Straßenkämpfe, Tränengaswolken, Flammeninferno: Drei Menschen sind in einer Bank im Zentrum Athens bei lebendigem Leibe verbrannt. Vermummte Randalierer hatten das Gebäude mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt.
ATHEN. Zwei Frauen und ein Mann versuchten, sich vor dem Inferno auf einen Balkon zu retten. Dabei brachen sie im raucherfüllten Treppenhaus zwischen drittem und viertem Geschoss ohnmächtig zusammen und wurden von den Flammen erfasst. „Sie sind bei lebendigem Leibe verbrannt“, sagte ein Feuerwehrmann im Radio. Die ums Leben gekommene Bankangestellte war nach Angaben von Kollegen schwanger. Die Feuerwehr konnte den Brandort nicht rechtzeitig erreichen, weil Autonome sie mit Steinen „bombardierten“.
Damit erreichten die Proteste gegen das griechische Sparprogramm, das am Donnerstag vom Parlament verabschiedet werden soll, einen neuen dramatischen Höhepunkt. Zu den Ausschreitungen kam es nach einer zunächst friedlichen Großdemonstration, bei der mehr als 100000 Menschen gegen das Schockprogramm der Regierung protestiert hatten.
Schon vor Beginn der Großdemonstration machten Vorwarnungen die Runde. „Hier am Ende der Demo stinkt es nach Benzin. Die Autonomen werden alles kaputtmachen, das geht nicht gut“, sagte ein griechischer Journalist, der an der Demonstration teilnahm, der Nachrichtenagentur dpa.
Autonome versuchten zunächst, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Es kam zu Straßenschlachten. Diese weiteten sich schnell im gesamten Stadtzentrum aus. Überall waren Explosionen zu hören, Tränengasgranaten zischten durch die Luft, Brandflaschen flogen aus allen Himmelsrichtungen. Im Zentrum Athens flirrte die Luft, die Menschen rangen nach Atem.
Mit heulenden Sirenen rasten Krankenwagen durch das Stadtzentrum. Unbekannte legten an einem Gebäude der Finanzbehörde Feuer. Ein kleiner Park im Zentrum brannte lichterloh. Dicke Rauchwolken stiegen auf, sie waren noch aus großer Entfernung zu sehen.
Die Bereitschaftspolizei zog starke Einheiten zusammen. Ausnahmezustand auch für die Feuerwehr: Stunden nach dem Gewaltausbruch löschte sie am Nachmittag noch letzte Brände. Auch ein TV-Übertragungswagen und ein Feuerwehrauto standen in Flammen. Dutzende Geschäfte wurden demoliert.
Als die Nachricht vom Tod dreier Unschuldiger die Runde machte, erstarrte das Leben im Zentrum Athens. Auf einmal herrschte gespenstische Ruhe. Viele fragten sich, wird es der Regierung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou gelingen, das Land nach dieser Tragödie wieder auf Kurs zu bringen.
Mit dem Generalstreik gehe der Kampf gegen die harten und unfairen Maßnahmen der Regierung weiter, die vor allem Arbeiter, Rentner und Arbeitslose träfen, sagte der Chef der Gewerkschaft GSEE, Yannios Panagopoulos, der Nachrichtenagentur Reuters. Die von den Sozialisten geführte Regierung hat ihr Sparprogramm auf Druck von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) verschärft und sich zu weiteren Sparmaßnahmen von 30 Milliarden Euro bis 2013 verpflichtet. Im Gegenzug erhält sie Hilfen von 110 Milliarden Euro. Dazu will die Regierung die Steuern erneut erhöhen und die Gehälter von Staatsbediensteten sowie die Renten kürzen. Das Parlament will das Paket am Donnerstag beschließen.
Merkel: Es geht um die Zukunft Europas
Deutschland stellt dem Mittelmeerstaat in den kommenden drei Jahren Kredite bis zu 22,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Bundestag und Bundesrat stimmen am Freitag über das entsprechende Gesetz ab. In ihrer Regierungserklärung warb Merkel im Bundestag eindringlich für das Paket. „Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und Zukunft Deutschlands in Europa.“ Um Schaden abzuwenden und die Stabilität des Euro sei nun neben dem Hilfspaket ein Weg der „Offenheit, Klarheit und Schonungslosigkeit“ nötig. Bei der EU werde sie sich umso mehr für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und eine drastische Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes einsetzen, kündigte die Kanzlerin an.
Am Freitagabend treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel, um die Griechenland-Hilfen endgültig abzusegnen. Neue Daten der EU-Kommission zeigen, dass die Verschuldung aller Euro-Staaten weiter zugenommen hat. Der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Kommissar Olli Rehn forderte von den Regierung deshalb mehr Anstrengungen, um die Haushalte zu konsolidieren. Gerüchte über einen Ruf Spaniens nach Finanzhilfe wies Rehn zurück, warnte aber: „Griechenland könnte negative Auswirkungen haben auf andere Länder. Deshalb ist es wichtig, das Buschfeuer auszutreten, ehe es ein Waldbrand wird.“
Euro auf dem tiefsten Stand seit April 2009
Nach Einschätzung Rehns wird Griechenland mit 110 Milliarden auskommen. Die Summe werde den Finanzbedarf vorerst abdecken. In den ersten beiden Jahren müsse das hoch verschuldete Euro-Land zumindest nicht auf eine Finanzierung vom Kapitalmarkt zurückgreifen. Aber auch nach 2010 stehe die Euro-Zone zur Unterstützung bereit. „Ich bin zuversichtlich, wir werden erfolgreich sein und das Blatt in Griechenland wenden.“
Die anhaltende Unsicherheit über die Schuldenkrise in Europa lastet dennoch weiter auf den Finanzmärkten. Der Dax pendelte sich am Nachmittag unter der Marke von 6000 Punkten ein und verlor 0,4 Prozent auf 5985 Punkte. Der Euro fiel deutlich und hielt sich nur knapp über 1,28 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit März 2009. In Athen stürzte den Bankentitel um fünf Prozent ab.
Unterdessen nahmen auch Sorgen über eine Ausweitung der Schuldenkrise auf Portugal zu. Das Land musste am Mittwoch viermal so hohe Zinsen für Geldmarktpapiere zahlen wie noch vor wenigen Wochen. Die Ratingagentur Moody's kündigte an, die Bewertung Portugals auf eine mögliche Herabstufung zu überprüfen. An der portugiesischen Börse fiel der Leitindex PSI 20 um 1,8 Prozent.