Einige Experten fordern schon länger härtere Auflagen für den computergesteuerten Handel und sehen sich jetzt in ihrer Einschätzung bestätigt.

New York. Jetzt haben selbst Börsianer die Schnauze voll: Nach dem nie gesehenen Kursexzess an der Wall Street am Donnerstagabend rufen selbst hartgesottene Aktienhändler nach der sonst so oft verschmähten ordnenden Hand des Staates. „Dieser Irrsinn schreit nach Regulierung“, sagt Klaus Stabel von der Wertpapierhandelsbank ICF. Experten wie der Bankenprofessor Hans-Peter Burghof fordern schon länger härtere Auflagen für den computergesteuerten Handel und sehen sich jetzt in ihrer Einschätzung bestätigt. „Wir müssen Regeln finden, wie wir mit der zunehmenden Abhängigkeit vom computergesteuerten Handel umgehen,“ sagt er.

US-Politiker stießen in das gleiche Horn und forderten umgehende engere Schranken für den zuletzt immer größer und schneller automatisierten Börsenhandel durch Computer. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und die Regierung wollen sich die unfassbaren Kursbewegungen genau anschauen. Am Donnerstagabend brach der amerikanische Aktienmarkt innerhalb weniger Minuten ohne ersichtlichen Grund um fast neun Prozent ein. Besonders deutlich wird der „Börsen-Wahnsinn“ anhand der Entwicklung des Schwergewichts Procter & Gamble (P&G). Der Marktwert des zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zählenden Konzerns rauschte innerhalb weniger Minuten um mehr als ein Drittel oder mehr als 60 Milliarden Dollar (rund 47 Mrd Euro) ohne fundamentalen Grund nach unten. Das ist in etwa so viel wie der deutsche Energieriese Eon an der Börse überhaupt kostet. „Es ist unvorstellbar, dass so etwas überhaupt möglich ist“, sagt Stabel.

Schuld war offenbar ein fatale Kettenreaktion von computergesteuerten Handelssystemen, die nach bestimmten Regeln selbst handeln. Alle von den Börsenbetreibern eingebauten Schutzdämme wurden binnen Sekunden fortgespült. Heiko Veit, Experte von Metzler Investment, sieht den Ruf des gesamten Börsenbetriebs in Gefahr. „Die Vorgänge an der Wall Street könnten die Diskussion um den Aktienmarkt als Spielcasino wieder aufleben lassen.“ Der drastische Kurssturz innerhalb weniger Minuten zeige, wie „nervös und verletzlich“ der Aktienmarkt ist.

Die richtige Geldanlage in Zeiten der Euro-Krise

In Deutschland wurde sofort an den Oktober 2008 erinnert. Damals schoss die VW-Aktie wegen hochspekulativer Finanzwetten des Großaktionärs Porsche um fast 500 Euro auf mehr als 1000 Euro hoch. Der Autohersteller wurde so zumindest für ein paar Stunden zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Schon damals konnten selbst Profis dies nicht mehr nachvollziehen und riefen nach der ordnenden Hand des Staates. Passiert ist wenig bis gar nichts. Doch während bei dem VW-Kurssprung Porsche als Übeltäter galt, der mit komplizierten Finanzinstrumenten die Mehrheit am größten europäischen Autoherstellers erobern wollte, gab es für den jüngsten Kursrutsch von Standardwerten wie Procter & Gamble oder 3M keinen fundamentalen Grund – schuld war vielmehr der zuletzt immer intensiver gewordene Handel durch Computer. „Das war wie eine Apokalypse für den computergesteuerten Handel“, sagt Stefan de Schutter vom Wertpapierhandelshaus Alpha.

Das Marktversagen vom Donnerstag könnte das Fass bei den Regulierern zum Überlaufen gebracht haben. „Es kann nicht sein, dass ein angeblich intelligentes Handels-System – wo auch immer es zum Einsatz kommt – einen so klar erkennbaren fehlerhaften Handel zulässt“, sagt Stabel. „Offenbar ist hier systembedingt jegliche Plausibilitätsprüfung unterblieben.“ Das System ist nach Einschätzung der Experten kaum mehr zu kontrollieren, zumal zahlreiche Investmentbanken ihren Handel immer mehr über außerbörsliche Plattformen abwickeln. Die systematischen Fehler wurden offensichtlich dadurch verstärkt, dass die Nervosität am Markt wegen der sich ausweitenden Schuldenkrise in der Eurozone besonders hoch ist. Die Krise ist nach Einschätzung längst über den Atlantik geschwappt und könnte bald die Erholung der gesamten Weltwirtschaft in Gefahr bringen.

Um die ohnehin angeschlagenen Märkte nicht noch stärker zu schwächen und wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die gesamte Weltwirtschaft an den Rand des Absturzes zu bringen, sind jetzt alle Beteiligten gefordert. Banken-Professor Burghof sieht die Börsenbetreiber wie die NYSE, Nasdaq oder die Deutsche Börse genauso in der Pflicht wie die Banken und Aufsicht. Ein generelles Verbot hält er allerdings weder für sinnvoll noch für durchsetzbar. Die Computersysteme machen die Märkte effizienter. „Das Rad kann hier nicht ganz zurückgedreht werden.“ Aber daran, dass sich der gesunde Menschenverstand wieder einen Teil des an die Computer abgegebenen Terrains zurückerobern muss, zweifelt kaum einer mehr. # dpa-Notizblock Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt