Vergewaltigungen, extreme Brutalität und Demütigung: Ein Skandal um möglichen Missbrauch in einem Wiener Kinderheim schockiert Österreich.
Wien. Ihr Schloss solle für die Kinder ein Ersatz-Zuhause sein, erzählt die damalige Leiterin des städtischen Wiener Kinderheims Schloss Wilhelminenberg lächelnd in einer Archivaufnahme des ORF aus den 1970er Jahren. Was ehemalige Zöglinge, die nach Jahrzehnten ihr Schweigen brechen, nun erzählen, sind Berichte aus der Hölle: Über Jahrzehnte soll es hinter der schmucken Fassade im Neo-Empire-Stil zu Massenvergewaltigungen von Kindern im Grundschulalter, systematischen Demütigungen und extremer Gewalt gekommen sein.
Dabei seien auch Kinder zu Tode gekommen, berichtet nun zusätzlich eine Zeugin. Sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie eine Lehrerin ein Mädchen zu Tode getreten habe, zitiert die Zeitung „Kurier“ die Frau. Von weiteren Todesfällen habe sie gehört. Die Wiener Staatsanwaltschaft war für eine Stellungnahme am Dienstag nicht erreichbar, soll Ermittlungen zu dem Fall nach Berichten aber eingestellt haben. Ehemalige Erzieherinnen weisen Vorwürfe zurück.
„Wir haben immer gebetet, dass man uns erlöst und befreit und keiner war für uns da“, erzählt eine Frau Ende 40 im ORF-Interview. Sie und ihre Schwester waren in den 1970er Jahren in dem Heim und hatten den Skandal am vergangenen Wochenende aufgebracht, als sie sich mit einem Anwalt an die Medien wandten.
+++ Weniger Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch +++
Die Berichte der Schwestern schockieren: Physische und psychische Brutalität gehörte in Wilhelminenberg zum Alltag, die dort untergebrachten Sonderschüler wurden geschlagen und mussten Erbrochenes essen: „Als Begrüßung haben sie zu uns Kindern gesagt, dass sie uns bespucken und auf uns hinschlagen, weil wir nichts wert sind auf dieser Welt.“ Für das Personal - teilweise ohne Ausbildung - sind die Mädchen Freiwild.
„Das hat ihnen dann alles nicht genügt, was sie mit uns gemacht haben, vom Schimpfen und Demütigen - sie haben uns auch noch an Männer verkauft“, berichtet eine der Schwestern unter Tränen. Regelmäßig seien nachts Gruppen von Männern in die Schlafsäle gekommen und brutal über die Mädchen hergefallen: „Die ... mir alles von meinem jungen Leben genommen haben, ohne Rücksicht, ob ich das will oder nicht.“ Darunter seien im Heim arbeitende Männer wie Unbekannte gewesen. Die Erzieherinnen sollen die Kinder sogar mit Reizwäsche für die Überfälle zurechtgemacht haben.
In den österreichischen Medien tauchen nun immer mehr ehemalige Heimkinder auf, die die Berichte der Schwestern teils oder ganz bestätigen. „Bei uns laufen die Telefone heiß, es melden sich fortwährend Opfer vom Wilhelminenberg“, sagt die Sprecherin der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Erika Bettsein.
Auch Historiker und Experten der Stadt Wien halten die Vorwürfe für plausibel, selbst wenn Einzelschicksale noch überprüft werden müssten. Gewalt und Missbrauch seien gleich für mehrere Heime der Stadt Wien belegbar. „System hat gehabt, dass in totalitären Institutionen Strukturen entwickelt worden sind, die faschistoid waren. System hat gehabt, dass Leute dort beschäftigt waren, die teilweise Verbrechen gemacht haben“, sagt die Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien, Monika Pinterits über das Schloss für Heimkinder, das Ende der 1970er Jahre geschlossen wurde.
Heute ist der schicke Bau auf einem Hügel über Wien ein Hotel und ein beliebter Ort für Romantik-Hochzeiten.