Es war der größte Kurseinbruch in der Geschichte der New Yorker Börse. War es Griechenland-Panik oder nur ein Computerfehler?
New York. Den Wert eines kühlen Feierabendbiers wird nach der Aufregung des gestrigen Tages wohl kein Händler an der Wall Street abgestritten haben. Und doch waren sie für einen Moment am Donnerstagnachmittag (US-Zeit) genau dieser Meinung.
Die Aktie der Boston Beer Company, die unter anderem das beliebte Samuel Adams Bier herstellt, startete morgens mit einem Kurs von 59,44 Dollar und sackte wenige Stunden später auf nur einen Cent ab. Ganz richtig: ein Cent. Die Aktie war das Papier nicht mehr wert, auf der sie stand. Als die Börse am Abend schloss, hatte sich die Boston Beer Company wieder bei 55, 82 Dollar gefangen.
Was genau die Kurse an der Wall Street beeinflusst, lässt sich an einem normalen Handelstag schon schwer erklären. Aber gestern spielten wohl alle ein bisschen verrückt. Innerhalb von Minuten stürzte der Dow-Jones-Index, der die wichtigsten US-Werte bündelt, um 998,5 Punkte ab und damit zwischenzeitlich unter die psychologisch wichtige Marke von 10.000 Punkten.
Fast ebenso schnell erholte er sich allerdings wieder und schloss bei rund 10520 Zählern. Das entspricht einem Minus von mehr als 350 Punkten, also rund 3,2 Prozent. Auch der breiter gefasste S&P-500-Index und die Technologiebörse Nasdaq beendeten den Tag mit einem Minus von rund drei Prozent.
Die Charts der Indizes sahen nach diesem Tag aus wie eine sehr, sehr lange Pinocchio Nase. Und das waren sie wohl auch. Der in Punkten gemessen größte Kurssturz in der Geschichte der Wall Street, der Firmen wie Accenture und Exelon für kurze Zeit wertlos machte, hing nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Unternehmen zusammen, sondern mit der Panik an den Märkten.
Gründe dafür gibt es genug. Wegen des drohenden Staatsbankrotts Griechenlands sind die Teilnehmer ohnehin schon nervös. Und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, hatte nach der Zinssitzung gestern wenig dafür getan, um diese Unruhe zu vertreiben.
Dazu kommt die Sorge, dass andere europäische Länder wie Spanien und Portugal ebenfalls in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnten. Als dann Bilder von erneuten Zusammenstößen demonstrierender Griechen mit der Polizei über die Fernsehbildschirme flimmerten, sackten die Kurse an der Wall Street pfeilgerade nach unten. Selbst Industriegiganten wie der Konsumgüterhersteller Procter&Gamble verloren zwischenzeitlich 37 Prozent ihres Börsenwerts. Der Euro fiel mit auf 1,26 USD auf den niedrigsten Stand seit März vergangenen Jahres.
Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Möglicherweise war auch ein Händler der Citibank beziehungsweise sein Computer Schuld. So berichtete der Fernsehsender CNBC, dass sich der Händler bei der Eingabe des Betrages für eine Transaktion vertippt haben soll. Aus einem “m” für Million könnte so ein “b” für Billion, dem englischen Begriff für Milliarde geworden sein.
Wenn solch hohe Summen am Markt bewegt werden, reagieren die anderen computergesteuerten Handelssysteme automatisch und stoßen ebenfalls Papiere ab, um noch größere Verluste zu vermeiden. Tatsächlich verstärken sie auf diese Weise aber den Herdeneffekt und lösen eine weitere Verkaufswelle aus.
Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat sich der Angelegenheit bereits angenommen und versucht, die genauen Ursachen zu klären. US-Finanzminister Timothy Geithner soll seinen Augen nicht getraut haben, als er die Nachricht auf dem Blackberry las.
Er wird, wenn an Amerikas Ostküste die Sonne aufgeht, mit den Finanzministern und Notenbankchefs der sieben wichtigsten Industrieländer (G7) zu einer Telefonkonferenz zusammenkommen.
Als die Händler abends auf die Wall Street hinaustraten, beschrieben sie ihre Erlebnisse als “Wahnsinn”, “Chaos” oder einfach nur als “verrückt.“ Andere wie der ehemalige Hedgefondsmanager Jim Cramer sahen sofort die Chance, die sich an diesem Tag bot. Cramer war gerade Gast beim Fernsehsender CNBC als die Börse kollabierte. Er sagte nur: „Kaufen, kaufen, kaufen.“