Die Bergungsarbeiten bleiben wegen Schieflage des Schiffes unterbrochen. Kapitän Schettino zum Drogentest, 52-Jährigem drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Rom. Die Suche nach den vermissten Passagieren des vor der toskanischen Insel Giglio havarierten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia“ bleibt aus Sicherheitsgründen vorerst unterbrochen. Das Wrack war am Mittwoch weiter abgesunken und drohte in die Tiefe zu rutschen. Italiens Umweltminister Corrado Clini befürchtet, dass eine Sturmflut das Schiff, das eine Schieflage von 80 Grad hat, untergehen lassen könnte. Es gebe in der Nähe des Schiffes im Meer einen Abhang, der bis zur Tiefe von 50 bis 90 Metern führe, sagte Clini am Mittwoch im Parlament.
Nach italienischen Angaben vom Mittwochabend wurden noch 21 Menschen vermisst. Eine als vermisst geltende Deutsche hat sich nach Angaben des Zivilschutzes der Provinz Grosseto vom Mittwoch inzwischen gemeldet. Seit der Katastrophe am Freitagabend wurden elf Menschen tot geborgen. Einer von ihnen ist Deutscher.
Über die Zahl der Vermissten gibt es widersprüchliche Angaben. Italienische Behörden sprechen von 28 Menschen, unter ihnen 13 Deutsche. Andere Quellen gehen von 24 Verschollenen aus. Die Taucher riskierten auch am Mittwoch ihr Leben, um nach ihnen zu suchen.
Unterdessen hat Kapitän Francesco Schettino mit neuen Erklärungen für Aufsehen gesorgt. Der 52-Jährige will unabsichtlich in ein Rettungsboot gefallen sein und habe deshalb nicht die Rettung der mehr als 4000 Passagiere von Bord aus koordinieren können.
Die Technik sei schuld gewesen. "Ich wollte nicht abhauen, sondern habe Passagieren geholfen, ein Rettungsboot ins Wasser zu lassen", sagte er vor einer Untersuchungsrichterin. Als der Absenkmechanismus blockierte und unerwartet wieder ansprang, "bin ich gestrauchelt und lag plötzlich zusammen mit den Passagieren im Boot". Daraufhin habe er nicht mehr aufs Schiff zurückkehren können, weil sich dieses zu sehr in Schräglage befunden habe. Ob diese Version stimmt, darf bezweifelt werden. Der Zweite Offizier Dimitri Christidis und der Dritte Offizier Silvia Coronica sollen dazu befragt werden.
+++ Info: Meuterei ist ein Straftatbestand +++
In Italien wird die Frage diskutiert, ob der Süditaliener Schettino, der von seinem früheren Vorgesetzten Mario Polombo als Draufgänger bezeichnet wird, in der Unglücksnacht unter Schock stand oder gar ein Feigling ist. Der Erste Mann an Bord, von dem sein Offizier Martino Pellegrino sagt, "er würde selbst einen Bus wie einen Ferrari fahren", hat mittlerweile eingestanden, das verhängnisvolle Manöver vor der Insel Giglio selbst angeordnet zu haben. Der Kapitän hatte die "Costa Concordia" zur Unterhaltung der Inselbewohner zu nah an die Küste gesteuert. Dieses verbotene Ritual wird auch "Verbeugung" genannt. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Schettino dieses Manöver dem Ex-Chef Polombo widmen wollte. Dieser sei aber nicht auf der Insel gewesen. Nach einem Telefonat mit Polombo habe Schettino zu spät abgedreht.
Schettino: "Opfer meiner Gedanken geworden"
"Ich bin zum Opfer meiner Gedanken geworden", sagte der Kapitän. "Irgendwas ist effektiv schiefgegangen bei dem Manöver." Zur Route sagte er: "Ich bin auf Sicht gefahren, weil ich die Wassertiefe kannte, da ich schon drei- oder viermal dort gewesen war, aber dass dort dieser Felsen war, hat mich überrascht." Dann habe er dafür gesorgt, dass das Schiff im Hafen von Giglio auf einer unter der Wasseroberfläche befindlichen Felsstufe zu liegen kam.
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Die Anschuldigungen wiegen schwer: Totschlag, Verursachung einer Havarie, Verlassen des Schiffs, bevor alle Passagiere in Sicherheit gebracht wurden. Schettino drohen bis zu 15 Jahre Haft. Ein Gericht in Grosseto hat ihn unter Hausarrest gestellt. Er darf sein Grundstück in seinem Heimatort Meta di Sorrento im Golf von Neapel nicht verlassen und mit niemandem außer seiner Familie und seinem Anwalt sprechen. Die Ermittler führten zuvor einen Drogentest bei Schettino durch. Sie suchen nach Spuren von Kokain und anderen Substanzen, die bis zu zwei Wochen nachweisbar sein sollen.
+++ Im Wortlaut: Schettino vs. Küstenwache +++
Italienische Medien feiern unterdessen Fregattenkapitän Gregorio De Falco, 46. Er hatte im Hafenamt in Livorno Dienst und wollte den Kapitän zurückschicken, als die "Costa Concordia" kenterte. "Er hat vor Wut geweint", wird ein Vorgesetzter De Falcos in der Zeitung "La Repubblica" zitiert. Demnach sagte De Falco: "Ja, ich weine, aber ich denke nicht, dass das eine Schwäche ist, Menschlichkeit ist keine Schwäche." Er stehe für ein Land, das sich an Regeln halte - "gegen das des Bunga-Bunga", hieß es bei Twitter in Anspielung auf die Affären des Ex-Regierungschefs Silvio Berlusconi. Doch sei das Land auch noch "voller Schettinos".
Millionenforderungen an Versicherungen
Auf Versicherer kommen Schäden in Millionenhöhe zu – die genaue Ermittlung der finanziellen Folgen des Unglücks wird sich aber noch hinziehen. Der weltgrößte Rückversicherer Munich Re erwartet Belastungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Die genaue Schadenssumme lasse sich noch nicht beziffern. Auch die Hannover Rück kann die Schadenshöhe noch nicht benennen. Neben den Kosten für das zerstörte Schiff entstehen Belastungen aus Haftpflichtansprüchen der Passagiere und der Crew sowie aus der Bergung des Wracks.
Darüber hinaus können Kosten aus möglichen Umwelthaftpflichtansprüchen entstehen - etwa für den Fall, dass Öl oder Schiffsdiesel austritt. In Versicherungskreisen wird laut "Financial Times Deutschland“ davon ausgegangen, dass der Schaden insgesamt eine halbe Milliarde Euro leicht überschreiten könne. Die "Costa Concordia“ war 2006 für 450 Millionen Euro gebaut worden.
+++ Leitartikel: Ende einer Illusion +++
Das Abpumpen von Öl aus den Tanks des Schiffs wird voraussichtlich mehrere Wochen dauern. Nach Angaben der Reederei sollen mindestens 1900 Tonnen Treibstoff an Bord sein, darunter Schweröl, sagte eine Sprecherin des Havariekommandos in Cuxhaven. "Schweröl ist wie dicker, zähflüssiger Honig. Um es abzupumpen, muss es erst auf 45 bis 50 Grad erwärmt werden.“ Nach italienischen Quellen sind noch 2380 Tonnen Dieselölgemisch an Bord, über die Menge von Schweröl ist offiziell nichts bekannt.
Kim Bauermeister , Ina-Maria Nießler, dpa