Ökonomen warnen davor, Athen fallen zu lassen. Europa würde Schaden nehmen. Umschuldung und neues Wirtschaftskonzept sollen helfen.
Hamburg. Griechenland kann seine Neuverschuldung in diesem und im kommenden Jahr nicht so stark zurückfahren, wie das Land 2010 zugesagt hatte. Harte Sparauflagen und kurze Rückzahlungsfristen sind mit dem Kreditpaket der Euro-Länder verbunden, das insgesamt ein Volumen von 110 Milliarden Euro hat. Der Sparkurs der griechischen Regierung aber dämpft derzeit das Wirtschaftswachstum und schwächt die Zahlungsfähigkeit - Griechenland steckt in einem Teufelskreis. Möglicherweise müssen die Finanzminister der Euro-Länder, die sich am Montag treffen wollen, Griechenland für 2012 und 2013 weitere 30 bis 60 Milliarden Euro an Krediten gewähren.
Derzeit ist Griechenland mit 327 Milliarden Euro verschuldet, das sind fast 160 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung. Völlig unklar bleibt über die Schulendebatte hinaus bislang, wie Griechenlands Wirtschaft wieder an Stärke und Konkurrenzfähigkeit gewinnen kann. Das Abendblatt analysiert, warum der Streit um Kredithilfen allein viel zu kurz greift und warum das Land nur als Mitglied der Euro-Zone eine gute wirtschaftliche Perspektive hat.
Das Land braucht eine Umschuldung
In der Eurozone wächst die Nervosität, Griechenland könne für lange Zeit von Transferzahlungen abhängig werden. Genau dieses Risiko steigt mit dem wachsenden Druck auf Athen. Soziale Spannungen und Gewaltausbrüche nehmen zu. Jüngere, gut gebildete Menschen verlassen das Land. Investoren wenden sich ab. Der Aderlass erschwert die wirtschaftliche Genesung. "Die Regierung allein ist mit ihren Mitteln chancenlos bei dem Versuch, gegen die enormen Staatsschulden anzukommen", sagt der Finanzökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. "Umschuldung, ein Teilverzicht der Gläubiger und längere Rückzahlungsfristen sind unumgänglich."
Ein Austritt aus dem Euro wäre fatal
Die Wiedereinführung der Landeswährung Drachme und deren Abwertung zum Euro brächte Griechenland mehr Spielraum, die eigene Wirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu machen, argumentieren manche Ökonomen und Politiker. Dagegen stünden aber massive Gegeneffekte wie höhere Importkosten, Kapitalflucht und eine allgemeine Vertrauenskrise gegenüber dem Land. "Die Effekte des Niedergangs wären ähnlich wie zur Endzeit der DDR", glaubt Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).
Athen hat viele Chancen versäumt
Entwicklungsmittel der Europäischen Union standen Griechenland seit seinem Beitritt zur Gemeinschaft 1981 stets zur Verfügung. Vor allem politisches Missmanagement führte das Land in die Krise: "Griechenland hat etliche Chancen nicht genutzt, Mittel fehlgeleitet oder gar nicht erst nicht abgerufen, die ihm aus der EU hätten zufließen können", sagt Straubhaar. Dies müsse nun nachgeholt werden.
Griechenlands Stärken sind vielfältig
Tourismus zu den Wurzeln Europas, Topklima für die Landwirtschaft, eine der größten Handelsflotten der Welt, Bodenschätze wie Erdöl, eine strategisch günstige Lage im Mittelmeerraum, enge Verbindung zu den Staaten Nordafrikas, die im Aufbruch sind - Griechenland hat viele Stärken. "Vor den Reformen der Agenda 2010 galt Deutschland als kranker Mann Europas", sagt Heinemann. "Heute steht unsere Wirtschaft wieder glänzend da." Innerhalb weniger Jahre könne auch Griechenland viel erreichen.
Entwicklung ist der Auftrag der EU
Die Europäische Gemeinschaft und später die Europäische Union hatten immer das Ziel, speziell Südeuropa an die wirtschaftlich stärkeren Staaten in der Mitte und im Norden heranzuführen. Dieses integrale Ziel dürfe die Gemeinschaft nicht aufs Spiel setzen, meint Straubhaar: "Europa muss Griechenland helfen, in seine Köpfe und in seine Infrastruktur zu investieren und den Zugang zum Kapitalmarkt wiederzuerlangen." Ein grundlegender Neuaufbau könne 10 bis 20 Jahre dauern.
Das Land darf nicht isoliert werden
Die EU hat Europa mit langfristiger Entwicklungsarbeit zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt gemacht. Diese Stärke ist in der globalisierten Welt nur mit Gemeinschaft zu erhalten. Drängte man Griechenland politisch aus dem Euro heraus, könnte das Land auf lange Sicht isoliert werden.
Ein Rückschlag droht der EU insgesamt
Griechenland und auch Portugal werfen die Frage auf, ob die EU ihre Integration fortsetzen sollte - oder ob nationalstaatliche Egoismen wieder in den Vordergrund rücken, wie es sich in Ländern wie Dänemark bereits zeigt. Ein Abschied Griechenlands vom Euro würde vermutlich auf lange Zeit den Impuls und die Chance zerstören, die Mitgliedstaaten wirtschaftlich enger gemeinsam zu entwickeln. Eine zentrale Perspektive der EU wäre dahin.