-Verträge verstoßen könnte.
+++ Schäuble berät sich mit US-Amtskollegen Geithner +++
+++ Juncker: Entscheiden "in den nächsten Tagen" +++
Der Ton in der Euro-Schuldenkrise wird unterdessen rauer. Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker warnte vor einem Zerfall der Euro-Zone und musste für Kritik an der deutschen Krisenpolitik heftige Schelte einstecken. Es sei an Unverfrorenheit nicht mehr zu überbieten, wenn Juncker Deutschland nun als Teil des Problems darstelle, sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am Montag in München. Luxemburgs Regierungschef müsse sich überlegen, ob er selbst Teil des Problems oder der Lösung sei, betonte Dobrindt. An den Finanzmärkten wird mit Spannung verfolgt, ob die Europäische Zentralbank (EZB) die von ihrem Chef Mario Draghi geschürten Erwartungen einhält und den Krisenländern wie Spanien und Italien mit dem Kauf von Staatsanleihen hilft. Italien konnte die Markthoffnungen bereits nutzen und sich langfristig deutlich günstiger Geld leihen.
Juncker hatte in einem Interview gemahnt, bei der Rettung des Euro dürfe keine Zeit mehr verloren werden. „Die Welt redet darüber, ob es die Euro-Zone in einigen Monaten noch gibt“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten.“ Juncker nährte damit Spekulationen, dass die EZB ihr Anleihenkaufprogramm wieder hochfahren könnte, um die teure Staatsfinanzierung der Krisenländer abzumildern. Draghi hatte dies am vorigen Donnerstag angedeutet. In der vergangenen Woche kaufte die EZB nach eigenen Angaben jedoch nichts. Deshalb warten die Märkte nun gebannt auf die Äußerungen Draghis nach der EZB-Zinssitzung am kommenden Donnerstag.
Juncker monierte, dass Deutschland sich den Luxus erlaube, „andauernd Innenpolitik in Sachen Euro-Frage“ zu machen. „Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale?„ CSU-Politiker Dobrindt stellte daraufhin den Verbleib des Luxemburgers im Amt als Euro-Gruppen-Chef infrage. Zudem bezeichnete Juncker einen Euro-Austritt des von der Pleite bedrohten Griechenland, wie er in CSU und FDP zuletzt gefordert wurde, als Geschwätz. „Das war grenzwertig“, kommentierte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer.
Juncker kündigte rasche Entscheidungen der Euro-Länder in den nächsten Tagen an. Dabei werde der Rettungsfonds EFSF zusammen mit der EZB handeln. „Wir stimmen uns eng mit der Notenbank ab, und wir werden (...) Resultate sehen.“ Der hessische Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) forderte die Bundesregierung auf, eine Klage gegen die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu prüfen. Denn die EZB solle sich vorrangig ihrem Mandat der Preisstabilität widmen, sagte das FDP-Präsidiumsmitglied der Zeitung „Die Welt“. In der FDP-Führung herrschte über Hahns Äußerungen Kopfschütteln. Eine Klage gegen die EZB sei völlig absurd, hieß es in Fraktionskreisen. Auch das Bundesfinanzministerium sieht keinen Grund zur Klage, da Sekundärmarktkäufe von Anleihen nach Auffassung des Ministeriums gemäß EU-Vertrag „nicht unzulässig„ seien.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beriet am Nachmittag an seinem Urlaubsort auf Sylt mit seinem US-Kollegen Timothy Geithner über die Schuldenkrise und deren Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Nach einem eineinhalbstündigen Vier-Augen-Gespräch äußerten sich beide in einer gemeinsamen Stellungnahme zuversichtlich über den Erfolg der Reformanstrengungen in den Euro-Ländern. Es sei notwendig, alle zur Bewältigung der Finanz- und Vertrauenskrise erforderlichen Reformen zu vereinbaren und umzusetzen. Im Anschluss an sein Gespräch mit Schäuble wurde Geithner in Frankfurt erwartet, wo er mit Draghi zusammenkommen sollte. Die USA haben wiederholt energischere Anstrengungen zur Überwindung der Schuldenkrise angemahnt.
Die Konjunktur in der Euro-Zone verliert derweil immer mehr Dampf. Das Wirtschaftsklima verschlechterte sich im Juli den vierten Monat in Folge. Das Barometer der EU-Kommission fiel um zwei auf 87,9 Punkte und damit stärker als von Experten erwartet. „Ein Ende der Rezession im Euro-Raum ist nicht in Sicht“, sagte Commerzbank-Analyst Christoph Weil. Das finanziell angeschlagene Spanien taumelt dabei immer tiefer in die Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte von April bis Juni um 0,4 Prozent zum Vorquartal, nach einem Minus von 0,3 Prozent zum Jahresanfang. Damit verliert die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone konjunkturell noch mehr an Boden und gilt weiter als nächster Kandidat für den Rettungsschirm.
Für Deutschland hält der Industrieverband BDI für 2012 nach wie vor ein Wirtschaftswachstum von rund einem Prozent für realistisch. „Die deutsche Wirtschaft hat sich in der ersten Jahreshälfte trotz des unruhigen Umfelds erstaunlich gut behauptet“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Dennoch zeigt der Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit, dass die Firmen zurückhaltender bei Neueinstellungen werden. (dapd/rtr)