Wie die US-Börse innerhalb von Minuten um 1000 Punkte in die Tiefe rasen konnte. In Deutschland wäre es dazu nicht gekommen, so Experten.
Hamburg. Selbst altgediente Börsianer haben so etwas noch nicht erlebt, vielen von ihnen stand die Bestürzung ins Gesicht geschrieben: Innerhalb von weniger als einer Stunde rauschte das wichtigste Finanzmarktbarometer der Welt, der Dow-Jones-Index des New Yorker Aktienmarktes, am späten Donnerstagabend (Mitteleuropäischer Sommerzeit) um 1000 Punkte in die Tiefe. Mehr als 1000 Milliarden Dollar (790 Milliarden Euro) waren in diesem Moment verloren gegangen.
Nie zuvor in der Geschichte des "Dow" hat er an einem einzigen Handelstag so viele Punkte verloren. Um bis zu neun Prozent auf 9869 Zähler brach er vorübergehend ein, so stark wie zuletzt während des Aktiencrashs im Oktober 1987, ehe er sich ebenso rasch wieder erholte und um gut drei Prozent im Minus schloss. Am Freitag setzte sich der Abwärtstrend zunächst fort.
Procter & Gamble war plötzlich 60 Milliarden Dollar weniger wert
Bei der Suche nach den Ursachen für den dramatischen Absturz vom Donnerstag wurde schnell klar, dass wenige einzelne Titel, insbesondere die Papiere von Procter & Gamble, den Index nach unten rissen. Die Aktie des weltweit größten Konsumgüterherstellers - immerhin der zehntgrößte unter den 30 Werten im Dow-Jones-Index, sackte innerhalb weniger Minuten um rund ein Drittel, der Marktwert des Konzerns sank damit kurzzeitig um rund 60 Milliarden Dollar.
Anteilsscheine des Beratungsunternehmens Accenture verbilligten sich blitzartig von 41,78 Dollar auf nur noch 0,01 Dollar, um dann auf mehr als 41 Dollar zurückzuschnellen.
War ein "dicker Finger" eines Aktienhändlers schuld an dem Spuk?
Eine schlüssige Erklärung für den Spuk war auch am Freitag noch nicht gefunden. An der Wall Street verbreitete sich das Gerücht, ein sogenannter "fat finger trade", also der Tippfehler eines Händlers, habe die panikartigen Verkäufe ausgelöst. Ein Mitarbeiter der Citigroup habe versehentlich 16 Milliarden anstatt 16 Millionen Procter & Gamble-Aktien verkauft. Er soll ein "b"- die Abkürzung von Billion, englisch für Milliarde - in den Computer eingetippt haben anstelle des "m" für Million. Die Citigroup erklärte dazu, sie habe keine Hinweise auf einen solchen Fehler, man untersuche die Angelegenheit aber.
Fest steht jedoch, dass Computer für den minutenschnellen Ausverkauf eine entscheidende Rolle spielten. Denn nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen agieren am Aktienmarkt für die Großanleger: Werden bestimmte einprogrammierte Kurse unterschritten, verkaufen die Computersysteme Teile der Aktienbestände. Dadurch sinken die Kurse weiter, sodass in der Folge auch bei anderen Investoren programmgesteuerte Verkäufe ausgelöst werden.
Was geschehen kann, wenn die Computer zu handeln beginnen
"Das ist wie eine Lawine, die mit einem Schneeball ihren Anfang nimmt", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. "Der programmgesteuerte Handel, der trendverstärkend wirkt, breitet sich immer weiter aus ", erklärt Franz Christian Kalischer, Vorstand des Maklerunternehmens mwb Fairtrade in Hamburg. Experten zufolge werden an manchen Tagen schon mehr als drei Viertel der Aktiengeschäfte von Rechnern abgewickelt. Der US-Senator Edward Kaufman forderte am Freitag eine Regulierung des sogenannten Algo-Trading, bei dem Hochleistungscomputer auf Basis komplizierter Rechenmodelle innerhalb von Millisekunden Tausende Kauf- oder Verkaufsorders platzieren.
Fachleute wie Kalischer haben für Vorgänge wie den jüngsten Wall-Street-Schock wenig Verständnis: "Solche Ereignisse schaden dem Wertpapiermarkt insgesamt, weil sie Vertrauen zerstören. Ich halte das für eine Schwäche eines Börsensystems."
In Deutschland könnten derart starke Kursausschläge aufgrund möglicherweise fehlerhafter Handelsaufträge allerdings nicht vorkommen, ist sich Kalischer sicher. Frank Herkenhoff, Sprecher der Deutschen Börse in Frankfurt, bestätigt dies: "Irrtümliche Orders kommen vor, aber nie in diesem Ausmaß - und sie werden sofort rückabgewickelt."
Die richtige Geldanlage in Zeiten der Euro-Krise
In Deutschland gibt es "Leitplanken" für die Aktienkurse
Eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen verhindere unbeabsichtigte Kursausreißer, so Herkenhoff. Unter anderem würden für jede Aktie aufgrund statistisch ermittelter Schwankungsbreiten bestimmte Preisspannen festgelegt. "Wenn der Preis über diese Leitplanken hinausgeht, wird das Papier automatisch für etwa 30 Sekunden vom Handel ausgesetzt." Innerhalb dieser Zeit hätten die Händler die Gelegenheit, ihre Orders zu überprüfen.
Tatsächlich gewollte Kursbewegungen, selbst wenn sie extreme Dimensionen annehmen, werden dadurch aber nicht unmöglich: Am 28. Oktober 2008, als die Volkswagen-Stammaktie innerhalb von Stunden ihren Kurs auf mehr als 1000 Euro praktisch verdoppelte, habe es 46 dieser Handelsunterbrechungen gegeben.
Zu dem Absturz der US-Börse habe aber die ohnehin große Nervosität am Markt wegen der Schuldenkrise erheblich beigetragen, sagt Intelmann: "Jetzt geht die Angst um, nach Griechenland könnten weitere Länder unter Druck kommen."
Der Frankfurter Börsenhändler Dirk Müller, der als "Dirk of the DAX" in den Medien bekannt wurde, sieht in dem blitzartigen Rücksetzer gar den Beginn des großen Ausverkaufs am Aktienmarkt, vor dem er bereits seit vielen Monaten warnt.